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Görlitz bangt mit der jüdischen Gemeinschaft

Das Pogromgedenken galt diesmal besonders den Opfern des Nahostkrieges. Betroffen in Israel sind auch Nachfahren von Görlitzer Juden.

Von Ines Eifler
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Das Pogromgedenken stand diesmal im Zeichen der Hilfe für die Opfer des Krieges in Nahost.
Das Pogromgedenken stand diesmal im Zeichen der Hilfe für die Opfer des Krieges in Nahost. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Die Plätze reichen nicht aus am Abend des 9. November in der Görlitzer Frauenkirche. Zusätzliche Stühle werden aufgestellt, damit alle Platz haben, die hier um den Verlust der jüdischen Bevölkerung trauern, ein Zeichen gegen Rassismus, Gewalt und Antisemitismus setzen und die Flamme für den Frieden teilen.

In diesem Jahr ist deutlicher denn je, dass sich dieses Gedenken nicht nur in die Vergangenheit richtet. Nicht nur auf die Verfolgung und Ermordung der Juden, die in der Pogromnacht vom 9. November 1938 einen ersten Höhepunkt fand, und auf die friedliche Revolution, mit der dieses schwere Datum auch eine positive Bedeutung erhielt.

Schwer, Worte zu finden

In diesem Jahr meint das Gedenken besonders die Menschen von heute: "Die Toten des 7. Oktober dieses Jahres und all der folgenden Tage in Israel und im Gazastreifen", erinnert Pfarrerin Dörte Paul an den Beginn des Krieges in Nahost vor fünf Wochen und geht dann weit zurück, um "gute Worte" zu finden. Dafür erinnert sie an den biblischen Abraham, Stammvater der Juden, Christen und Muslime, der um des Friedens willen auf fruchtbares Land verzichtete.

Diedrich Immer, Pfarrer i. R. aus Görlitz, besucht das Pogromgedenken diesmal mit Israel-Flagge: "Hier zu sein ist für mich selbstverständlich. Es geht um die Existenzberechtigung Israels. Israel muss bleiben!"
Diedrich Immer, Pfarrer i. R. aus Görlitz, besucht das Pogromgedenken diesmal mit Israel-Flagge: "Hier zu sein ist für mich selbstverständlich. Es geht um die Existenzberechtigung Israels. Israel muss bleiben!" © Paul Glaser/glaserfotografie.de
Jana Wolf, Musikwissenschaftlerin aus Görlitz, spielte in der Frauenkirche das jüdische Kaddisch auf der Klarinette: "Das war mir sehr wichtig – wegen des Nahostkrieges und der politischen Stimmung in Görlitz."
Jana Wolf, Musikwissenschaftlerin aus Görlitz, spielte in der Frauenkirche das jüdische Kaddisch auf der Klarinette: "Das war mir sehr wichtig – wegen des Nahostkrieges und der politischen Stimmung in Görlitz." © Paul Glaser/glaserfotografie.de
Ulrike Kauf, Sozialpädagogin aus Görlitz: "Mir ist es wichtig, am 9. November an Gemeinschaft teilzuhaben, in diesem Jahr besonders. Angst vor islamistischen Übergriffen beim Pogromgedenken habe ich keine."
Ulrike Kauf, Sozialpädagogin aus Görlitz: "Mir ist es wichtig, am 9. November an Gemeinschaft teilzuhaben, in diesem Jahr besonders. Angst vor islamistischen Übergriffen beim Pogromgedenken habe ich keine." © Paul Glaser/glaserfotografie.de
Gerd Weise, Kulturmanager aus Görlitz, nimmt jedes Jahr am Pogromgedenken teil: "Versöhnung und Vergebung, darum geht es an jedem 9. November. Diesmal spielt es jedoch eine noch bedeutendere Rolle."
Gerd Weise, Kulturmanager aus Görlitz, nimmt jedes Jahr am Pogromgedenken teil: "Versöhnung und Vergebung, darum geht es an jedem 9. November. Diesmal spielt es jedoch eine noch bedeutendere Rolle." © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu stellt sich klar auf die Seite Israels: "Uns alle bewegt zutiefst, was am 7. Oktober in Israel geschehen ist. Wir sind erschüttert, wie viele Frauen und Männer, Babys, Kinder und ältere Menschen dem barbarischen Terror der Hamas zum Opfer gefallen sind." Dieser 7. Oktober sei eine Zäsur, "auch für unsere Solidarität und Haltung gegenüber Israel".

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Die Europastadt Görlitz/Zgorzelec stehe mit einem besonderen Zusammenhalt dafür, dass Jüdinnen und Juden nie wieder drangsaliert werden und Angst um ihr Leben haben. Der Terror, der den jüdischen Staat Israel vernichten wolle, reiche bis nach Deutschland.

Sicherheitsmaßnahmen auch in Görlitz erhöht

Wurden im ganzen Land die Schutzmaßnahmen um jüdische Einrichtungen von Schulen bis Synagogen erhöht, ist auch in Görlitz die Polizei rund um das Kulturforum Görlitzer Synagoge seit dem 7. Oktober stärker präsent. Als viele Besucher der Frauenkirche Kerzen in Richtung Stadtpark tragen und sich vor der ehemaligen Synagoge erneut versammeln, sind Polizisten in der Nähe und wachsam, sobald eine Tasche oder ein Rucksack herrenlos am Zaun steht.

Viele Görlitzer nahmen mit Kerzen an der Gedenkveranstaltung teil ...
Viele Görlitzer nahmen mit Kerzen an der Gedenkveranstaltung teil ... © Paul Glaser/glaserfotografie.de
... und ließen die Lichter nach einer Schweigeminute vor der ehemaligen Synagoge weiter leuchten.
... und ließen die Lichter nach einer Schweigeminute vor der ehemaligen Synagoge weiter leuchten. © Paul Glaser/glaserfotografie.de
Die Plätze in der Frauenkirche Görlitz reichten diesmal kaum bei der ökumenischen Andacht anlässlich des Gedenkens an die Opfer der Novemberpogrome des Jahres 1938 und den Fall der Mauer 1989.
Die Plätze in der Frauenkirche Görlitz reichten diesmal kaum bei der ökumenischen Andacht anlässlich des Gedenkens an die Opfer der Novemberpogrome des Jahres 1938 und den Fall der Mauer 1989. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Manche Menschen, die sonst zum Gedenken kommen, sind der Veranstaltung diesmal vielleicht aus Sorge vor eventuellen islamistischen Übergriffen ferngeblieben. Unter den Anwesenden sind jedoch keine Bedenken spürbar. Die Lichter in ihren Händen verbreiten Frieden, den niemand stört.

Häuser von Nachfahren früherer Görlitzer zerstört

Vor der Kranzniederlegung vertieft Octavian Ursu, wie eng Israel und Deutschland durch das "gezielte Morden am jüdischen Volk" und das Versprechen "Nie wieder!" miteinander verbunden sind. Diese Verbindung reichen für Görlitz ganz konkret bis ins Heute: Der Kibbuz Kfar Aza liegt vier Kilometer von Gaza entfernt. Dort haben sich einige der schlimmsten Szenen des Massakers vom 7. Oktober abgespielt. Hamas-Terroristen machten den Ort mit seinen rund 700 Einwohnern dem Erdboden gleich und töteten etwa 100 Menschen auf brutale Weise. Ein Bewohner des Kibbuz Kfar Aza berichtete neulich in der ARD darüber bei "Maischberger".

Andere Bewohner sind Verwandte früherer Görlitzer. Carl und Hans Jacobsohn, die in Auschwitz ermordet wurden und für die der Förderkreis Görlitzer Synagoge im Jahr 2012 vor dem Görlitzer Haus Bismarckstraße 16 Stolpersteine verlegen ließ, haben dort Nachfahren. Eine Enkelin von Carl Jacobsohn ist Hana Halperin, die mit ihrer Familie im Kibbuz Kfar Aza lebt. Eine ihrer Töchter konnte mit ihren Angehörigen am 7. Oktober fliehen, die andere war 36 Stunden lang in einem Schutzraum versteckt, während die Hamas-Terroristen draußen wüteten.

2012 wurden für Carl und Hans Jacobsohn in der Görlitzer Bismarckstraße Stolpersteine verlegt. Einige Nachfahren, Hana Halperin und ihre Kinder, leben in Israel.
2012 wurden für Carl und Hans Jacobsohn in der Görlitzer Bismarckstraße Stolpersteine verlegt. Einige Nachfahren, Hana Halperin und ihre Kinder, leben in Israel. © Förderkreis Görlitzer Synagoge
Am 7. Oktober 2023 wurde das Haus der Familie Halperin-Jacobsohn im Kibbuz Kfar Aza, vier Kilometer vom Gaza-Streifen entfernt, zerstört.
Am 7. Oktober 2023 wurde das Haus der Familie Halperin-Jacobsohn im Kibbuz Kfar Aza, vier Kilometer vom Gaza-Streifen entfernt, zerstört. © Förderkreis Görlitzer Synagoge

Förderkreis sammelt Spenden für Opfer in Israel

Ebenfalls in Kfar Aza leben Nachfahren der Görlitzer Kurt und Eva Feldmann, verheiratete Hirschfeld. 18 Mitglieder der großen jüdischen Familien Feldmann und Hirschfeld waren erst im Juni 2023 zur Stolpersteinverlegung in Görlitz. Peter Feldmann aus Buenos Aires, der 2021 einmal im Joliot-Curie-Gymnasium vor Schülern sprach, erzählte in der Konsulstraße 21 von seiner Familie. Jetzt bittet er in Görlitz mit der Hilfe Lauren Leidermans um Unterstützung für die acht erwachsenen Familienmitglieder und die neun Kinder, die das Massaker ebenfalls in Schutzräumen und Verstecken überlebten, während die Hamas ihre Häuser plünderte und niederbrannte.

Für beide Familien sammelt der Förderkreis Görlitzer Synagoge Spenden. Sie kommen zu gleichen Teilen einer Initiative zum Wiederaufbau des Kibbuz Kfar Aza und der Spendenkampagne ein, die Peter Feldmann, seine Großnichte Tamar Hirschfeld und Lauren Leiderman gestartet haben. Der Förderkreis spendet selbst 2.000 Euro für den Kibbuz.

Der Oberbürgermeister gibt den Spendenaufruf an die Besucher des Pogromgedenkens weiter und ruft generell zum Engagement auf: "Lassen Sie uns dafür eintreten, dass die Europastadt Görlitz/Zgorzelec eine Stadt bleibt, die für Offenheit, Menschlichkeit und Toleranz steht."

Spendenkonto des Förderkreises Görlitzer Synagoge: IBAN DE13 8505 0100 3100 0059 95, Stichwort "Hilfe für Kfar Aza". Die Erlöse kommen je zur Hälfte dem Wiederaufbau des Kibbuz und der Hilfe für die Familie Hirschfeld-Feldmann zugute. Jeder Spender erhält eine Spendenbescheinigung.