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Warum immer mehr Polen in Görlitz leben

Wieder war Görlitz in den internationalen Medien, mit der Brexit-Kampagne. Eine Frage ist aber auch, ob die Corona-Krise etwas mit dem Zuzug zu tun haben kann.

Von Susanne Sodan
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Blitzlicht auch im Juni - als die Grenze wieder geöffnet wurde. Ob die Schließung im Frühjahr aber etwas mit dem Zuzug von Polen nach Görlitz zu tun hat - Stadt und Migrationsberatung nehmen das nicht an.
Blitzlicht auch im Juni - als die Grenze wieder geöffnet wurde. Ob die Schließung im Frühjahr aber etwas mit dem Zuzug von Polen nach Görlitz zu tun hat - Stadt und Migrationsberatung nehmen das nicht an. © Nikolai Schmidt

Görliwood. Wenn Görlitz in internationalen Medien vertreten ist, dann meist als Filmstadt. Seit einiger Zeit aber taucht die Stadt auch mit einem anderen Thema, gerade in den britischen Zeitungen, auf - ihrer Brexit-Kampagne. So titelte jetzt The Telegraph: "Deutsche Grenzstadt lockt Polen, Großbritannien zu verlassen". Denn Görlitz, an der polnischen Grenze, glaube "das Beste beider Welten" bieten zu können.

Ein Umzug von Großbritannien nach Görlitz, noch dazu in der Corona-Krise - das ist eine wahre Herausforderung. Aber Anna und Bartek Truch sind vor Kurzem nach Görlitz gezogen - der Brexit war tatsächlich der Hauptgrund. Beide stammen aus Luban, lebten einige Zeit in Großbritannien, wo Bartek Truch aufgrund der immer schwierigeren wirtschaftlichen Lage im Brexit aber seinen Job verlor, schilderte er kürzlich gegenüber der EGZ (Europastadt Görlitz Zgorzelec). In Görlitz wohnt eine Schwester von Anna Truch. Nachdem die Familie die Sommerferien größtenteils hier verbracht hat, fiel die Entscheidung, ebenfalls an die Neiße zu ziehen.

Über 4.000 Polen leben in Görlitz

Görlitz hatte zuletzt deutlichen Zuzug von polnischen Bürgern. Insgesamt war die Zahl der ausländischen Einwohner von Görlitz leicht gestiegen voriges Jahr, deutlich bei den polnischen Bürgern. Ihre Zahl wuchs 2020 um 402 auf über 4.400. Ob das zumindest teils auch mit der Werbung von Görlitz um Polen aus Großbritannien zu tun hat?

Mit Zahlen lasse sich das nicht unterlegen, erklärt Stadtsprecherin Juliane Zachmann, "denn sie melden sich natürlich nicht in Bezug auf diese Kampagne bei der EGZ an", erklärt sie. Die EGZ hat den Hut auf für die Kampagne, die jetzt seit etwa einem Jahr läuft, mit einer Pause im Frühjahr bedingt durch die Grenzschließung. Vor allem die Aufmerksamkeit, die sie erzeugte, sieht die Stadt als Erfolg. "Viele nationale und internationale Medien haben darüber berichtet".

Sorgen Coronamaßnahmen für Abmeldungen?

Für den Zuzug ausländischer Bürger insgesamt sieht die Stadt aber vor allem längerfristige Aspekte: Arbeitsplätze, die Grenznähe, verfügbarer und bezahlbarer Wohnraum, kurze Wege, die Familienpolitik.

Eine Frage war zuletzt auch, ob sich die Corona-Krise, nicht zuletzt mit der Grenzschließung über mehrere Monate, auf Wohnsitzan- oder Abmeldung auswirkt. Die SZ hatte zunächst berichtet, dass Görlitz im Dezember massiv Einwohner verloren hatte, aus verschiedene Gründen, auch durch die hohe Zahl an Sterbefällen in Zusammenhang mit dem Coronavirus.

Ein Facebook-Nutzerin hatte noch anderes angenommen: "Viele polnische Bürger melden ihre Wohnsitze ab, aus selbstverständlichen Gründen...". Auf Nachfrage, was damit gemeint sei, schreibt sie, es gebe "viele polnische Bürger, die entweder fiktiv oder sporadisch in Deutschland anwesend sind", wegen "behördlicher Anforderungen". "Jetzt wird es bei der Grenzkontrolle irgendwie zweifelhaft, falls man beispielsweise dem deutschen Arbeitgeber die deutsche Anschrift angegeben hat, und dann irgendwie jeden Tag nach Polen pendelt."

Seit Wiederöffnung der Grenze im Juni gibt es keine dauerhafte Grenzkontrolle. Scheinwohnungen waren aber vor rund anderthalb Jahren zuletzt ein Thema in Görlitz. Eines, das sich, etwa mit Blick auf die Gründe, schwer aufklären lässt, wie SZ-Recherchen zeigten. Zu den Mutmaßungen des Facebook-Nutzers schüttelt Alexander Enz, Migrationsberater beim Caritasverband, jedenfalls den Kopf.

Zweitwohnsitz ist nicht gleich Scheinwohnsitz

"Es ist nicht auszuschließen, dass es Leute gibt, die es versuchen", sagt Enz. Aber etwa mit Leistungsmissbrauch durchzukommen, "ist fast unmöglich". Wer beispielsweise, nachdem er sozialversicherungspflichtig in Deutschland gearbeitet hat, Arbeitslosengeld beantragen möchte, muss seit einigen Jahren auch einen Wohnsitz in Deutschland nachweisen. "Dass es sich dabei um keinen Scheinwohnsitz handelt, wird von den Behörden äußerst genau geprüft", sagt Enz. Zum Beispiel auch mit Vor-Ort-Überprüfungen. Oder: Wer fünf Jahre in Deutschland gewohnt und gearbeitet hat, hat Anspruch auf eine Daueraufenthaltsgenehmigung. "Ich habe es tatsächlich schon erlebt, dass zum Beispiel die Gasrechnungen aus fünf Jahren vorzulegen waren." Oder dass Polen, die wirklich in Görlitz wohnen, zunächst nicht geglaubt wurde.

"Man sollte auch bedenken, dass es nicht verboten ist, zwei Wohnsitze zu haben. Mancher möchte vielleicht aus völlig legalen Gründen eine Postanschrift in Görlitz haben", erklärt Enz.

Während der Corona-Krise ist die Migrationsberatung eingeschränkt. Seinem Eindruck nach hatten die Krise oder auch die Maßnahmen wie die Testpflicht für Berufspendler aber kaum Einfluss auf Umzugsfragen. Auch laut der Stadt ist ein Zusammenhang zwischen An- und Abmeldungen und der Corona-Krise nicht erkennbar. "Die Zeit der Grenzschließung war auf jeden Fall eine große Belastung", sagt Alexander Enz. Für Grenzpendler, aber etwa auch für Polen, die in Deutschland leben und Familie in Polen haben.

Eine Abmeldung des deutschen Wohnsitzes in der Corona-Krise - dafür kann er sich aber keine guten Gründe vorstellen. Wenn, dann eher das Gegenteil. Von zwei, drei Familien, die in Polen leben, habe er während der Grenzschließung gehört, dass sie überlegen, nach Görlitz zu kommen. Das seien Familien, die diesen Gedanken ohnehin schon länger hatten. Wenn sie etwa schon länger in Görlitz arbeiten. "Das ist eigentlich der wichtigste Punkt, dass man hier Arbeit findet."

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