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Früherer Görlitzer OB verteidigt Montagsdemos

Ex-OB Matthias Lechner sieht friedliche Menschen demonstrieren. Doch wem folgen sie? In Görlitz gibt es Hinweise, dass es die rechtsextremistischen "Freien Sachsen" sind.

Von Sebastian Beutler & Susanne Sodan
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Rund 600 Menschen haben am vergangenen Montag in Görlitz gegen die Corona-Politik demonstriert.
Rund 600 Menschen haben am vergangenen Montag in Görlitz gegen die Corona-Politik demonstriert. © SZ

Mit den beabsichtigten Lockerungen der Corona-Verordnung ab Sonnabend werden auch wieder größere Demonstrationen möglich sein. Die Pläne der Landesregierung sehen künftig mindestens 200 Teilnehmer an Demonstrationen vor, wird die Überlastungsgrenze in den sächsischen Krankenhäusern unterschritten, steigt die Zahl sogar auf 1.000 mögliche Teilnehmer. Gegenwärtig wäre das sogar der Fall in Sachsen.

Doch die Organisatoren der Görlitzer Montagsdemonstrationen wollten nicht so lange warten und zogen Ende vergangener Woche vor Gericht, um größere Demonstrationen zu ermöglichen als die jetzige Corona-Verordnung vorsieht. Danach sind lediglich zehn Teilnehmer erlaubt, und die Demonstration darf auch den Platz nicht verlassen. Und tatsächlich kann sich Frank Liske, der Anmelder der Görlitzer Montagsdemos, über einen Teilerfolg freuen.

Das Verwaltungsgericht Dresden entschied am Freitag, dass eine „ortsfeste Versammlung ungeachtet des dynamischen Infektionsgeschehens und des Auftretens neuer und sehr ansteckender Virusvarianten ausnahmsweise mit 100 Personen durchgeführt werden könne“, dies erscheine seuchenrechtlich noch vertretbar.

Wie das Gericht seine Entscheidung begründet

Das Verwaltungsgericht begründet seine Entscheidung mit den Maßnahmen, die in Verkaufseinrichtungen gelten. So ist in Einrichtungen mit bis zu 800 Quadratmetern Fläche ein Kunde pro zehn Quadratmeter zulässig, bei über 800 Quadratmetern ein Kunde pro 20 Quadratmeter. Die Gerichtsentscheidung fiel mit Blick darauf, dass Virus-Übertragungen draußen weniger wahrscheinlich sind als in Innenräumen und für die Demo am Montag weitere Hygienemaßnahmen festgelegt wurden.

Zuvor hatte der Landkreis als Versammlungsbehörde den Antrag Liskes abgelehnt, die Teilnehmerzahl bei der Montagsdemo auf 200 zu erhöhen. Dabei hatte sich der Görlitzer Landrat Bernd Lange vor Journalisten am Donnerstag vergangener Woche in dieser Frage noch hin- und hergerissen gezeigt. Auf der einen Seite stehen die Festlegungen der Corona-Verordnung, auf der anderen Seite fand er zehn Teilnehmer einen zu engen Rahmen für die Demonstrationen. Zumal diese Auflagen vor allem die Arbeit der Polizei erschwert.

Polizei kann mit mehr Demonstranten leben

Das bestätigte beim gleichen Anlass auch André Schäfer von der Polizeidirektion Görlitz. „Ein Teil der Demonstranten geht derzeit bewusst hin, um gegen Bestimmungen zu verstoßen“, letztlich sei es das Ziel, staatliche Institutionen vorzuführen, den Staat als schwach und nicht durchsetzungsfähig dastehen zu lassen.

Auch stelle sich die Situation im Landkreis Görlitz anders dar als im Nachbarlandkreis Bautzen. In Görlitz blieb es bislang weitgehend friedlich, auch in den meisten Orten des Kreises. Dagegen liefen in Bautzen vergangene Woche 150 schwarz gekleidete Personen an der Spitze der Demonstration, die laut Polizei offenkundig der rechtsextremen Szene zuzurechnen seien und die den Konflikt mit den Polizeikräften suchten. Anschließend folgten 800 Bürger aus Bautzen.

Polizeibeamter André Schäfer appellierte daher an die Teilnehmer der Demonstrationen: „Kritik und Unzufriedenheit sind verständlich. Aber man sollte schauen, wem man hinterherläuft.“ Schäfer geht davon aus, dass die Polizei es auch an diesem Montag mit vielen Demonstrationen zu tun hat.

Bislang schien das Görlitzer Demo-Geschehen weniger von den „Freien Sachsen“ beeinflusst zu sein. Doch Reaktionen auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts werfen nun ein anderes Licht auf das Geschehen. Zwar veröffentlichte Frank Liste, der einmal Sprecher der Kreis-AfD war und auf den Demos immer wieder Strafen für die Verantwortlichen der staatlichen Corona-Politik fordert, den Beschluss des Verwaltungsgerichtes auf dem sozialen Netzwerk „Telegram“.

Rolle der "Freien Sachsen" größer als gedacht

Doch auf dem Kanal der „Freien Sachsen“ ist die Rede von Martin Kohlmann, der „Fakten geschaffen“ habe. Laut dem Beschluss, den Liske veröffentlichte, war Kohlmann sein Prozessbevollmächtigter. Er ist Anwalt, gilt als Kopf der rechtsextremistischen Wählervereinigung „Pro Chemnitz“ und ist Gründer der „Freien Sachsen“, eine Kleinpartei, die der sächsische Verfassungsschutz voriges Jahr als rechtsextremistische Bestrebung eingestuft hat. Der Verfassungsschutz sieht sie auch als „Mobilisierungsmaschine“ für die Corona-Proteste in Sachsen.

Am Wochenende zitierte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Kohlmann mit den Worten: „Wir wollen grundsätzlich etwas anderes als nur wieder in die Kneipe oder die Läden zu dürfen“. So strebe seine Partei den Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik an. Anschließend solle der Freistaat seine eigene Politik machen, in der auch das ehemalige Königshaus wieder eine große Rolle spielen müsse. „Das Maß an Freiheit“, so wird Kohlmann in der Zeitung weiter zitiert, „war im Königreich größer als heutzutage“.

In die politische Diskussion über die Demonstrationen gegen die Corona-Politik mischte sich am Sonnabend auch der frühere Görlitzer Oberbürgermeister Matthias Lechner ein. In einem Beitrag im „Niederschlesischen Kurier“ malt er ein Bild von den Polizeieinsätzen rund um den Postplatz, das schlimmer sei als im Herbst 1989. Damals konnten die Menschen „ohne sichtbare Polizei und Staatssicherheit durch Görlitz ziehen. Vor dem Rathaus stand keine Mauer aus Polizisten, wie unlängst an einem Montagabend.“ Und das, obwohl die Demonstrationen damals nicht angemeldet oder genehmigt worden seien.

Früherer Görlitzer OB: Staat schlimmer als im Herbst 1989

Jedenfalls seien die Menschen im Herbst 1989 nach Meinung von Lechner, der als einziger Görlitzer Oberbürgermeister von den Bürgern 1998 abgewählt wurde, nicht auf die Straße gegangen, „um heute erfahren zu müssen, dass ein Virus als medizinisches Thema ausreicht, um Grundrechte auszuhebeln“. Es könne nur unerträglich sein, dass „Bürgerproteste 1989 ,gute Proteste‘ waren und heutige Bürgerproteste und deren Teilnehmenden medial verteufelt und mit den schlimmsten Beschreibungen bedacht werden“.

Landrat Bernd Lange (CDU) setzt sich zumindest für eine differenzierte Beurteilung der Montagsdemos ein. „Ich bin dagegen, jeden, der Montagabend einen Fuß vor die Tür setzt, als rechts abzustempeln.“ Seinem Eindruck nach seien viele friedliche Menschen, die ihre persönlichen Sorgen zum Ausdruck bringen wollen, dabei. „Dafür ist das Versammlungsrecht da.“ Auch er warnt aber vor Gewalt. „Denn wenn Gewalt existiert, überschattet diese das Anliegen der Leute, die ihre Sorgen rüberbringen wollen.“

Auflagen haben es in sich

Ungeachtet dieser Debatte haben die Görlitzer Demo-Organisatoren bis Montagabend aber noch viel zu tun. Denn die Hygieneregeln, die das Dresdner Verwaltungsgericht festlegte, haben es in sich: Der Antragsteller müsse das Areal für die 100 Personen – 1.200 Quadratmeter auf dem Postplatz – durch „eine sicht- und schalldurchlässige Barriere, etwa einen Bauzaun, abgrenzen“, teilt das Gericht mit, „um einen unkontrollierten Zutritt zur Versammlungsfläche zu verhindern.“

Darüber hinaus müssen die Teilnehmer während der Versammlung eine FFP2-Maske oder vergleichbare Atemschutzmasken tragen. Auch der Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen den Teilnehmern ist einzuhalten. „Für die Versammlung hat der Anmelder zehn Ordner zu stellen. Er ist darüber hinaus für die Einhaltung der Auflagen verantwortlich.“ Der Landkreis könne weitere Auflagen fordern.

Gegen die Entscheidung können die Beteiligten, also Landkreis oder Antragsteller, noch Beschwerde einlegen. Dann müsste das Oberverwaltungsgericht in Bautzen entscheiden.