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Warum die AOK Plus in Sachsen teurer wird

Auch die AOK Plus erhöht die Beiträge für Versicherte. Chef Rainer Striebel spricht im Exklusiv-Interview über politische Zwänge, Kostentreiber und den Schwarzen Peter für Kunden.

Von Katrin Saft & Kornelia Noack
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Rainer Striebel ist Vorstandsvorsitzender der AOK Plus.
Rainer Striebel ist Vorstandsvorsitzender der AOK Plus. © Foto: SZ/Veit Hengst

Herr Striebel, die Menschen stöhnen unter Mehrkosten für Strom, Heizung und Lebenshaltung. Und ab Januar erhöht auch die AOK Plus ihren Beitrag von 15,8 auf 16,1 Prozent. Ist das wirklich nötig?

Wir hatten zwei Jahre einen stabilen Beitrag, der günstiger war als der der meisten anderen Kassen. 2023 müssen wir mit rund 900 Millionen Euro Mehrausgaben rechnen. Hinzu kommt, dass der Bund unseren Spargroschen abschöpft. Nach fast 700 Millionen Euro 2021 muss die AOK Plus demnächst weitere 150 Millionen Euro aus ihren Rücklagen abgeben. Die hatten wir uns über Jahre durch kluges Management erwirtschaftet, ohne deswegen an Leistungen zu sparen. Für die gesetzlichen Krankenkassen ist jetzt nur noch eine Mindestrücklage von 0,2 Monatsausgaben vorgesehen – oder anders gesagt: für sechs Kalendertage. Das soll für schlechte Zeiten reichen? Beides zusammen – Mehrausgaben und der unfaire politische Eingriff in unsere Selbstverwaltung – führen absehbar zu einem Defizit und zwingen uns, den Zusatzbeitrag leicht zu erhöhen.

Werden Sie bei den freiwilligen Leistungen kürzen?

Nein, wir werden unsere Zusatzangebote noch erweitern. Wir bleiben in fast 140 Filialen vor Ort und sind für unsere 3,5 Millionen Versicherten in Sachsen und Thüringen da – in guten wie in schlechten Lebenssituationen. Die 0,3 Prozentpunkt Beitrag mehr sind kein Grund zum Jubeln. Doch wir bleiben damit weiterhin bei einem unterdurchschnittlichen Preis.

Wofür geben Sie am meisten Geld aus?

Eindeutig für die Behandlungen in den Krankenhäusern. Fast ein Drittel unseres Budgets fließt dorthin. Wobei die Krankenhaus-Ausgaben in diesem Jahr nur unwesentlich gestiegen sind. Der Bund hat die Finanzprobleme der Krankenhäuser in der Pandemie und in der aktuellen Energiekrise mit großen Schutzschirmen abgefedert. Und die Fallzahlen haben nicht wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht.

Was sind dann die Kostentreiber?

Wir hatten in diesem Jahr deutlich mehr Aufwendungen für Krankengeld. Das liegt vor allem daran, dass der Gesetzgeber den Anspruch bei der Kinderbetreuung in der Pandemie erweitert hat. Auch die Heil- und Hilfsmittelverordnungen sind gestiegen. Mit 2,2 Milliarden Euro machen allerdings die Arzneimittel den zweitgrößten Posten auf unserer Ausgabenseite aus – im letzten Jahr 300 Millionen mehr als 2018. Und das liegt auch am medizinischen Fortschritt. Vor allem in der Onkologie und im Bereich für seltene genetisch verursachte Krankheiten bietet die Pharmaindustrie neue Therapien an, die sehr, sehr viel Geld kosten. Denken Sie zum Beispiel an Baby John aus Sebnitz. Ohne das zwei Millionen Euro teure Medikament Zolgensma würde John heute vielleicht nicht mehr leben. Und das ist kein Einzelfall. Hier brauchen wir eine ethische Debatte: Wie viel Geld sind wir alle als Gesellschaft und Versichertengemeinschaft bereit, für moderne Behandlungsmethoden zu zahlen?

Und wie würden Sie diese Frage beantworten?

Wir müssen bei sehr teuren neuen Therapien eine Risikoteilung auf den Weg bringen. Sollte sich herausstellen, dass ein neues Medikament keinen deutlichen Nutzen gegenüber bestehenden Behandlungsmethoden gebracht hat, muss es künftig eine faire Lastenverteilung zwischen Krankenkasse – also der Solidargemeinschaft – und der Pharmaindustrie geben.

Hat auch Corona zu höheren Gesundheitsausgaben geführt?

Durch die Lockdowns sind die Ausgaben nur moderat gestiegen, trotz der intensivmedizinischen Behandlungen. Viele Menschen sind zeitweise weniger zum Arzt gegangen, haben keine Früherkennungsuntersuchungen wahrgenommen, keine Rehamaßnahmen oder Physiotherapie. Planbare Operationen sind in Größenordnungen zurückgegangen. Das große Fragezeichen allerdings bleibt, ob die fehlenden Behandlungen negative Folgen haben werden, wie sich Longcovid auswirken und welche Therapien es dafür geben wird.

Den Deutschen wird ja gern unterstellt, dass sie zu häufig zum Arzt gehen. Teilen Sie diese Meinung?

Tatsache ist, dass die Arzt-Patienten-Kontakte bei uns im weltweiten Vergleich sehr hoch sind. Während die Deutschen im Schnitt zehn Mal pro Jahr zum Arzt gehen, sind es in Schweden nur durchschnittlich 2,6 Arztbesuche. Dadurch entstehen insbesondere bei Fachärzten längere Wartezeiten. Allerdings höre ich auch von Ärzten, dass die Erwartungshaltung der Menschen gestiegen ist. Viele wollen sofort einen Termin und möglichst zu einer Uhrzeit, die zwischen Arbeit und Kinderbetreuung passt. Ein Arzt hat mir kürzlich erzählt, dass er Leerzeiten beim MRT hat, weil Patienten ihren vereinbarten Termin ohne abzusagen nicht wahrnehmen. Da kann er diesen Termin dann leider nicht an andere vergeben, die ihn dringend benötigen.

Wie sieht es mit den Kosten für Ihre eigene Verwaltung aus? Ließe sich da nicht sparen?

Bei uns sind vier Cent von jedem Beitragseuro Verwaltungsausgaben. Das ist vergleichsweise gut. Wir möchten nah an den Menschen sein und nicht am Filialnetz oder am Service für unsere Versicherten sparen. Und wir wollen unsere Online-Angebote ausbauen. Das heißt nicht, dass wir nicht noch optimieren können.

Die AOK Plus ist eine von 97 gesetzlichen Krankenkassen. Braucht Deutschland so viele Kassen, die alle eigene Verwaltungen unterhalten?

Die kleinsten 30 Krankenkassen versichern weniger als eine Million Menschen. Ich glaube schon, dass hier noch ein Konzentrationsprozess stattfindet. Die Versicherten profitieren heute davon, dass sich Krankenkassen im Wettbewerb um einen guten Service und attraktive Leistungen bemühen. Die Frage ist natürlich, welche Anzahl von Kassen für einen funktionierenden Wettbewerb angemessen ist. Diese Frage können die Menschen mit ihrer Kassenwahl selbst mitentscheiden.

Acht Millionen Besserverdiener in Deutschland versichern sich lieber privat als bei Ihnen.

Sie picken sich die Rosinen raus. Das widerspricht dem Solidarprinzip. Viele Privatversicherte sind Beamte, die ihre Gesundheitskosten neben der Beihilfe privat absichern. In eine gesetzliche Krankenkasse zu wechseln, ist für sie bisher wenig attraktiv, da sie den Arbeitgeberanteil selbst tragen müssen. Das Land Thüringen hat diese unfaire Regelung aufgehoben und zahlt Beamten die Hälfte der Kosten für eine freiwillig gesetzliche Krankenversicherung. Damit haben Landesbedienstete erstmals keine Finanznachteile in der Gesetzlichen und damit eine faire Wahl. Diese echte Wahlfreiheit wünsche ich mir auch in Sachsen.

Werden die Reformvorschläge von Bundesgesundheitsminister Lauterbach dazu beitragen, die Finanzprobleme im Gesundheitswesen zu lösen?

Die Reformpläne für die Krankenhäuser gehen in die richtige Richtung und bieten auch für Sachsen längerfristig die große Chance, zukunftsfähige Strukturen aufzubauen. Doch das alles wird nicht kurzfristig wirken. Unser Gesundheitswesen ist geprägt von einer Über-, Unter- und somit Fehlversorgung. Es wird dominiert von vielen privaten Akteuren, die gewinnorientiert sind. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Allerdings fließt das Geld nicht immer dorthin, wo es den größten Nutzen für die Menschen hat. Weil es nicht reicht, schiebt die Politik jetzt den gesetzlichen Kassen und den Beitragszahlern den Schwarzen Peter zu.

Was heißt denn Schwarzer Peter?

Das Finanzloch der Gesetzlichen Krankenversicherung wächst von aktuell 14 auf 17 Milliarden Euro im nächsten Jahr. Gut zwei Drittel dieser Lücke sollen die Beitragszahler stopfen – durch höhere Beiträge und das Abschöpfen der Kassen-Rücklagen. Hinzu kommen für Sachsen und Thüringen Nachteile bei der Verteilung der Beitragsgelder aus dem Gesundheitsfonds.

Welche Nachteile?

Vereinfacht ausgedrückt: Alle Beiträge der gesetzlichen Krankenkassen werden in einen Topf getan – den Gesundheitsfonds – und dann nach bestimmten Kriterien verteilt, zum Beispiel nach Alter und Gesundheitszustand der Versicherten. Diesen Schlüssel hat man 2021 so verändert, dass es für Ballungsräume mehr Geld gibt. Da wir in Sachsen und Thüringen aber kaum große Städte, sondern mehr ländliche Gebiete haben, findet eine Umverteilung statt, die wir ungerecht finden. Gerade dem ländlichen Raum, in dem heute schon Versorgungsprobleme existieren, wird so Geld weggenommen. Das geht in die völlig falsche Richtung.

Haben Sie denn Gegenvorschläge, woher die fehlenden Milliarden für die Gesundheit kommen sollen?

Ja, die hatten wir. Der Bund soll uns beispielsweise angemessene Beiträge für ALG II-Beziehende zahlen. Im Schnitt bekommen wir hier pro Person 1.300 Euro im Jahr aus Steuermitteln. Tatsächlich sind die Gesundheitsausgaben aber sehr viel höher. Die Politik hat eine Erhöhung abgelehnt, weil sie den Bund insgesamt 10 Milliarden Euro mehr pro Jahr kosten würde. Diese Last drückt der Staat allein den Beitragszahlern auf. Ebenso abgelehnt wurde unser Vorschlag, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel zu senken. Die liegt bei 19 Prozent. Für Medizin für Ihr Haustier zahlen Sie hingegen nur 7 Prozent Mehrwertsteuer. Eine Änderung hätte Einsparungen von weiteren 5 Milliarden gebracht und somit das Defizit fast vollständig vermieden.

SZ-Telefonforum zum Thema Krankenversicherung:

  • Fragen rund um den gesetzlichen Krankenschutz können Sie bei einem SZ-Leserforum am 20. Dezember von 10 bis 12 Uhr stellen. Wann lohnt sich ein Wechsel? Auf welche Zusatzleistungen sollten Versicherte achten?
  • Auch Privatversicherte müssen mit höheren Beiträgen ab Januar rechnen. Wer kann noch in die Gesetzliche wechseln? Was gilt 2023 für Selbstständige und freiwillig Versicherte?
  • Auskunft geben Claus Beck von der AOK Plus, Stephan Caspary vom Verband der Privaten Krankenversicherung und Peter Klipp von der Stiftung Warentest unter der kostenfreien Telefonnummer 0800/0004743