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Bauernproteste: Beifall verklungen - Bürokratie bleibt

Die Politik will die Bürokratie in der Landwirtschaft abbauen. Die Realität sieht anders aus. Das sagen Bauern in Ebersbach und Wülknitz dazu.

Von Jörg Richter
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Oliver Schmidt, der Vorstandsvorsitzende der Agrargenossenschaft Ebersbach, vor dem Aktenschrank, in dem es kaum noch Platz für weitere Ordner gibt.
Oliver Schmidt, der Vorstandsvorsitzende der Agrargenossenschaft Ebersbach, vor dem Aktenschrank, in dem es kaum noch Platz für weitere Ordner gibt. © Jörg Richter

Riesa-Großenhain. Papier, Papier, Papier. Überall auf dem Tisch im Büro von Oliver Schmidt liegen dicke Ordner. Der Vorstandsvorsitzende der Agrargenossenschaft Ebersbach heftet wieder ein paar DIN-A4-Blätter ab. Lieferscheine, Dokumente über regelmäßige Tier-Blutproben, Berichte zur Qualitätssicherung, Belege über Milchkontrollen - und, und, und.

"Die Bürokratie ist eines der größten Probleme für uns Bauern", sagt der Agraringenieur und klagt: "Ich sehe den Stall kaum noch von innen." Nur noch von Weitem. Statt Schweinen und Rindern sieht er nur noch die beschrifteten Rücken der Ordner, die im Zimmer übern Gang den Aktenschrank füllen.

Der 46-Jährige präsentiert ein einfaches Beispiel aus der Praxis. Er holt vier Vordrucke aus einem Hefter und legt sie vor sich auf den Schreibtisch. "Die muss jeder Kunde, der sich ein Spanferkel vom Bauernhof kauft, vorher ausfüllen", erzählt Schmidt. Doch bevor der Käufer das machen könne, müsse er beim Veterinäramt eine Viehverkehrsnummer beantragen. Damit würde jeder Kunde automatisch zum Tierhalter, obwohl er das Spanferkel doch nur schlachten und essen will. - Schmidt bewertet das nicht. Aber sein Blick verrät, dass er das für übertriebenen Unsinn hält.

In Berlin kommt nichts an

Viele Zahlen, die die Bauern zusammentragen müssen, würden für Statistiken benutzt, sagt der Vorstandsvorsitzende. - Wie viele Rinder, Schweine und Hühner besitzt die Agrargenossenschaft? Wie viel Milch produziert jede Kuh pro Jahr? Wie viele Tiere werden in Ställen gehalten, wie viele im Freien? Wie viel Gülle wird auf den Feldern zum Düngen benutzt?

All das und noch viel mehr müssen die Bauern akribisch erfassen. "Aber für wen?", fragt Oliver Schmidt. Er sei Fachbeirat im Genossenschaftsverband und deshalb oft in Berlin. Er komme dadurch relativ häufig mit Bundespolitikern und anderen Entscheidungsträgern ins Gespräch. "Aber oft merke ich, dass nichts von den Zahlen, die wir hier erfassen, in Berlin ankommt", erzählt er. Umso mehr grübelt Schmidt über die Sinnhaftigkeit der ganzen Zettelwirtschaft.

Nach den Bauernprotesten Anfang des Jahres haben sich die Agrarminister der Bundesländer in der vergangenen Woche in Erfurt getroffen und eine Prioritätenliste zum Abbau von Bürokratie erstellt. Im Vorfeld der Tagung hatten die Länder 194 Vorschläge dem Bundesminister Cem Özdemir vorgelegt. Dieser versicherte: "Zusammen mit den Ländern ziehen wir am gleichen Strang und in die gleiche Richtung."

Bis Ostern soll Özdemir eine Bewertung der Vorschläge vorlegen. Anfang April sind weitere Beratungen mit den Ländern geplant. Bis Sommer will der Bund erste Maßnahmen nennen, wie der bü­ro­kra­ti­sche Auf­wand für Land­wir­te ver­rin­gert wer­den soll.

Keine gute Vorahnung

Thomas Keil, der Vorsitzende des Regionalbauernverbands Elbe-Röder, ist skeptisch. "Mir fehlt der Glaube daran", sagt er. "In Deutschland kann jeder einen Hund oder eine Katze kaufen und sie dann in seiner Wohnung einpferchen. Aber ein Schaf auf eine Wiese zu stellen, geht nicht so einfach."

Der Chef der Agrargenossenschaft Wülknitz kritisiert das Bürokratieentlastungsgesetz, dessen vierte Fassung von der Bundesregierung beschlossen wurde, um die gesamte Wirtschaft - nicht nur die Bauern - zu entlasten. Bei dem sperrigen Begriff "Bürokratieentlastungsgesetz" hat Keil keine gute Vorahnung: "Dieses Wort sagt mir nur, dass noch mehr Beamte eingestellt werden müssen."

Beim Applaus darf es nicht bleiben

Eva Schölzel, die Leiterin der Großenhainer Informations- und Servicestelle des sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, unterstützt die Forderung der Bauern nach weniger Bürokratie. "Wir in Deutschland landwirtschaften am teuersten", sagt sie. Überbordende Bürokratie habe Anteil daran.

Die Leiterin des früheren Landwirtschaftsamts erinnert an die positiven Reaktionen aus der Bevölkerung für die Bauernproteste. "Der Applaus ging den Bauern runter wie Öl", sagt sie. Doch dabei dürfe es nicht bleiben. Wer die Bauern aus der Region wirklich unterstützen wolle, solle zum Beispiel auf importiertes Billig-Fleisch aus dem Discountermarkt verzichten und lieber regionales Fleisch kaufen. Das gibt es in hiesigen Hofläden, Fleischereien und Gaststätten.