SZ + Görlitz
Merken

Deineges nächster Kollege wird 100

Helmut Friebel war Schmied, Waggonbauer und Kirchenältester. Nun ist er der zweitälteste Mann in Görlitz. SZ-Leser kennen auch seinen prominenten Sohn.

Von Ingo Kramer
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Helmut Friebel steht in seinem Wohnzimmer, das er üppig dekoriert hat – auch mit Bildern von seinem geliebten Riesengebirge.
Helmut Friebel steht in seinem Wohnzimmer, das er üppig dekoriert hat – auch mit Bildern von seinem geliebten Riesengebirge. © Martin Schneider

Die Waggonbau-Schmiede scheint kein schlechter Ort zu sein für Männer, die später einmal so richtig alt werden wollen. Herbert Nickgen hat dort gearbeitet. 2015 feierte der Görlitzer in der Innenstadt seinen 100. Geburtstag, 2019 starb er mit 104 Jahren. Da war er der älteste Mann von Görlitz. An diesem Sonntag wird nun auch Nickgens einstiger Kollege Helmut Friebel 100 Jahre alt. Auch er war in der Schmiede tätig, auch er lebt in der Görlitzer Innenstadt – und mittlerweile ist er der zweitälteste Mann in Görlitz. Nur ein Königshufener ist noch ein halbes Jahr älter.

Das Bild zeigt Herbert Nickgen im Jahr 2015 zu seinem 100. Geburtstag in der Wohnung, in der er seit 1955 lebte.
Das Bild zeigt Herbert Nickgen im Jahr 2015 zu seinem 100. Geburtstag in der Wohnung, in der er seit 1955 lebte. © nikolaischmidt.de

Was Herbert Nickgen und Helmut Friebel auch verbindet: Im Waggonbau waren sie Kollegen des späteren Oberbürgermeisters Siegfried Deinege. „Der Siegfried war mein letzter Vorgesetzter, bevor ich 1986 in Rente gegangen bin“, berichtet Friebel, der sowohl körperlich als auch geistig noch bemerkenswert fit ist. Das Laufen, vor allem das Treppensteigen, bereitet ihm Probleme, aber davon abgesehen geht es ihm gut. „Mit dem Siegfried war ich per Du, wir haben uns sehr gut verstanden“, sagt er.

Als Kind eines Schmiedemeisters geboren

Helmut Friebel stammt nicht aus Görlitz, sondern wurde am 6. Juni 1921 in Probsthain im Kreis Goldberg in Schlesien geboren – als einziges Kind eines selbstständigen Schmiedemeisters und einer Hausfrau. Probsthain heißt heute Proboszczów und befindet sich 75 Kilometer östlich von Görlitz. Bis zum Kriegsbeginn 1939 lebte er in dem Dorf, ging dort bis 1935 zur Schule und lernte anschließend Schmied.

1939 musste er zum Arbeitsdienst – und pflanzte Fichten im Riesengebirge. Allerdings nur für ein halbes Jahr. Schon im Frühling 1940 wurde er zur Luftwaffe einberufen. Dort gehörte er zum technischen Personal, musste Maschinen warten. „Aus gesundheitlichen Gründen kam ich nicht zum Fliegen, obwohl ich das gern gewollt hätte“, sagt er. Doch weil er nette Vorgesetzte hatte, durfte er einmal mitfliegen. 1944 wurde er – weil er Schmied war – in die Rüstung versetzt. Und als der Krieg 1945 endete, hatte er Glück, kam nicht in Gefangenschaft, sondern konnte sich schnell nach Hause durchschlagen.

1947 nach Görlitz gezogen

„Aber im Dezember 1946 mussten wir raus“, erinnert er sich. Zusammen mit seinen Eltern kam er nach Riesa, aber schon 1947 nach Görlitz. „Der Waggonbau suchte Metallhandwerker“, sagt er. Deshalb bekamen seine Eltern und er eine Zuzugsgenehmigung nach Görlitz. Helmut Friebel arbeitete zunächst im Personenwagenbau, später dann – gemeinsam mit seinem Vater – in der Waggonbau-Schmiede. „Die Arbeit hat mir Spaß gemacht“, sagt er. Und er sei auf seinem Gebiet sehr gut gewesen: „Mir konnte niemand reinpfuschen, auch der Meister konnte mir nichts beibringen.“

Was ihn freute: Nach Feierabend konnte er im Betrieb viel für die Görlitzer Lutherkirche machen. Dort war er 25 Jahre lang Kirchenältester. Wenn es um handwerkliche Dinge ging, war Helmut Friebel zur Stelle. Er setzte elektrische Geräte instand, baute mit Schlossermeister Wagner aus der Leipziger Straße Zäune, setzte die Freitreppenbeleuchtung der Lutherkirche instand, kümmerte sich um die Orgel – und war auch am Bau des Lutherdenkmals beteiligt. „Für den Guss des Denkmals bin ich zweimal mit nach Lauchhammer gefahren“, erinnert er sich. Als es schließlich aufgestellt wurde, unterstützte der Waggonbau ihn mit einem Kranfahrzeug.

Er hat unter den Pfarrern Klein, Heimbach und Hübner gearbeitet. „Ich habe mich mit allen gut verstanden“, sagt er. Und die Arbeit für die Kirche, die habe ihm „Laune gemacht“, wie er es gern formuliert. Zudem sei er sehr musikalisch gewesen, habe Geige gespielt und im Lutherchor gesungen. Besonders gern erinnert er sich noch immer an die ökumenischen Konzerte mit den Kantoren Wilke und Jonkisch: „Da waren wir vier Chöre und hatten 500 bis 600 Zuhörer.“

Seit 1952 in der Landeskronstraße zuhause

Seit 1952 lebt er in der Landeskronstraße und damit ganz nah an seiner Kirche. Bei einem Umbau 1991 wechselte er die Wohnung, blieb aber im gleichen Grundstück wohnen – bis heute. Auch sein ganzes Familienleben spielte sich hier ab. Seine Frieda lernte er um 1950 bei Verwandten in Horka kennen, schon im Juni 1951 heirateten die beiden und im Oktober 1951 kam Sohn Wolfgang zur Welt – wiederum das einzige Kind. Der mittlerweile pensionierte Wolfgang Friebel ist vielen SZ-Lesern gut bekannt: Als ehemaliger Gartenmeister im Schlosspark Pillnitz gibt er auf den Ratgeber-Seiten bis heute Gartentipps.

Er schenkte Helmut Friebel drei Enkel, die heute in Berlin, Stuttgart und Hamburg leben und für vier Urenkel gesorgt haben. Nur von seiner Frau musste sich Helmut Friebel früh verabschieden: Bereits 1986 starb sie. „Das war genau in dem Jahr, als ich Rentner wurde“, sagt er: „Wir hatten noch so viel vor.“ Ihr früher Tod habe ihm sehr weh getan. Auch eine spätere Bekannte starb nach ein paar Jahren. Doch längst hat er eine neue Partnerin, eine jüngere Frau: „Sie wird nächstes Jahr 90.“

Die Wochenenden verbringt er oft bei ihr in Weinhübel, unter der Woche lebt er in der eigenen Wohnung in der Innenstadt. Er bedauert sehr, dass sie beide nicht mehr gut zu Fuß sind. Nach Weinhübel muss er gefahren werden. Ansonsten ist das Lesen im Alter sein wichtigstes Hobby. Vor allem mit Geschichte befasst er sich – und hält sich somit geistig fit. „Zum Glück spielen auch die Augen noch gut mit“, sagt er.

Und wie hat er es nun geschafft, so alt zu werden? Liegt es tatsächlich an der Schmiede? „Ich weiß es nicht“, sagt Helmut Friebel: „Gesoffen habe ich jedenfalls nicht, geraucht auch nicht.“ Ein Bier oder einen Schnaps gönne er sich aber bis heute regelmäßig. Auch am Sport kann es nicht liegen. „Mein Beruf war Sport, aber sonst habe ich nichts gemacht, auch nicht als Rentner.“ Dass er einmal so alt wird, habe er jedenfalls nie gedacht.

Bisher gut durch die Pandemie gekommen

Zum 100. Geburtstag am Sonntag ist wegen Corona keine große Feier geplant. Aber Friebel ist bisher gut durch die Pandemie gekommen: „Inzwischen bin ich zweimal geimpft.“ Und wie lange möchte er gern bleiben? Bis zur 105? Auch darüber denkt er nicht nach. „Da vertraue ich nach oben“, sagt er – und zitiert einen Bibelvers: „Meine Zeit steht in Deinen (Gottes) Händen.“