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Warum Bäckerei-Geschäfte in und um Görlitz nur halbtags öffnen

In Görlitz, Rothenburg, Ober-Neundorf fehlten so viele Verkäuferinnen, dass die Handwerker die Reißleine ziehen mussten. Wie sich das ändern soll.

Von Gabriela Lachnit & Carla Mattern
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Bäckermeister Michael Tschirch steht vor seiner Bäckerei in Ober-Neundorf. Weil viele seiner Mitarbeiterinnen krank sind, hat der Laden vorerst nur noch bis 13 Uhr auf.
Bäckermeister Michael Tschirch steht vor seiner Bäckerei in Ober-Neundorf. Weil viele seiner Mitarbeiterinnen krank sind, hat der Laden vorerst nur noch bis 13 Uhr auf. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Seit diesem Donnerstag können die Rothenburger ihren Gang zum Bäcker in der Priebuser Straße wieder wie gewohnt machen. Das Schild an der Tür ist weg. Bis Mittwoch war die Filiale der Bäckerei Tschirch bereits ab 13 Uhr geschlossen.

Anderthalb Wochen ging das so. Auch Kunden in Görlitz, die sich im Tschirch-Geschäft am Nikolaigraben mit Brot, Brötchen und Kuchen versorgen wollten, standen in der vergangenen Woche drei Tage am Nachmittag vor verschlossener Tür. Und im Hauptgeschäft der Bäckerei Tschirch in Ober-Neundorf dauert die Schließung am Nachmittag noch an. Für die Zeit von Montag bis Freitag in dieser Woche musste Bäckermeister Michael Tschirch diese Entscheidung treffen und auch für die nächste Woche noch verlängern. Das wurmt ihn: "Zum ersten Mal seit 30 Jahren musste ich Kunden sagen, dieses Geschäft ist nachmittags geschlossen." Zwei Hauptgründe nennt Michael Tschirch dafür: Krankheit von Mitarbeitern und Personalnot.

Mit vier Dauerkranken und weiteren krank gemeldeten Mitarbeitern muss Bäcker Tschirch in diesen Tagen planen. Von den 50 Angestellten sind 22 Verkäuferinnen. Da reicht dann die Personaldecke einfach nicht mehr, um alle Schichten zu besetzen. Fünf Filialen betreibt Michael Tschirch - eine in Rothenburg gegenüber Fleischerei Eichler, eine in Kodersdorf bei Edeka Schneider, in Görlitz Nikolaigraben, Bahnhofstraße, Kunnerwitzer Straße und das Hauptgeschäft mit Produktion in Ober-Neundorf. Die Öffnungszeiten liegen zwischen 5.30 Uhr und 20 Uhr, manche je nach Lage, manche bieten Waren von Montag bis Sonntag.

Bewerbung nicht ernst gemeint?

"Ich war stolz auf die geringe Fluktuation. Gute Kräfte gehen nicht einfach", sagt Michael Tschirch. Auch kamen vor einigen Jahren noch Bewerber, die das Arbeitsamt geschickt hat. Jetzt aber sei gutes Verkaufspersonal fast nicht mehr zu finden. Er erzählt von einer Frau, die sich handschriftlich bei ihm beworben hatte. Weil sie nicht mobil war, bot der Bäckermeister ihr an, sie in Görlitz zu treffen und alles zu besprechen. Doch als er auf dem Weg zu ihr war, bekam er aus seinem Büro Nachricht, dass sie sich gemeldet hatte, um abzusagen, weil sie einen neuen Job habe. Das ist ein Beispiel für Michael Tschirch, dass es vielen Suchenden gar nicht so sehr ums Geld gehe. "Ich bin felsenfest überzeugt - der Freizeitgedanke spielt eine große Rolle", sagt der Unternehmer. Seit dem 1. Juli zahlt er etwa zwei Dritteln seiner Leute mehr als Mindestlohn, Bäcker liegen sowieso über diesem Satz.

Ihn ärgert auch, dass Angestellte ihre Arbeit zu wenig ernst nehmen. So schickte eine Mitarbeiterin am Sonntag einen Krankenschein, erzählt er ein Beispiel, die am Montag um 4 Uhr Arbeitsbeginn hatte. Eine mündliche Information findet er, sei mindestens in so einem Fall notwendig. Aber Michael Tschirch wirbt an vielen Stellen um neue Mitarbeiter. Und hofft, dass er zuverlässige findet, die gern dafür sorgen, dass in den Tschirch-Läden regulär geöffnet sein kann.

Schließzeit, weil der Fleischer zu war

Auch die Ostritzer Bäckerei Geißler hatte mit ihrer Filiale auf der Bismarckstraße in Görlitz verkürzte Öffnungszeiten. Doch die sind seit Wochenbeginn passé. Die Verkürzung hatte einen simplen Grund: Weil die danebenliegende Fleischerei Büchner zwei Wochen geschlossen hatte, waren in der Bäckereifiliale die Öffnungszeiten verkürzt worden. „Wir merken es sehr deutlich, dass viel weniger Kunden kommen, wenn die Fleischerei geschlossen ist, sodass wir nur am Vormittag geöffnet hatten“, sagt Geschäftsführer Martin Geißler.

15 Filialen hat die Ostritzer Bäckerei und eine mobile Verkaufsstelle, die vor allem die kleinen Orte in der Region ohne Laden mit Backwaren versorgt. Personalprobleme, wie sie andere Bäckereien kennen, hat das Unternehmen derzeit nicht. Es komme schon mal vor, das eine Filiale wegen plötzlicher Erkrankung von Verkaufspersonal eher schließt, aber grundsätzlich freut sich Martin Geißler über die glückliche Lage, ausreichend Personal zu haben. „Die Mehrzahl gehört zum Stammpersonal, arbeitet schon lange bei uns“, erklärt er.

2022 ist für das Unternehmen nicht nur ein Jubiläumsjahr – vor 125 Jahren wurde die Bäckerei gegründet - sondern Martin Geißler erlebte etwas in dieser Zeit außergewöhnliches: „Noch nie haben wir bereits im Juni alle unsere Lehrstellen besetzen können“, sagt er. Geplant waren vier neue Lehrlinge, jetzt sind es sechs – drei im Verkauf und drei in der Produktion, alle mit guten oder sehr guten Schulabschlüssen.

Fachkundiges Personal fehlt

In einer anderen Lage befindet sich die Görlitzer Bäckerei Wittig. Vor allem jetzt, in der Urlaubszeit, fehlt jeder Mitarbeiter, der durch Krankheit ausfällt, sozusagen gleich doppelt. Doch außer in der Filiale im Edeka in der Dresdner Straße ist derzeit keine der sieben Görlitzer und der einen Filiale in Löbau verkürzt geöffnet. "Obwohl es uns derzeit wirklich schwerfällt, alle Öffnungszeiten zu garantieren", sagt Marketingleiter Thomas Seibt.

Die Bäckerei Wittig ist froh über die Nähe zu Polen, denn einige Mitarbeiter kommen von dort, darunter auch eine Mitarbeiterin in der Konditorei-Abteilung. Aushilfen in den Filialen seien zwar eine langfristige Lösung, aber kurzfristig fehle einfach die Zeit für die sichere Einarbeitung der Aushilfen. Bewirbt sich fachkundiges Personal, sehe das anders aus.