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Warum die letzten Mieter eines Neubaublocks in Görlitz nicht raus wollen

Ende 2024 muss die Häuserzeile An der Terrasse 9 bis 15 in Görlitz-Königshufen leer sein. Schon jetzt wohnen nur noch einzelne Mieter dort. Sie erzählen, warum.

Von Susanne Sodan
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Alles ist nah und trotzdem ist es ruhig: Kacper, Arkadius und Adrian Kowalczyk (von links) sind eines der letzten Mieter im Wohnblock An der Terrasse in Görlitz-Königshufen. Sie leben gerne dort.
Alles ist nah und trotzdem ist es ruhig: Kacper, Arkadius und Adrian Kowalczyk (von links) sind eines der letzten Mieter im Wohnblock An der Terrasse in Görlitz-Königshufen. Sie leben gerne dort. © Martin Schneider

Das Haus Nummer 15 ist dunkel. Fast. Aus einer einzigen Wohnung in dem Fünfgeschosser dringt Licht. An einer einzigen Klingel am Eingang steht noch ein Name. Hier wohnt Arkadius Kowalczyk mit seiner Familie. Alleine in einem Haus, das eigentlich für 15 Mietparteien gedacht ist - nein, Angst habe er keine, sagt Kowalczyk. Er nimmt es eher mit Humor. Der Hausmeister komme ja fast täglich vorbei. Und auf jeden Fall ist der Block, zu dem drei weitere Eingänge zählen, jetzt eine sehr ruhige Wohnlage. Die er aber bald verlassen muss.

Der Neubaublock An der Terrasse 9 bis 15 in Görlitz-Königshufen wird komplett leergezogen, „um Platz für Neues zu schaffen“, teilt Jenny Thümmler mit, Pressereferentin des Großvermieters Kommwohnen, zu dem der Block gehört. Fest stehe: Die Gebäudesubstanz sei in einem sehr schlechten Zustand, die Grundrisse nicht mehr zeitgemäß.

Zum anderen laufe der Vertrag mit den Stadtwerken zur Gasversorgung Ende 2024 aus. Ob das eine Sanierung oder gar einen Abriss bedeutet - ganz klar ist das noch nicht, erzählt sie. Die aktuelle Lage, die Frage, wie sich die Baukosten entwickeln, machen die Planungen nicht einfacher.

"Ich will ja nicht ausziehen, ich habe hier alles"

2024, das ist noch eine Weile hin. Doch das Bild an allen vier Eingängen des Blocks ist ähnlich: Hinter blinden Fenstern liegen die meisten Wohnungen schon im Dunkeln. Nur hinter wenigen Fenstern ist noch Licht, stehen Blumentöpfe auf den Fensterbänken. Eine Frau steuert auf den Eingang von Nummer 9 zu, öffnet die Haustür. „Wir sind noch fünf“, erzählt sie.

Drinnen sieht es schon etwas wohnlicher aus - nach „doch noch jemand da“. Macht man das Licht an, beginnt ein Stromkasten leise zu summen. Eines der Etagenfensterbretter hat jemand mit bunten Blumentöpfen und Grünpflanzen geschmückt. Eine Pinnwand neben den Briefkästen teilt die neuesten Mieterinformationen mit, und was bei Gasgeruch zu tun ist.

Ihren Namen möchte die Mieterin, eine Frau im mittleren Alter, nicht in der Zeitung lesen. Seit zwölf Jahren wohnt sie hier, erzählt sie aber. Im Sommer habe sie den Brief von Kommwohnen erhalten, der ankündigte, dass alle Wohnungen zu Ende 2024 gekündigt werden. "Ich warte jetzt ab", auf ein Wohnungsangebot durch Kommwohnen. Selber eine neue Wohnung suchen, selbst umziehen - die Frau schüttelt den Kopf, schmunzelt. Warum sollte sie, "ich will ja nicht ausziehen, ich habe hier alles."

Königshufen, zum größten Teil Neubaugebiet, gehört zu den Stadtteilen, die seit Jahren nicht oder nur wenig vom Zuzug in die Stadt profitieren. Im September stand für Königshufen ein Plus von 28 Einwohnern zu Buche, aber auf lange Sicht zählt der Stadtteil zu den Einwohner-Verlierern. Neben Kommwohnen vermieten hier auch die Wohnungsgenossenschaft Genos, das Unternehmen TagWohnen, in kleinerem Maß auch kleinere Immobilienfirmen. Schon so einige Blocks sind saniert worden, um sie attraktiv zu machen. So auch 2019 der Nachbarblock, An der Terrasse 17 bis 23. Doch so einige Häuser wurden auch abgerissen - zu wenig Bedarf.

Doch es gibt auch Fans der Platte. Wie die letzten Mieter An der Terrasse 9 bis 15. Zum Netto-Markt sind es nur wenige Schritte, ebenso zur Straßenbahnhaltestelle auf der Schlesischen Straße. Der Neißepark mit seinen Geschäften ist fußläufig. „Und hier gibt es richtig große Keller“, sagt die Mieterin von Nummer 9, „nicht solche kleinen Löcher.“ Auch abgesehen vom Leerzug des Blocks, es sei eine ruhige Lage. Früher habe sie auch schon in der Innenstadt gewohnt, „aber das ist mir zu trubelig.“

Viele Erinnerungen stecken in dem Block

Der Gedanke an den Umzug - „es fällt mir schwer, sehr“, sagt sie. Als ihre Kinder noch jünger waren, verbrachten sie ihre Freizeit oft in der ehemaligen Kinder- und Jugendfarm am Ostring, die 2003 schließen musste. Und die Schule war in der Nähe. Alles ist da. Die Frau wird traurig, Tränen steigen auf.

Ihr Mann war da. „Er ist hier gestorben“, erzählt sie. 2018 war das. Aus der Wohnung ausziehen müssen, das bedeutet für sie auch, noch einmal Dinge in die Hand zu nehmen, die sie mit ihm verbindet, seine Dinge. Noch ein Abschied nach dem Abschied. Sie möchte so lange bleiben, wie es geht.

Von außen mag der Block keine Augenweide mehr sein, doch manche Mieter verbinden viel mit ihm.
Von außen mag der Block keine Augenweide mehr sein, doch manche Mieter verbinden viel mit ihm. © Martin Schneider

Entscheiden sich Mieter früher für einen Umzug, „helfen wir natürlich sehr gern bei der Wohnungssuche“, so Jenny Thümmler. Aber einfach eine neue bestimmte Wohnung anbieten, werde Kommwohnen nicht, dazu brauche es individuelle Absprachen. Weil sich zum Beispiel mit den Lebensumständen auch die Wohnungsansprüche geändert haben, schildert sie, man vielleicht eine kleinere oder größere Wohnung möchte.

Noch eine Mieterin, eine ältere Dame, öffnet die Tür. Ob mit oder ohne Kommwohnen, sie werde keine neue Wohnung mehr suchen, „das wird für mich nichts mehr. Ich ziehe nächstes Jahr ins Pflegeheim“, erzählt sie. Das fällt auch ihr offenbar nicht leicht. „Ich habe mein halbes Leben hier gewohnt“, sagt sie. Über 90 sei sie jetzt, „1978 sind wir eingezogen“, erzählt sie ohne überlegen zu müssen. 45 Jahre - „ich hatte nichts auszustehen“, fasst sie zusammen. Von außen ist das bräunliche Gebäude keine Augenweide. Aber wen stört das, wenn man von innen einen so schönen Ausblick hat?

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Im zweiten und dritten Eingang wohnen laut den Klingelschildern noch insgesamt neun Mietparteien. Hinter den Fenstern ist an diesem Abend alles dunkel. Bis ein Mieter, vielleicht um die 40, nach Hause kommt. „Ich habe keine Eile“, sagt er mit Blick auf den anstehenden Auszug. „So, wie es ist, ist es eigentlich ganz schön. Ich habe meine Ruhe.“

"Platte" kann schön sein

Von der hat Familie Kowalczyk sogar noch mehr, die letzten Mohikaner von Nummer 15. Die Familie ist diese Situation inzwischen gewohnt. Der vorletzte Mieter im Haus sei schon vor einer ganzen Weile ausgezogen, erinnert sich Arkadius Kowalczyk. Er stammt aus Zgorzelec, lebt seit vielen Jahren in Görlitz. „Das hier ist meine vierte Wohnung“. Er habe auch schon in anderen Stadtteilen gewohnt, etwa auf der Joliot-Curie-Straße in der Innenstadt. „Aber diese hier ist die schönste Wohnung bisher.“ Die Ruhe, auch er nimmt sie positiv.

Doch eines fehlt ihm in Görlitz. Eine Arbeit hätte er hier gern gefunden. „Aber ich suche schon seit zehn Jahren.“ Eigentlich hat er eine Ausbildung im Bereich der Technik-Ökonomie, erzählt er. Doch sei es für ihn unheimlich schwer, einen Job zu finden. Vermutlich auch wegen seiner Behinderung, nimmt er an. Eine angeborene Dysmelie, eine Fehlbildung an den Gliedmaßen. Dazu kommt: In seinem Bereich müsse man eigentlich immer auf dem neuesten Stand bleiben. Seine Offenheit, seinen Humor kann ihm all das nicht nehmen. „Dann muss ich eben selber versuchen zu lernen.“

Wie es für ihn nun mit der Wohnung weitergeht? Er habe sich deswegen bereits an Kommwohnen gewandt, aber noch keine Antwort bekommen. Auch er will gern in Königshufen, in der Nähe bleiben. Vor allem wegen seiner Kinder, 14 und 15 Jahre alt. Eines der Kinder besucht das Förderschulzentrum Mira Lobe in Königshufen, das andere Kind eine Schule in Hoyerswerda. So werden Kowalczyks wohl nicht bis zum Schluss, 2024, bleiben. Aber wirklich eilig mit dem Auszug hat es hier keiner.