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OB Mißbach: "Großenhainer Industriegebiet hat die allerbesten Chancen"

Vor einem Jahr äußerte Sven Mißbach die Hoffnung, es möge sich ein Interessent für den Flugplatz von Großenhain finden. Dass ausgerechnet ein solcher die Stadt in die Schlagzeilen brachte, sei nicht das einzige Problem.

Von Catharina Karlshaus
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Ob der Profi helfen kann? Wünsche für den Weihnachtswunschbriefkasten hätte Großenhains  Oberbürgermeister Sven Mißbach jedenfalls dieser Tage genug.
Ob der Profi helfen kann? Wünsche für den Weihnachtswunschbriefkasten hätte Großenhains Oberbürgermeister Sven Mißbach jedenfalls dieser Tage genug. © Kristin Richter

Großenhain. Jedes Jahr, selbe Zeit. Im Büro von Sven Mißbach stapeln sich Geschenke für all jene, denen der Großenhainer Oberbürgermeister in den nächsten Tagen noch ganz offiziell seinen Besuch abstatten wird. Grußkarten zieren im Gegenzug seinen Schreibtisch und das Räuchermännchen pafft im Gleichmaß vor sich hin. Der traditionelle Adventsschmuck hat keine Ahnung davon, dass seinem männlichen Gegenüber ebenfalls mächtig der Kopf raucht - aus weniger unbeschwerten Gründen.

Herr Mißbach, machen wir es kurz und schmerzlos: Als wir im traditionellen Jahresendgespräch über einen möglichen Investor für das Industriegebiet Flugplatz sprachen, ahnten Sie sicherlich nicht, was da in wenigen Wochen über die Stadt kommen sollte, oder?

Nein, absolut nicht! Hätte mir das einer prophezeit, ich hätte wahrscheinlich darüber gelacht. Ehrlicherweise ist mir dieses Lachen dann wie vielen Großenhainern schnell vergangen. Ich weiß noch genau, wie ich am Morgen des 27. März aus den Medien erfahren musste, dass als Standort für eine neue Pulverfabrik des Rüstungsunternehmens Rheinmetall Großenhain im Gespräch sein soll. Kein Mensch hatte da vorher mit uns drüber gesprochen!

Angesichts dessen, dass wir uns am Jahresende sehr über die finale Zustimmung des Stadtrates zum Industriegebiet Großenhain-Nord gefreut und eine Absichtserklärung zur Unterstützung aller Maßnahmen in der Staatskanzlei unterzeichnet hatten, war das schon eine herbe Enttäuschung. Und auch die kommenden Wochen waren bitter, in denen es keinerlei offizielle Äußerungen gab, wir überflutet wurden von Medienanfragen tatsächlich aus aller Welt und wir selbst nicht wussten, wie viel an diesen vermeintlichen Plänen wirklich dran ist.

Nach Monaten des Hin und Her teilte Rheinmetall schließlich Ende Juli mit, es gebe keine Pläne, in Großenhain zu bauen. Was ist unterm Strich vom Gerücht übrig geblieben?

Vor allem die Erkenntnis, dass die Kommunikation in dieser Angelegenheit hätte besser laufen können. Der Freistaat hat im Nachhinein eingeräumt, dass es Schwächen in der Informationsstrategie gegeben habe. Eine solche ist aber bei der Ansiedlung auf einer Fläche dieser Größenordnung und im Umgang mit jeglichen potenziellen, namhaften Investoren unverzichtbar.

Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass das Planungsprozedere für Strom und Wasser, welches im Übrigen oft schon von unserem erfahrenen Stadtbaudirektor Herrn Hönicke ins Feld geführt wurde, ganz entscheidend ist. Unternehmen, die an die Türen der Staatsregierung oder des Großenhainer Rathauses klopfen, wollen wissen, wie viel Zeit es konkret braucht.

Und schließlich wird meiner Meinung nach in Zukunft darüber zu reden sein, an welcher Position Großenhain in der Investitionskette steht. Einerseits könnte die Fläche auch für Zulieferfirmen für große Unternehmen aus Dresden attraktiv sein. Andererseits stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien entschieden wird. Denn ich bin der Meinung, auch die Ansiedlung des Chipherstellers TSMC, der jetzt in der Landeshauptstadt bauen wird, wäre auf dem Flugplatz möglich gewesen.

Einige Großenhainer befürchten, genau solche ausländischen Firmen werden aufgrund der Schlagzeilen um Rheinmetall keinerlei Interesse mehr für die Röderstadt bekunden. Teilen Sie diese Sorge?

Nein! In einer Demokratie muss es möglich sein, andere Meinungen sachlich vortragen zu können. Genau das haben die Verwaltung, die Stadträte und auch die Bürgerschaft getan. Vielmehr bin ich der Auffassung, dass das Industriegebiet, nicht zuletzt durch seine in Sachsen mittlerweile einmalige Größe mit gut 146 Hektar bebaubarer Fläche, die allerbesten Chancen für eine Ansiedlung hat.

Gibt es schon neue Interessenten?

Bisher nicht. Was ich jedoch angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Situation auch nicht für verwunderlich halte. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Investitionen zurückgehen. Bereits bei der Einweihung unserer neuen, modernen Kindertagesstätte Chladeniusstraße am 1. Juni war mir bewusst, so etwas werden wir sicherlich längere Zeit nicht mehr erleben.

Weil größere Vorhaben in den kommenden Jahren nicht mehr finanziell möglich sind?

Leider nein. Die Gemeinden und Städte stehen aufgrund niedrigerer Schlüsselzuweisungen, der Erhöhung der Umlage an den Landkreis und geringerer Steuereinnahmen mit dem Rücken zur Wand. In der vergangenen Woche haben sich die Bürgermeister der Region Meißen getroffen und es war erschreckend für mich, wie pessimistisch die Stimmung in den Kommunen ist. Das habe ich so nicht einmal während der Flüchtlingskrise 2015 und inmitten der Corona-Pandemie gespürt. Doch es ist nachvollziehbar. Die letzten Jahre waren gute Jahre, geschultert finanziell von Förderprogrammen und projektbezogenen Zuschüssen. Damit ist nun Schluss. Die Rahmenbedingungen haben sich grundlegend verschlechtert.

Eingedenk der Tatsache, dass laut Kämmerin im Großenhainer Haushalt ein Loch von 2,9 Millionen klafft: Was bedeutet das für die Röderstadt?

Dass wir uns künftig nicht mehr so viel leisten können. Was natürlich bitter ist, weil wir in der Vergangenheit hart dafür gearbeitet haben. Projekte wie die geplante Konzentration von Kultureinrichtungen am Schlossplatz oder die Sanierung des Alten Schlosses Zabeltitz werden wir selbstverständlich trotzdem weiter verfolgen. Aber da wir etwa bei diesen beiden Mammutvorhaben auf Fördermittel beziehungsweise finanzielle Unterstützung angewiesen sind, werden wir sicherlich Geduld, Mut und eine gehörige Portion Optimismus brauchen.

Die richtige Kombination auch, wenn Sie an das bevorstehende Jahr denken?

Mit Sicherheit! 2024 steht aus vielerlei Gründen unter schwierigen Vorzeichen. Die allgemeine Stimmungslage ist sehr angespannt und die in der vergangenen Woche verkündeten Beschlüsse der Bundesregierung zur Teuerung beim Heizen oder Tanken machen es nicht besser. Die Menschen sind in Sorge wegen der Kriege in verschiedenen Teilen der Welt und sind selbst geplagt von den wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Wahlen nächstes Jahr könnten das widerspiegeln, und ich hoffe sehr, dass der neue Stadtrat das Beste für Großenhain anstrebt und dessen Mitstreiter gemeinsam die Belange der Kommune nach vorn bringen.

Herr Mißbach, was wünschen Sie sich und Großenhain noch für das kommende Jahr?

Dass wir uns trotz aller Herausforderungen die Zuversicht, die Hoffnung und den Humor bewahren. Außerdem Gesundheit und Frieden. In unserer kleinen, aber auch großen Welt.