Vom Glück der EU: Wie ein polnischer Fotograf Sachsens Regierungschef ins rechte Licht rückt
Als Polen am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beitrat, war Pawel Sosnowski mit auf der Görlitzer Stadtbrücke. Um Mitternacht fotografierte er, wie polnische und deutsche Politiker mit Sekt anstießen.
Am nächsten Morgen machte er Bilder vom ersten Europäischen Frühstück auf der Görlitzer Stadtbrücke, von fröhlichen Kindern, europa-blauen Luftballons und feiernden Menschen. Und am Mittag fuhr er nach Zittau, wo die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel den Grenzübergang Friedensstraße besuchte.
EU-Beitritt machte vieles einfacher
Diese Ereignisse waren für Pawel Sosnowski nicht nur wichtig als Fotomotiv. Der EU-Beitritt 2004 hat sein Leben entscheidend beeinflusst – wie das der rund 5.000 anderen polnischen EU-Bürger, die heute in Görlitz leben - oder der zahlreichen Menschen aus dem Baltikum, aus Tschechien, der Slowakei, Slowenien oder Ungarn, die seit 2004 in Ländern der Europäischen Union unproblematisch leben und auch arbeiten können. "Es wurde vieles möglich und vieles einfacher", sagt Pawel Sosnowski, der in Kowary (Schmiedeberg) im Riesengebirge geboren wurde und bei Jelenia Góra (Hirschberg) aufwuchs.
Damals hatte er gerade sein Fotografie-Studium in Zielona Góra (Grünberg) abgeschlossen, war durch einen Zufall, mit seiner damaligen Freundin, nach Görlitz gekommen und fotografierte alles, was ihm wichtig erschien: die Ereignisse rund um die EU-Erweiterung, bald die vielfältigen deutsch-polnischen Begegnungen im Zusammenhang mit der Bewerbung von Görlitz/Zgorzelec zur Kulturhauptstadt 2010 oder 2007 den Wegfall der Grenzkontrollen im Zuge des Schengen-Abkommens mit Polen.
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Schon kurz nach dem EU-Beitritt Polens, als er für das Team der Kulturhauptstadtbewerbung in Görlitz/Zgorzelec fotografierte und ein Semester als Dozent im Bereich Kultur und Management der Hochschule Zittau/Görlitz arbeitete, zog er nach Görlitz und machte sich als freier Fotograf selbstständig. "Vorher wäre das nur mit hohem bürokratischem Aufwand möglich gewesen", sagt der heute 44-Jährige. Als Ende 2007 die Grenzkontrollen wegfielen, empfand er das als weitere Erleichterung. "Zwischen Görlitz und Zgorzelec hin- und herzufahren wurde einfacher", sagt er, "man brauchte nicht mehr Schlange an der Grenze zu stehen."
In den Ferien Deutsch gelernt
Ein Vorteil für sein Leben und Arbeiten in Deutschland war von Beginn an sein nahezu akzentfreies Deutsch. Seine Großmutter war Deutsche gewesen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Pommern in den polnisch gewordenen Teil des Riesengebirges zog und dort heiratete. Sosnowskis anderer Großvater war aus seiner Heimat in Ostpolen nach Niederschlesien zwangsumgesiedelt worden. Deutsch wurde in der Familie zwar nicht gesprochen, doch sie hatte Freunde in Sachsen-Anhalt, die häufig zu Besuch kamen und bei denen Pawel Sosnowski oft die Ferien verbrachte.
"Eine Zeitlang wollte ich sogar Deutschlehrer werden", erzählt er. Doch nach begonnenem Deutsch-Studium entschied er sich, Fotograf zu werden. Bereits in seiner Schulzeit in Jelenia Góra hatte er viel fotografiert, über längere Zeit beim Fotoreporter einer Wochenzeitung hospitiert und schließlich eine Schul-Foto-AG geleitet, deren Dunkelkammer er nutzen konnte.
In Görlitz wurde Pawel Sosnowski vor allem als Fotograf der Sächsischen Zeitung bekannt, wo er zunächst für die "Nachbarland"-Seite und zusammen mit Nikolai Schmidt von 2008 bis 2018 für die Görlitzer Lokalausgabe arbeitete und so intensiv mit den Themen der Europastadt befasst war wie nur wenige sonst. "Es war eine tolle Zeit, in der ich unheimlich viel erlebt und erfahren habe", sagt Pawel Sosnowski. Vom Aufstellen einer Hundetoilette bis zum Flug über Görlitz und Zgorzelec war alles dabei.
Von Görlitz in die Staatskanzlei in Dresden
Schon zu der Zeit hatte er dienstlich hin und wieder mit dem damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Kretschmer zu tun. Als dieser 2017 Sachsens Ministerpräsident wurde und einen Profi für sein offizielles Porträt brauchte, sprach er Pawel Sosnowski an. Und als die Staatskanzlei später einen Fotografen für die regelmäßige Begleitung des Ministerpräsidenten suchte, nahm Pawel Sosnowski an der Ausschreibung teil und erhielt den Zuschlag.
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Seitdem arbeitet der Fotograf für die sächsische Staatskanzlei, begleitet Michael Kretschmer zu Terminen, Staatsbesuchen und auf Reisen, etwa nach London, Singapur oder in die USA und ist viel in Sachsen unterwegs. Nach wie vor ist er aber auch als freier Fotograf in Görlitz tätig, wo er mit seiner Frau und seiner gerade eingeschulten Tochter lebt. Unter anderem macht er die Inszenierungsfotos des Gerhart-Hauptmann-Theaters in Görlitz und Zittau.
Zweisprachiger und internationaler
Leben heute fast 900.000 Polen in Deutschland, wanderten seit dem EU-Beitritt über 800.000 nach Großbritannien aus, knapp 200.000 in die Niederlande und 100.000 nach Irland. Auch dies hat Pawel Sosnowskis Leben wie das so vieler polnischer Familien verändert. Denn zu den Auswanderern gehörte sein jüngerer Bruder, der mit seinem besten Freund nach Irland aufbrach. "Sie wollten nur schauen, wie sie zurechtkommen, es ausprobieren", sagt Pawel Sosnoswki. Doch beide fanden in Irland Arbeit, haben dort studiert und Familien gegründet.
Für Pawel Sosnowski und seine Frau Katarzyna ist Görlitz/Zgorzelec inzwischen zur Heimat geworden. Begegneten ihnen vor allem in den ersten Jahren hin und wieder Vorurteile und abfällige Kommentare über Polen, ist das heute seltener geworden. "Man darf das nicht ernst nehmen", sagt Pawel Sosnowski. "Menschen, die schlecht über die jeweils andere Seite reden, gibt es in Polen genau wie in Deutschland." Görlitz werde ohnehin immer internationaler. Und immer mehr Kinder wie seine Tochter wüchsen zweisprachig auf. "Ihnen merkt man gar nicht mehr an, ob ihre Eltern aus Polen, Deutschland, Syrien oder anderswo herkommen", sagt er. Dass dies einmal Realität wird, habe er sich schon vor 20 Jahren gewünscht.
Wo Polen noch eine wichtige Rolle in Görlitz spielen
Wirtschaft: Birkenstock, Borbet & Co. leben von polnischen Mitarbeitern
Von den 1.900 Mitarbeitern im Görlitzer Birkenstock-Werk kommen rund zwei Drittel aus Polen. Doch das ist kein Einzelfall. „In fast allen Betrieben und allen Branchen sind polnische Mitarbeiter tätig“, sagt Eva Wittig von der Europastadt GmbH. Der Arbeitsmarkt habe extrem von der EU-Osterweiterung profitiert – „und damit auch die Firmen“. Laut Bundesagentur für Arbeit kamen im Juni 2022 von 23.561 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Görlitz 3.107 aus Polen – Tendenz stark steigend.
Gesundheit: Ärzte und Pfleger arbeiten in Kliniken und Praxen
Allein im Städtischen Klinikum Görlitz arbeiten aktuell über 120 polnische Kollegen: 49 Ärzte, 15 Pfleger und 57 Mitarbeiter in anderen Bereichen. „Unsere polnischen Kollegen sind für eine adäquate Patientenversorgung sehr wichtig und unverzichtbar“, sagt Sprecherin Melanie Freiwerth. Das Klinikum steht nicht allein da: Überall sind polnische Fachleute tätig. Erst im April hat Chefarzt Piotr Swietlicki die Leitung der Klinik für Innere Medizin im Emmaus-Krankenhaus Niesky übernommen.
Handel: Görlitzer Läden leben zu hohen Anteilen von Polen
Aktuelle Studien zum Einkaufsverhalten gibt es laut Eva Wittig nicht. Aber beispielsweise die Görlitzer C&A-Filialleiterin Oliwia Riedel sagt, dass polnische Kunden bei ihr früher „locker 50 Prozent“ ausgemacht haben. Mit dem Ukraine-Krieg sei vieles teurer geworden, jetzt liege der Anteil polnischer Kunden noch bei etwa 30 Prozent. Doch auch das sei sehr viel: „Ohne die polnischen Kunden wäre es hier ganz mau.“ Zudem kaufen sie oft auch hochwertiger und modebewusster ein als die Deutschen.
Wohnungsmarkt: Polen mieten Wohnungen und sanieren Häuser
Exakt 5.156 Menschen polnischer Herkunft lebten mit Stand Dezember 2023 in Görlitz – und sie alle müssen irgendwo wohnen. Der städtische Vermieter Kommwohnen erfasst die Nationalitäten seiner Mieter nicht, doch Sprecherin Jenny Thümmler sagt ganz deutlich: „Polen sind ein großer, wichtiger Teil unserer Mieter.“ Ohne sie wäre der Leerstand viel höher. Gleichzeitig sanieren immer mehr Menschen aus Polen Häuser in Görlitz, etwa die Architektin Klaudia Szeremeta. (SZ/ik)