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Bauernproteste: Landwirte übergeben Tausende Unterschriften an Kretschmer

Kurz vor der Entscheidung in Berlin verstärken Landwirte nochmals ihre Proteste. Dabei geht es längst nicht mehr nur um den Agrardiesel, sagen der Bauernchef und Ökolandwirte aus dem Kreis Görlitz.

Von Sebastian Beutler
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Die Vereinigung "Land schafft Verbindung" hat am Donnerstag Tausende Unterschriften an Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (3. v. li.) und den Präsidenten des Sächsischen Landtags, Matthias Rößler, (4. v. li.) übergeben.
Die Vereinigung "Land schafft Verbindung" hat am Donnerstag Tausende Unterschriften an Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (3. v. li.) und den Präsidenten des Sächsischen Landtags, Matthias Rößler, (4. v. li.) übergeben. © Land schafft Verbindung/privat

Noch einmal zeigen die Landwirte, dass mit ihnen zu rechnen ist. Am Donnerstag demonstrieren sie auf zahlreichen Autobahnbrücken. Im Kreis Görlitz betraf es die Autobahnbrücke über die A4 bei Kodersdorf. In Dresden übergaben die Landwirte der Vereinigung "Land schafft Verbindung" 21.000 Unterschriften an Ministerpräsident Michael Kretschmer, mit denen die Forderungen der Landwirte unterstützt wurden, darunter sind auch die Namen von 130 sächsischen Bürgermeistern.

Es war der vorläufige Schlussakkord in einer Serie von Protesten seit Monaten, besonders seit Anfang Januar. Wer da immer auf der Straße war, war nicht immer leicht auszumachen: Bauernverband, Vereinigung Land schafft Verbindung, ungebundene Landwirte, Unternehmer, Mittelständler, Trittbrettfahrer. Am Ende haben sie geschafft, dass über Landwirtschaft und Bauern so häufig und tiefgründig in der Öffentlichkeit gesprochen wurde wie selten zuvor. An diesem Freitag entscheidet der Bundesrat über die Pläne der Bundesregierung, den Steuerrabatt auf den Agrardiesel abzuschaffen.

"Regionale Lebensmittel, brauchen regionale Landwirte", heißt es auf einem Protestschild an der B115 zwischen Kodersdorf und Görlitz.
"Regionale Lebensmittel, brauchen regionale Landwirte", heißt es auf einem Protestschild an der B115 zwischen Kodersdorf und Görlitz. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Doch es geht längst nicht mehr nur um den Agrardiesel. So fordern nun die Bauern einen echten Agrardiesel, eine Herkunftskennzeichnung für Lebensmittel, Verträge vor der Produktion und gleiche Standards bei Agrarimporten.

Die Vielfalt der Landwirtschaft zeigte auch jüngst eine Debatte im Rahmen der Ausstellung über Essen und Trinken im Görlitzer Kaisertrutz. Ganz unabhängig von den Bauernprotesten und bereits seit Herbst läuft diese Ausstellung und "ziemlich gut". Das sagt Stadthistorikerin Ines Haaser, die die Schau bei den Görlitzer Sammlungen konzipiert hat. Senioren besuchen die Schau genauso wie Kindergartengruppen. "Essen und Trinken geht alle an", sagt sie. Ob man sich vegan ernährt oder auf Alkohol verzichtet, ob man an Traditionen und Festessen festhält - jeden berührt das Thema. Das ist vielleicht auch ein Schlüssel für die Betroffenheit, die die Bauernproteste bei jedem auslösten. Essen muss jeder. Was schon immer offenkundig war, bestätigte auch diese Debatte: Bauer ist nicht gleich Bauer. Und vieles ändert sich bereits.

Der Bauernpräsident: "Den Bauern werden die Preise vorgeschrieben"

Andreas Graf, Vorsitzender Agrargenossenschaft See in Niesky.
Andreas Graf, Vorsitzender Agrargenossenschaft See in Niesky. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Andreas Graf ist erst seit Kurzem Vorsitzender des Bauernverbandes in der Oberlausitz. Im Oktober wählten ihn die Land- und Tierwirte zu ihrem Chef. Gerade rechtzeitig vor den Protesten. Graf ist kein Revoluzzer oder Polterer, seine Genossenschaft betreibt im Kern konventionelle Landwirtschaft. Wie die meisten Landwirte im Kreis. Nur 4,7 Prozent der Ackerfläche im Landkreis Görlitz wird von Ökobetrieben genutzt, 57 gibt es im Kreis. Bis 2030 sollen es 30 Prozent sein.

Die Mitglieder des Bauernverbandes bestellen rund 40 Prozent der Ackerfläche im Kreis. Insgesamt gibt es im Kreis noch 570 Agrarbetriebe.

Seit 2017 steht Graf der Agrargenossenschaft See in Niesky vor, die Anfang der 1990er-Jahre aus einer LPG hervorgegangen ist. Graf arbeitet bei der Genossenschaft schon seit 2007, er kennt sie gut. 29 Mitarbeiter beschäftigt er, darunter drei Auszubildende. Weizen, Roggen, Gerste, Raps und Mais, aber auch Sonnenblumen und Erbsen gedeihen auf ihren Feldern, 250 Milchrinder stehen im Stall in Kosel, täglich liefert die Genossenschaft 7.000 Kilogramm Milch an die Molkerei in Niesky. Doch genau da fangen auch Grafs Probleme an. Denn seiner Ansicht nach werden den Bauern die Preise vorgeschrieben, weil die meisten ihrer Produkte einen Massenmarkt beliefern: Milch und Getreide. Da ist der Spielraum gering. Viele Anbieter, wenige Abnehmer - da ist klar, wer über die Preise entscheidet. Graf sagt aber: "Ich möchte über meine Produkte bezahlt werden, nicht über Fördermittel." Wenn er jetzt in den Regalen der Supermärkte mitunter Bioland-Naturjoghurt billiger als konventionell hergestellten sieht, kann etwas nicht stimmen.

Graf und sein Team lassen sich einiges einfallen, um trotzdem zu bestehen. Seit ein paar Jahren hat die Agrargenossenschaft eine eigene Tochterfirma, die eine Bioproduktion aufbaut, beispielsweise mit Lavendelfeldern. Es ist der Versuch, mit einem speziellen Produkt auch höhere Preise zu erzielen. Doch die Rechnung geht nur bedingt auf, denn der französische Lavendel ist wiederum preiswerter.

Grafs Agrargenossenschaft produziert auch noch Strom aus Biogas. Ein Nebengeschäft, "damit wir uns noch Ackerbau leisten können, weil die Preise nicht ausreichen". Sein Wunsch an die Politik: Sie soll für gesundes und kostenloses Essen in Kita und Schule sorgen. "Die Wertschätzung für die Landwirtschaft fängt bei den Kindern an", sagt Graf und hofft darauf, dass sie eine solche Erfahrung nicht vergessen und fürs ganze Leben bewahren.

Der Ministeriumsmitarbeiter: "Alle Landwirte müssen mehr für Naturschutz tun"

Dr. Julian Klepatzki, Mitarbeiter im Bundesumweltministerium.
Dr. Julian Klepatzki, Mitarbeiter im Bundesumweltministerium. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Julian Klepatzki stammt von einem Hof in Ebersbach, im Schöpstal bei Görlitz. Hier wuchs er auf und hat ein großes Herz für die Landwirtschaft. Aber auch für die Natur und deren Schutz. Beides versucht er täglich in seinem Beruf zu verbinden. Er fährt nicht mit dem Trecker auf der Scholle, sondern sitzt im Bundesumweltministerium in Berlin. Seit 2017 arbeitet er dort. Zuvor studierte er Agrarökonomie, schrieb seine Doktorarbeit an der Humboldt-Universität in Berlin. Ehe er ins Ministerium ging, schnupperte er auch noch vier Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter in die SPD-Bundestagsfraktion hinein.

Klepatzki also hat einen vielfältigen Blick auf die Landwirtschaft und die Bauern. Deren Zorn über ausufernde Vorschriften von der EU, Nachweispflichten oder auch EU-Hilfen für die Landwirte in der Ukraine kennt er. In den vergangenen Wochen ist viel zwischen Brüssel und Berlin verhandelt worden. Listen wurden abgearbeitet, was man tun kann, um die Landwirte zu entlasten, wenn schon die Streichung der Agrardiesel-Vergünstigung nicht zurückgenommen wird. Bis zum Sommer, so hat die Bundesregierung zuletzt erklärt, soll ein Konzept stehen. Das hören viele Landwirte skeptisch, sie sind in Sorge, dass jetzt die Subventionen für die Landwirte zurückgenommen werden und später sich niemand mehr an die Forderungen erinnert.

Wer sich mit Julian Klepatzki unterhält, der hört überraschende Sätze. Beispielsweise den: "Es gibt gute Gründe, nicht auf Bio umzustellen." Stattdessen hält er es für viel wichtiger, dass alle landwirtschaftlichen Betriebe stärker auf Naturschutz setzen. Dann wäre allen mehr geholfen. Noch gibt es 250.000 Betriebe, jeden Tag stellen sieben von ihnen ihre Arbeit ein. Immer weniger Menschen produzieren immer mehr zum Essen. Von einer Nahrungsindustrie sprechen viele, das romantische Bild vom einzelnen Bauer mit seinem Hof verschwindet hinter Mastanlagen mit Hunderten Tieren und Schlägen, die bis zum Horizont reichen. Klepatzky aber will am liebsten alle Betriebe, jeden Hof mit in die Zukunft nehmen. Und empfiehlt, sich gute Beispiele andernorts anzuschauen. Beispielsweise die Wertschöpfungszentren in Nordrhein-Westfalen.

In diesen Zentren können sich Betriebe darüber informieren, wie sie ihre Produkte zu interessierten Gastronomen in der Region bringen oder mit anderen zusammen eine Regionalmarke aufbauen. Auch bei Fördermöglichkeiten kennen die Zentren sich aus und begleiten die Unternehmer bis zur Abrechnung. So könnten Fleischereien, Bäckereien, kleinere Schlachthäuser, Mühlen oder auch Gemüseaufbereitungsbetriebe erhalten oder wieder aufgebaut werden. In Eissen in Ostwestfalen wird gerade versucht, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Noch steckt das Projekt in den Kinderschuhen, aber es wächst.

Der solidarische Gärtner: Lieferabkommen mit Gaststätten in Görlitz und Dresden

Malte Gnirck leitet das Projekt "RainKost" der Görlitzer Obermühle
Malte Gnirck leitet das Projekt "RainKost" der Görlitzer Obermühle © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Malte Gnirck macht das bereits im Kleinen. Er kommt eigentlich aus Berlin, aber über ein Bufdi-Jahr in Görlitz landete er bei der "RainKost" der Görlitzer Obermühle. Deren Chef, Jörg Daubner, initiierte 2018 eine solidarische Landwirtschaft.

Ohne Pflügen, ohne synthetische Pestizide und Kunstdünger, sogar ohne zusätzliche Bewässerung der rund 3.000 Quadratmeter in Schlauroth. Bio sei für ihn, sagt Gnirck, kein großes Thema mehr, Nachhaltigkeit eine Selbstverständlichkeit. Vor einer Saison verständigt sich RainKost mit Gastronomen, was sie im Laufe des Jahres benötigen und geliefert bekommen wollen. Görlitzer Hotels und Gaststätten wie die "Insel der Sinne", die "Bierblume" oder das "Horschel", die Salü-Bar, das Café Herzstück oder das Tuchmacher-Hotel sind Kunden, aber auch die Dresdner Gastro-Szene mit Lokalen wie "Gaumenkitzel" in Radebeul oder "Johanns Elblounge" bestellen Gemüse in Görlitz am Fuße der Landeskrone.

Gnircks Verständnis von Landwirtschaft ist eng verbunden mit seinem Bild einer Gesellschaft, die sich wieder stärker an den Bedürfnissen jedes Einzelnen orientiert. Die etablierte Bio-Landwirtschaft sieht er eher kritisch. Da werde seiner Ansicht nach mit viel Geld gezockt, hinter den Angeboten stünden große Kapitalgesellschaften. Gnirck will etwas ganz anderes. "Ich möchte, dass wir auch in Zukunft direkt zum Bauern gehen können und dort unsere Lebensmittel einkaufen." Konzepte wie die Marktschwärmer in Görlitz, wo jeden Donnerstagnachmittag im Görlitzer Schlachthof-Gelände Gemüse, Obst, Fleisch, Eier, Milchprodukte, Brot, Honig und Feinkost angeboten wird, liegen auf Gnircks Linie. Dass die Preise dabei höher liegen als im Supermarkt, findet er nicht weiter schlimm. Denn der junge Mann ist davon überzeugt: "Wir verkaufen uns unter Wert."

Der Ökobauer: "Das Bio-Label ist beliebig geworden"

Hans-Joachim Mautschke, Inhaber des Guts Krauscha in der Gemeinde Neißeaue.
Hans-Joachim Mautschke, Inhaber des Guts Krauscha in der Gemeinde Neißeaue. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Das glaubt auch Hans-Joachim Mautschke. Doch sein Blick auf die Bio-Landwirtschaft fällt nicht so negativ aus wie bei Gnircks.

Hans-Joachim Mautschke ist als Öko-Landwirt ein erfahrener Fuchs. Erst beim Stadtgut und nun seit 2006 im Gut Krauscha in der Gemeinde Neißeaue bei Görlitz. Auf 365 Hektar betreibt er hier mit 20 Mitarbeitern Viehzucht und Ackerbau. Mautschke kennt die praktische Seite der Landwirtschaft, aber auch die theoretische. Zu DDR-Zeiten arbeitete der studierte Agrarwissenschaftler im landwirtschaftlichen Versuchswesen der DDR. Das lässt ihn bis heute nicht los, er experimentiert mit Pflanzen, um Braunkohlehalden zu kultivieren. "Was könnte auf diesen Böden wachsen", fragt sich Mautschke und räumt ein: "Das klappt manchmal, meist nicht."

Mautschke ist überzeugter Ökobauer. Und lobt den hohen wissenschaftlichen Standard des Bio-Landbaus. "Das hat nichts mit Gefühl zu tun." Stattdessen mit Vielfalt von Sorten, Verzicht auf künstliche Dünger und Pestizide. Die Natur belohnt das. Mautschke hat auf seinem Gut 14 der 17 in Sachsen lebenden Fledermausarten bereits angetroffen, über 100 Wildbienenarten ebenso. "Die Vielfalt ist höher als bei einem konventionellen Betrieb."

Doch die Marktpreise bildeten diese Kosten nicht voll ab. Deswegen verteidigt Mautschke auch Fördermittel und Subventionen für seinen Hof. "Diese Gelder haben das Ziel, die Welt für die Landwirte gerechter zu machen", sagt er.

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Und deswegen ärgert es ihn, dass das Label Bio genauso wie Regionalität beliebig geworden ist. Da ist er sich auch einig mit Andreas Graf von der Agrargenossenschaft See. "Ganz Ostdeutschland ist regional", sagt er überspitzt.

Für beide ist das keine gute Entwicklung. Mautschke sagt beispielsweise über den Öko-Markt, er sei übersättigt. "Alle umliegenden Länder schielen auf den großen deutschen Markt und versuchen, ihre Produkte hier unterzubekommen. Am Ende landet die Ware beim Discounter." Zu viel zu niedrigen Preisen.

Die Landwirte sind sich einig, dass an höheren Preisen für ihre Produkte kein Weg vorbeiführt. Dann würde der Markt auch vieles richten, ist Mautschke überzeugt. Nur was macht der Verbraucher, der schon jetzt von einer hohen Inflation geplagt ist? Mautschkes Rat ist, auf anderes zu verzichten, Zigaretten etwa, Cola oder Alkohol. Für Mautschke kann jeder beitragen, dass es in der Landwirtschaft wieder gerechter zugeht. "Wenn ich als Verbraucher mich mit Bio-Produkten ernähren möchte", sagt er, "dann kann ich das einfach tun." Langfristig sagt Andreas Graf aus Niesky sei Platz für alle Formen der Landwirtschaft. "Wir werden nebeneinander bestehen."

Hinweis: Bis 1. April ist die Ausstellung "Prost Mahlzeit" im Görlitzer Kaisertrutz zu den üblichen Öffnungszeiten noch zu sehen.