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Welche neuen Wege Sachsen in der Altersmedizin einschlägt

Jeder vierte Sachse ist älter als 65. Das stellt auch die Medizin vor Herausforderungen. Die Fachkliniken Radeburg bereiten angehende Ärzte nun gezielt darauf vor.

Von Kornelia Noack
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Hoch die Arme und wieder runter – und wieder hoch! Damit Patientin Karin Pusch wieder mehr Kraft in den Armen und Händen bekommt, leitet Therapeutin Katja Fleischerowitz sie in der Radeburger Klinik bei verschiedenen Übungen an.
Hoch die Arme und wieder runter – und wieder hoch! Damit Patientin Karin Pusch wieder mehr Kraft in den Armen und Händen bekommt, leitet Therapeutin Katja Fleischerowitz sie in der Radeburger Klinik bei verschiedenen Übungen an. © ronaldbonss.com

Eine Neuheit in Sachsen: Künftig werden sechs Medizinstudenten ihr praktisches Jahr in den Fachkliniken Radeburg absolvieren und speziell Erfahrungen in der Inneren Medizin und Geriatrie sammeln. Denn die Fachkliniken sind zum Akademischen Lehrkrankenhaus der Medizinischen Fakultät der TU Dresden ernannt worden. Professor Dr. Lorenz Hofbauer, Ärztlicher Direktor in Radeburg und Direktor des UniversitätsCentrums für gesundes Altern, erklärt im Gespräch mit Saechsische.de, warum die Spezialisierung auf alte Patienten nötig ist.

Herr Professor Hofbauer, warum ist es so wichtig, junge Mediziner an die Altersmedizin heranzuführen?

Sachsen hat neben Thüringen die älteste Bevölkerung in Deutschland. Die Zahl der Patienten wächst schneller, als wir Altersmediziner ausbilden können. Wir erhoffen uns natürlich, nun mehr interessierte, motivierte und wissensdurstige Medizinstudenten für den Fachbereich der Geriatrie gewinnen zu können. Durch das Ineinandergreifen verschiedener Fachgebiete wie Psychiatrie, Orthopädie, Neurologie, Allgemeinmedizin und Unfallchirurgie und deren enge Verknüpfung ist die praktische Ausbildung besonders attraktiv.

Was ist unter Altersmedizin genau zu verstehen?

Es ist eine Spezialisierung, typischerweise nach einem Facharzt für Innere Medizin, Neurologie oder Allgemeinmedizin. Unsere Patienten sind mindestens 60 Jahre alt und meist multimorbid. Wir arbeiten interdisziplinär, die Probleme im Alter sind komplex und miteinander verwoben. Beispielsweise liegen Diabetes mellitus und eine beginnende Demenz vor, dadurch kommt es zur fehlerhaften Medikamenteneinnahme als Ursache für Gangstörungen oder Stürze.

Das normale Kliniksystem ist darauf nicht so gut vorbereitet. Hier geht es oft nur um eine OP, und dann wird der Patient wieder heimgeschickt. Die Altersmedizin geht da einen Schritt weiter.

Was bedeutet das?

Die Altersmedizin hat viel mit sozialmedizinischer Versorgung zu tun, ebenso mit der Versorgung mit Hilfsmitteln und dem Training mit dem korrekten Umgang, etwa mit Rollatoren. Physio- und Ergotherapie sind enorm wichtig, auch die Logopädie, um Sprech- und Schluckstörungen zu behandeln. All das dient dazu, den Alltag möglichst selbstständig zu bewältigen. Die Schulung der Angehörigen gehört ebenfalls dazu. Viele sind überfordert, wenn der demente Partner oder die Eltern plötzlich herrisch werden oder nachts unruhig sind.

Ist Sachsen altersmedizinisch gut versorgt?

Wir haben fünf Alterszentren, die in Radeburg, Görlitz, Chemnitz, Zwenkau und Leipzig stehen. Die Bettenkapazität umfasst in ganz Sachsen knapp 400 Betten. Das ist viel zu wenig! Wir würden gern mehr Patienten übernehmen. Natürlich können wir bereits ausgebildete Ärzte zu Altersmedizinern weiterbilden. In Radeburg wollen wir nun aber künftig Medizinstudenten schon von früh an für dieses Fach begeistern.

Es wäre eine Win-win-Situation.

Genau. Die Studenten lernen diagnostische und therapeutische Verfahren sowie ärztliches Denken und Handeln von der Pike auf. Wir profitieren, weil sie leichtere Tätigkeiten unter Aufsicht übernehmen. Außerdem bringt es frischen Wind, wenn die Fachkliniken Radeburg nun ein Ausbildungsort für Studierende sind.

Professor Dr. Lorenz Hofbauer ist Facharzt für Innere Medizin. Der Altersmediziner ist seit Juli 2020 Ärztlicher Direktor der Fachkliniken Radeburg.
Professor Dr. Lorenz Hofbauer ist Facharzt für Innere Medizin. Der Altersmediziner ist seit Juli 2020 Ärztlicher Direktor der Fachkliniken Radeburg. © Arvid Müller

Was sind denn typische Alterskrankheiten?

Es gibt psychiatrische Krankheitsbilder wie Depressionen, Demenz und Verwirrtheitszustände sowie neurologische Erkrankungen wie Gangstörungen, Parkinson-Krankheit oder Schlaganfall. Typisch für Ältere sind auch internistische Erkrankungen, etwa Lungenentzündungen, Herzmuskelschwäche, Infektionskrankheiten, nicht zuletzt Covid oder Post-Covid, und chronische Schmerzen.

Häufig treten mehrere Erkrankungen gleichzeitig auf. Leidet ein Patient zum Beispiel an Osteoporose, kommt es häufiger zu Knochenbrüchen, wegen der Schmerzmittel wiederum bekommt er Verstopfung oder ist benommen. Die Altersmedizin betrachtet Patienten in dem Fall ganzheitlich.

Was ist das Ziel einer geriatrischen Behandlung?

Die Patienten wieder fit für den Alltag zu machen. Viele haben langjährige, chronische Erkrankungen, da ist eine komplette Heilung nur selten möglich. Unser Ziel ist es, die Beschwerden der Patienten zu lindern. Natürlich gibt es in der Altersmedizin aber auch Situationen, in denen es um Fragen der Palliativmedizin geht.

Ist jemand unheilbar krank, sprechen wir mit ihm und seinen Angehörigen über eine mögliche Begrenzung der Therapie. Der Wille des Patienten bestimmt, ob und wie es weitergeht. Das gibt es aber in anderen medizinischen Bereichen genauso. Weil wir häufiger mit solchen Fällen konfrontiert sind und Erfahrung haben, sind wir dafür meist besser ausgebildet und können anders kommunizieren.

Wie lange verbleiben Patientenbei Ihnen in Radeburg?

Bei älteren Menschen geht alles nicht mehr so schnell, da brauchen wir Geduld, bis sich bei verschiedenen Therapien ein messbarer Effekt zeigt. Patienten in unserer geriatrischen Reha-Klinik bleiben meist drei Wochen. Sie haben zum Beispiel eine künstliche Hüfte bekommen und müssen das Aufstehen und Gehen neu lernen. Patienten der geriatrischen Tagesklinik kommen nur tagsüber für die Therapie zu uns, üblicherweise für ebenfalls drei Wochen. In der Akut-Geriatrie nehmen wir Patienten stationär auf. Auch hier nehmen wir uns meist zwei bis drei Wochen Zeit.

Wie kommen Patienten zu Ihnen in die Klinik?

Durch Einweisung von Ärzten oder durch direkte Verlegung von anderen Krankenhäusern. In seltenen Fällen werden Patienten auch durch ihre Angehörigen zu uns vermittelt. Wir benötigen einen klaren medizinischen Auftrag: Was sollen wir tun? Ist ein Patient nach einer Operation verwirrt, schwach, oder hat er unklare Schwindelanfälle? Als Ärzte- und Therapeutenteam aus verschiedenen Disziplinen können wir uns gut darum kümmern. Für die Reha muss natürlich ein von der Kasse bewilligter Reha-Antrag vorliegen.

Welche Rolle spielen Medikamente in der Geriatrie?

Eine ganz wichtige. Wir sind dafür sensibilisiert, dass fast alle Symptome auch Nebenwirkungen von Medikamenten sein können. Bei der Aufnahme eines Patienten hinterfragen wir jedes seiner Medikamente, denn einige lösen genau die Beschwerden aus, die wir erkennen. Wir durchforsten während des Aufenthaltes alles und versuchen, es dem Patienten dann so einfach wie möglich zu machen. Das klappt aber nicht immer. Bei einer Parkinson-Erkrankung oder Diabetes kommen schnell vier, fünf Medikamente auf einmal zusammen.

Wie können Sie bei Demenz und Depressionen helfen?

Wir haben viel Erfahrung mit der Behandlung von frühen Stufen von Demenz gesammelt. Es gibt zwar neue Studien, nach denen es möglich ist, eine Demenz hinauszuzögern. In der Regel ist aber Schadensbegrenzung angesagt. Bei Depressionen dagegen gibt es gute Möglichkeiten. Schwere Formen werden in der Psychiatrie behandelt. Bei leichteren Fällen holen wir uns Rat von Psychologen und Psychiatern.

Dann schaffen wir eine anregende Umgebung mit Fahrradfahren, Physiotherapie, Musik- und Maltherapie. Auch eine Tagesstruktur zu geben, ist wichtig, damit sich die Depressionen nicht verschlechtern. Diese allgemeinen Maßnahmen werden durch Antidepressiva ergänzt.