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Endlich wieder vor Ort: Görlitzer Literaturtage wagen Neustart

In der dieser Woche dreht sich in Görlitz alles um Geschichten über Flucht und Veränderung, Vergangenheit und Gegenwart. Mit prominenten Autoren.

Von Sebastian Beutler
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Christiane Hoffmann, Journalistin, Autorin und Vize-Regierungssprecherin der Bundesregierung, kommt zu den Literaturtagen in Görlitz.
Christiane Hoffmann, Journalistin, Autorin und Vize-Regierungssprecherin der Bundesregierung, kommt zu den Literaturtagen in Görlitz. © Martin Schneider

Ein Hauch von Unsicherheit begleitet die Görlitzer Literaturtage in diesem Jahr. Ab kommenden Mittwoch unternehmen sie mit der fünften Auflage quasi einen Neustart. Ungewöhnlich lange fünf Jahre liegen zwischen den letzten "normalen" Literaturtagen und der Veranstaltung in diesem Jahr. 2020 zwang Corona zu einer Verschiebung, und auch 2021 konnten die Literaturtage nur per Live-Stream stattfinden. "Wir hoffen, dass das Publikum wieder kommt", sagt Magdalena Gebala vom Deutschen Kulturforum östliches Europa in Potsdam, die das Programm zusammenstellte.

Ein wenig Hoffnung können die Online-Erfahrungen aber auch machen. 16.000 Zugriffe zählten die Organisatoren vor zwei Jahren auf die Streaming-Veranstaltungen, und als im vergangenen Jahr Christiane Hoffmann ihr Buch "Alles, was wir nicht erinnern" über die Verarbeitung der Flucht ihres Vaters aus seinem schlesischen Heimatdorf 1945 in einer Görlitzer Buchhandlung vorstellte, reichten die Plätze nicht aus.

Christiane Hoffmann kommt auch zu den diesjährigen Literaturtagen nach Görlitz. Mittlerweile als preisgekrönte Autorin. Denn der sperrige Titel hat nicht verhindern können, dass sie von der Stiftung Ravensburger Verlag mit dem Buchpreis Familienroman ausgezeichnet wurde.

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Doch es ist nicht einfach eine Wiederholung ihrer Lesung vom vergangenen Jahr, die nun am 23. April in der Synagoge und damit am Schlusstag der Literaturtage stattfinden wird. Hoffmanns Familiengeschichte erhält eine Erweiterung durch das handschriftliche Tagebuch von Elsbeth Peuker, der Großmutter der früheren Görlitzer Wirtschaftsförderin Andrea Behr.

Elsbeth Peuker stammt aus demselben Ort in Schlesien wie Hoffmanns Vater und sie gehörte auch demselben Flüchtlingstreck im Januar 1945 an. Durch Zufall fanden die Frauen zusammen und werden in Görlitz nun über ihre Familiengeschichten und den sehr unterschiedlichen Umgang von Flucht und Vertreibung in Ost- und Westdeutschland sprechen. An ihrer Seite Andreas Kossert, der Historiker hat viel über Flucht und Vertreibung geschrieben, zuletzt das Standardwerk "Flucht - eine Menschheitsgeschichte".

Das Thema ist in diesen Tagen so aktuell wie selten. Beispielsweise durch den Ukraine-Krieg, der Millionen Ukrainer zur Flucht zwang. Über 1.000 von ihnen fanden in Görlitz und Zgorzelec Zuflucht. Es ist daher naheliegend, dass gleich zur Eröffnung der Literaturtage am Donnerstag der ukrainische Autor Yuriy Gurzhy mit der freien Journalistin Ira Peter und dem polnischen Autor Ziemowit Szczerek über die Ukraine diskutieren wird. Moderiert wird das Gespräch von dem in Dresden lebenden Schriftsteller Marcel Beyer, der mit dem Georg-Büchner-Preis bereits eine der höchsten deutschen Literaturauszeichnungen erhielt.

Genau solche Diskussionen will Magdalena Gebala zum Markenzeichen der Literaturtage machen, deren Budget mit den großen Lesefesten im Lande nicht mithalten können, aber eine "eigene Handschrift" entwickelt haben. Zusammen mit dem städtischen Kulturservice richtet das Kulturforum alle zwei Jahre den Fokus auf das Dreiländereck Deutschland, Polen und Tschechien und darauf, was die Länder verbindet, trennt und prägt.

Und arbeitet sich dabei auch von der Vergangenheit in die Gegenwart vor. So verhandelt eine Gesprächsrunde am nächsten Sonnabend den Strukturwandel im Ruhrgebiet, in der Lausitz und in Oberschlesien. Cornelius Pollmer von der Süddeutschen Zeitung begrüßt dazu am Sonnabend die deutsche Sozialwissenschaftlerin Julia Gabler, den polnischen Politikwissenschaftler Jan Opielka und Gregor Sander, der seine Leser mit dem Buch "Lenin auf Schalke" nach Gelsenkirchen entführt.

Und was wären Literaturtage ohne Buchvorstellungen! Immerhin gelang es, Karolina Kuszyk nach Görlitz zu holen. Ihr Buch "In den Häusern der anderen, Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen" wird sowohl in Görlitz als auch in Zgorzelec vorgestellt. Schließlich gibt es eine Premiere: So wird die deutsche Erstausgabe des Buches "Breslau. Die Stadt der Geretteten" von Mieczyslawa Wazacz vorgestellt, die Übersetzung initiierte die Kulturbeauftragte am Schlesischen Museum in Görlitz. Und wer weiß, vielleicht geschieht so ein Wunder wie bei Olga Tokarczuk: Sie war erst in Görlitz - und erhielt dann den Literaturnobelpreis.

Das Programm der Literaturtage Görlitz gibt es im Internet unter: www.literaturtage.eu. Karten gibt es im Vorverkauf im DDV-Lokal der Sächsischen Zeitung auf dem Obermarkt 26 in Görlitz sowie online unter www.reservix.de.