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Kohleausstieg: Streit um A4-Ausbauvorschlag der Landräte aus der Oberlausitz

Sollen Gelder für lokale Projekte des Strukturwandels nun für den Ausbau der A4 verwendet werden? Die Landräte aus Görlitz und Bautzen wollen das. Doch unter Bürgermeistern formiert sich Widerstand.

Von Sebastian Beutler
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Dichter Verkehr auf der A4 zwischen Dresden und Görlitz ist nicht selten.
Dichter Verkehr auf der A4 zwischen Dresden und Görlitz ist nicht selten. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

2,4 Milliarden Euro - das war am Anfang des Kohleausstiegs vor fünf Jahren unvorstellbar viel Geld für Städte und Gemeinden in den Kreisen Görlitz und Bautzen. Ministerpräsident Michael Kretschmer bereiste fast alle Gemeinden und warb um große Vorhaben, um die Gelder sinnvoll einzusetzen: für neue Jobs und neue Wertschöpfung. Dahinter stand die Sorge, dass es gar nicht genügend Ideen für die 130 Millionen pro Jahr geben wird, die auch mit den Förderkriterien übereinstimmen.

Seitdem haben die Gemeinden fleißig Anträge für Gewerbegebiete-Erweiterungen, Wassernetz-Ausbau, Kita-Neubauten, Bad-Sanierungen, Straßenbahn-Modernisierung eingereicht. Mittlerweile sind mehr als 1,1 Milliarden Euro bereits vergeben: 472 Millionen Euro für kommunale Vorhaben und 640 Millionen Euro für Landesgelder. So teilte es die Sächsische Agentur für Strukturentwicklung im November mit. Der Görlitzer Landrat Stephan Meyer sprach zuletzt von rund 1,3 Milliarden Euro. Egal, welche Summe stimmt: Das ist schon mehr, als eigentlich bis 2026 zur Verfügung steht. Dann geht die erste von drei Perioden im Kohleausstieg zu Ende.

Die Landräte der Kreise Bautzen und Görlitz, Udo Witschas (2. v. li.) und Stephan Meyer (2. v. re.) wollen kommunale Kohleausstiegsgelder für Großprojekte verwenden.
Die Landräte der Kreise Bautzen und Görlitz, Udo Witschas (2. v. li.) und Stephan Meyer (2. v. re.) wollen kommunale Kohleausstiegsgelder für Großprojekte verwenden. © SZ/Uwe Soeder

Das ist deshalb wichtig, weil in jeder dieser Perioden nur eine bestimmte Summe Geld vergeben werden kann - und dann auch ausgegeben werden muss. So legt es das Gesetz fest. Da nicht alle Projekte immer in dem beantragten Zeitkorridor verwirklicht werden können, hat der Begleitausschuss Vorhaben auf Vorrat grundsätzlich beschlossen, damit kein Geld verloren geht. Und kaum hat man sich versehen, befinden sich im Topf für die Kommunen bis 2038 je nach Rechnung nur noch 1,1 bis 1,3 Milliarden Euro.

450 Millionen Euro für das Bau-Forschungsinstitut

Und selbst die sind nicht mehr ganz frei, geht es nach den Landräten der Kreise Görlitz und Bautzen, Stephan Meyer und Udo Witschas. So haben sie bis zu 450 Millionen Euro aus den Kohlegeldern für Projekte zugesagt, die die Kommunen zur Ausgestaltung des Forschungszentrums Bau-Lab "Living Art of Building" in der Oberlausitz einreichen können. Sonst hätte der Bund seinerseits bescheidene 69 Millionen Euro als Startfinanzierung nicht freigegeben.

Die Zusicherung der beiden Landräte gegenüber Berlin geschah im Herbst ohne Rücksprache mit den Bürgermeistern in den beiden Kreisen. Das stieß schon damals auf Verwunderung. "Mit uns hat offiziell niemand darüber gesprochen", erfuhr die SZ auf Nachfrage beispielsweise von Rathauschefs aus dem Kreis Görlitz. Meyer räumte auch ein, das Thema nicht im Kreis der Bürgermeister besprochen zu haben.

300 Millionen für den Ausbau der A4

Kurz darauf gab es die nächste Idee. Da der Bund den Ausbau der A4 stiefmütterlich behandelt, weil ihm einfach zu wenige Autos auf der Autobahn für einen großen Ausbau unterwegs sind, wollen die Landräte der beiden Kreise weitere 300 Millionen Euro für den Ausbau der A4 zwischen Hermsdorf und Bautzen ausgeben. Die Strecke Bautzen-Görlitz bliebe vorerst, wie sie ist.

Bürgermeister aus den Kreisen Bautzen und Görlitz forderten im März 2023 an der A4-Raststätte Oberlausitz einen schnellen Ausbau der A4 von Dresden bis Görlitz und eine schnelle Elektrifizierung der Bahnstrecke Dresden-Görlitz.
Bürgermeister aus den Kreisen Bautzen und Görlitz forderten im März 2023 an der A4-Raststätte Oberlausitz einen schnellen Ausbau der A4 von Dresden bis Görlitz und eine schnelle Elektrifizierung der Bahnstrecke Dresden-Görlitz. © SZ/Uwe Soeder

Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte sich lange dagegen gewehrt, kommunale Kohleausstiegsgelder für Pflichtleistungen des Bundes zu verwenden, wie es der Autobahnbau nun einmal ist. Zuletzt hatte er aber bei verschiedenen Gelegenheiten erklärt, die Region müsse letztlich darüber entscheiden. Bürgermeister aus beiden Kreisen, angeführt vom Bautzener Landtagsabgeordneten Marko Schiemann, hatten sich im März vergangenen Jahres für einen schnellen Ausbau der A4 ausgesprochen. Kommen die Landräte mit ihrem Vorstoß durch, stünden bis 2038 nur noch 400 bis 500 Millionen Euro für kommunale Vorhaben zur Verfügung. Bei Kretschmer hieß es bei einem Auftritt in Königshain im Herbst gar, dass dann das ganze Geld weg sei.

Doch mittlerweile formiert sich deutliche Kritik am Vorgehen der Landräte. Deswegen versuchen nun alle Beteiligten an diesem Mittwoch in Cunewalde die Wogen zu glätten. Dann treffen sich die Bürgermeister aus den Kreisen Görlitz und Bautzen zusammen mit den Landräten Udo Witschas und Stephan Meyer.

Bürgermeister fühlen sich übergangen

Die Kritik hat zwei Quellen. Zum einen ärgert es die Bürgermeister, dass über ihren Kopf hinweg über Gelder entschieden wird, die eigentlich ihnen zustehen. Zum anderen ist die Finanzierung von Straßen eine Pflichtaufgabe des Bundes. Warum sollen also die Kohleausstiegsgelder dafür verwendet werden? Diese Stimmungslage bestätigt auch Rosenbachs Bürgermeister Roland Höhne gegenüber der SZ, er ist Sprecher aller Bürgermeister im Kreis Görlitz.

Gerade aber Bürgermeister von A4-nahen Gemeinden und die beiden Landräte sehen in einer ausgebauten A4 auch einen wichtigen Baustein für den Strukturwandel in der Oberlausitz. Und pochen daher auf folgende Lösung: Die beiden Landkreise können für den Fall 300 Millionen für den A4-Ausbau verwenden, wenn der Bund sich verpflichtet, diese Gelder den Kreisen später erneut zur Verfügung zu stellen.

Doch wirft das viele Fragen auf: Was heißt später? Wie wird das Geld dann zwischen den Kreisen und Gemeinden verteilt? Und kann der Bund überhaupt angesichts seiner Finanzlage Gelder für die Zukunft noch zusagen?

Görlitzer Landrat will Weißwasser-Projekte befördern

Der Görlitzer Landrat Stephan Meyer, in diesem Jahr auch Chef des Kohle-Begleitausschusses in der Oberlausitz, der als Erstes über kommunale Strukturwandel-Vorhaben entscheidet, hat angekündigt, mit den Gemeinden um Weißwasser gemeinsam Projekte zu entwickeln, die dann mit den verbliebenen Kohleausstiegsgeldern finanziert werden sollen.

Er reagiert damit auf anhaltende Kritik, dass die Städte und Gemeinden gar nicht leistungsfähig sind, um solche millionenschweren Ideen reihenweise durch die Förderbürokratie zu bekommen. Und dass die Kommunen aus der kernbetroffenen Region benachteiligt werden. Doch zugleich könnte sein Angebot auch ein Baustein sein, um die Bürgermeister um Weißwasser für seine Pläne zu gewinnen - obwohl sie am weitesten von der A4 entfernt sind.