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Fast 200 Blitzer-Fotos ungültig

Das mobile Gerät einer Wetzlarer Firma liefert offenbar fehlerhafte Ergebnisse. Landkreis und Stadt Görlitz haben deshalb reagiert.

Von Matthias Klaus
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Das Ordnungsamt Görlitz im Einsatz, mit Leivtec. Das gibt es nun nicht mehr.
Das Ordnungsamt Görlitz im Einsatz, mit Leivtec. Das gibt es nun nicht mehr. © Pawel Sosnowski

Gibt es Hoffnung für 195 Verkehrssünder im Kreis Görlitz? So viele Verfahren hat das Landratsamt seit dem 15. März eingestellt, Verfahren, bei denen es um zu schnelles Fahren geht. Aber weil die Messtechnik offensichtlich fehlerhaft arbeitet, blitzt die Behörde nun nicht mehr damit.

Bereits im Oktober vergangenen Jahres hatte sich die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) mit dem mobilen Blitzer-Messgerät Leivtec XV 3 beschäftigt. Damals konnte sie allerdings den Verdacht fehlerhafter Messungen nicht nachvollziehen, sie aber auch nicht ganz ausschließen. Mitte März dieses Jahres allerdings nach Versuchen von Sachverständigen schon. Unter bestimmten Umständen, heißt es von der PTB, kann es bei dem Blitzgerät zu "unzulässigen Messwertabweichungen" kommen, Abweichungen "insbesondere auch zu Ungunsten des Betroffenen".

Vier Messanlagen im Kreis im Einsatz

Nach Angaben des Herstellers, der Wetzlarer Firma Leivtec, werden im Landkreis Görlitz insgesamt vier der Messanlagen eingesetzt, Stand Ende 2019: zwei davon vom Landratsamt, jeweils eine von den Städten Görlitz und Löbau. In Görlitz blitzt die Anlage demnach seit Juni 2014, im Landkreis seit November 2010.

Leivtec hat nach Bekanntwerden der Messergebnisse erst einmal die Reißleine gezogen und alle Kunden gebeten, "von weiteren amtlichen Messungen vorerst Abstand zu nehmen". Nach Veröffentlichung der finalen Prüfergebnisse der PTB wolle man sich wieder melden.

Daran hält sich auch die Stadt Görlitz. Am 12. März kam im Rathaus die E-Mail des Herstellers aus Wetzlar an. "Danach wurde das Gerät von unseren Messbediensteten nicht mehr verwendet", so Stadtsprecherin Juliane Zachmann. Und: "Alle noch nicht rechtskräftigen Ordnungswidrigkeitenverfahren, die aus Messungen mit diesem Gerätetyp resultieren, ruhen." Wie viele das in der Stadt sind, wurde nicht mitgeteilt.

Landkreis und Stadt Görlitz blitzen nicht mehr

"Die noch offenen Verfahren, die auf diesem Gerätetyp basieren, sind aus meiner Sicht durch die Bußgeldstelle oder das Amtsgericht von Amts wegen einzustellen", sagt der Görlitzer Fachanwalt für Verkehrsrecht, Robby Marek.

Ähnlich sieht man es auch beim ADAC. "Der Hersteller des Messgerätes ist aufgrund entlarvender Versuche von Sachverständigen in letzter Zeit immer weiter zurückgerudert", so ADAC-Vertragsanwalt Tim Küchenmeister in Dresden. Es sei festgestellt worden, dass bei bestimmten Fahrzeugoberflächen und Reflektoren an den Fahrzeugen es zu einer so genannten "Stufenprofilmessung" gekommen ist. "Damit konnten Messwertabweichungen von bis zu elf Kilometern pro Stunde nachgewiesen werden. Da hingen oft Punkte oder sogar Fahrverbote für die Leute dran", so der Anwalt.

Blitzer-Hersteller zieht Reißleine

Dass Leivtech nun empfiehlt, das Gerät nicht mehr einzusetzen, sei schon "fast einzigartig und mir bisher nicht untergekommen", sagt Tim Küchenmeister.

"Meiner Ansicht nach ist es nicht auszuschließen, dass ein Großteil der noch offenen Verfahren unter eben diesen Messfehlern leidet. Die Bußgeldstellen und Amtsgerichte können mit den bereits bekannten Informationen nicht mehr vom sogenannten standardisierten Messverfahren ausgehen", sagt der Anwalt. In jedem einzelnen Verfahren müsse ein Sachverständiger eingeschaltet werden, um die Geschwindigkeitsmessung und das Messergebnis zu prüfen.

"Es ist mit diesem Eingeständnis der Fehlerhaftigkeit von Leivtec nicht mehr sachgerecht, das Risiko einer Fehlmessung auf den Autofahrer abzuwälzen", so Tim Küchenmeister. Oft könne sich ein Autofahrer nur effektiv wehren, wenn er auf eigene Kosten ein Sachverständigengutachten beauftragt und damit der Behörde oder dem Amtsgericht die Messfehler nachweist. Erst dann würden Bußgeldverfahren eingestellt. Der Autofahrer beziehungsweise dessen Rechtsschutzversicherung blieben auf den Kosten für Sachverständige und Anwalt sitzen.

Da der Hersteller des Gerätes nunmehr offenbar selbst nicht mehr an das Funktionieren glaube, müssten nach Ansicht Tim Küchenmeisters die Bußgeldstellen für jede einzelne Messung ein Gutachten auf eigene Kosten beantragen. Das würde allerdings sehr viel Geld kosten.

Anwalt empfiehlt: nicht zahlen

Die Meinung des Anwaltes deshalb: sämtliche offene Verfahren bezüglich Messungen mit Leivtec XV3 einstellen. "Ob es so kommen wird, werden die nächsten Wochen zeigen", sagt er. Die Entscheidungen für den Einzelfall liegen bei den Bußgeldstellen oder dem Amtsgericht.

Tim Küchenmeister hat für die Betroffenen einen Tipp: Bußgelder nicht akzeptieren und nicht bezahlen. "Es wäre ratsam, gegen Bußgeldbescheide innerhalb von 14 Tagen Einspruch einzulegen", sagt er. Im Zweifelsfall sollte anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden.

Allein das Landratsamt verschickte im vergangenen Jahr 1.329 Bußgeldbescheide in Höhe von fast 98.000 Euro. Ein Großteil davon liegt wohl in einem eher niedrigen Euro-Bereich.

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