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"Herr Habeck, wir möchten und müssen verkaufen!"

Pleite, aber nicht am Ende: Der Wirtschaftsminister wird im Großenhainer Land heftig für seine Aussagen zu möglichen Insolvenzen im Winter kritisiert.

Von Catharina Karlshaus
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Betreiber Martin Freiberg (li.)und Eigentümer René Mikat des Großdobritzer Gasthof sind ratlos.
Die zu erwartenden Teuerungen seien kaum noch zu stemmen und den Gästen nicht zuzumuten.
Betreiber Martin Freiberg (li.)und Eigentümer René Mikat des Großdobritzer Gasthof sind ratlos. Die zu erwartenden Teuerungen seien kaum noch zu stemmen und den Gästen nicht zuzumuten. © Kristin Richter

Großenhain. Jeder Karnevalsverein landauf landab dürfte ihm jetzt schon dankbar sein. Für jenen Mittwochabend, an welchem sich Deutschlands grüner Vizekanzler vor laufender Kamera in die Annalen so mancher Büttenrede der bevorstehenden Saison redete. "Es wird ein harter Winter, es wird ohne Frage politisch anspruchsvoll werden. Es wird Zumutungen geben - mindestens preisliche - für die deutsche Bevölkerung", sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck. Mit unangenehmen Wahrheiten sparte der Politiker keineswegs, um schließlich bei einer vermeintlichen Insolvenzwelle im Winter ins Trudeln zu geraten. Blumenläden, Bioläden oder Bäckereien würden vielleicht erstmal aufhören zu produzieren, weil es an jenen Menschen fehle, die das Geld bei ihnen lassen würden. Betriebe, die laut Habeck dann wirkliche Probleme hätten. "Dann sind die nicht insolvent automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen."

Ein Satz, der Jana Rennert-Vetter seit gut einer Woche nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Bereits als kleines Mädchen half die heute 45-Jährige mit ihren Geschwistern in der von ihren Urgroßeltern 1911 gegründeten Gärtnerei in Lampertswalde. Seit 2013 führt die beherzte Geschäftsfrau den Betrieb fort, eröffnete 2018 einen Blumenladen in neuem Gewand, der Dresdner Häusern durchaus Konkurrenz zu machen vermag. Auf beachtlichen 170 Quadratmetern setzt sie mit ihrem kreativen Team seitdem nicht nur auf Trends aus aller Welt, begeistert mit saisonalen Ausstellungen und bot ihren Kunden aus nah und fern selbst in düsteren Coronaphasen eine erholsame Pause vom Alltag.

Erstmalig seit 111 Jahren bleiben Gewächshäuser leer

"Was jetzt jedoch auf uns zukommt, dürfte die Herausforderungen der Pandemie noch um Einiges übersteigen! Wir werden absolut unverschuldet in eine wirtschaftliche Situation gebracht, weil die Politik versäumt hat, die richtigen Weichen zu stellen beziehungsweise Entscheidungen trifft, welche nicht die eigene Bevölkerung im Blick hat", empört sich Jana Rennert-Vetter.

Die Auswirkungen für verschiedene Branchen wären verheerend. Für ihre Gärtnerei bedeute das, seit 111 Jahren würden erstmalig die Gewächshäuser nicht mit Blumen und Gemüse bestückt. Was selbst in Zeiten des Krieges möglich gewesen wäre, sei nun finanziell nicht machbar. Der Preis für das Gas habe sich nach jetzigem Stand vorerst verdreifacht, die Stromkosten gingen ebenfalls in die Höhe. "Wir haben eine Verantwortung für unsere Familien und Angestellten, da müssen wir schauen, wie wir verteilen, was da ist. Auch das werden wir irgendwie packen, denn wir möchten und müssen weiter verkaufen. Aber es ist mir absolut unverständlich, wie ein Politiker so realitätsfern sein kann!"

Kunden werden weniger Geld in Geschäfte tragen

Eine Auffassung, die Ronny Rühle teilt. Der Großenhainer Modehändler auch mit Geschäften in Riesa und Meißen hat in den letzten zweieinhalb Jahren selbst nicht nur eine schwere Coronaerkrankung überstehen müssen, sondern auch wortreich die Maßnahmen inmitten der Pandemie kritisiert. Auf Anfrage von Sächsische.de redet der erfahrene Unternehmer auch erst gar nicht lange um den heißen Brei: Es sei bitter, angesichts von Einbußen in der jüngsten Vergangenheit nun wieder so außerordentlich gefordert zu sein. Unternehmen würden eingedenk von exorbitanten Preissteigerungen und Lohnerhöhungen mehrfach in die Zange genommen. "Und das vor dem Hintergrund, dass sich unsere Kunden verständlicherweise immer weniger leisten können, was wir sehr zu spüren bekommen werden", ist sich Ronny Rühle bewusst. Und befürchtet, der Herbst und Winter würden schlimmer als die Coronazeit. In dieser hätten die Menschen zu Hause im Warmen zumindest arbeiten können, hatten genügend zu essen und litten nicht unter derartigen Existenzängsten wie jetzt. "Insofern sollte sich Herr Habeck schämen, mit welcher unbedachten Leichtigkeit er derartig weitreichende Prognosen vorträgt."

In der Gaststätte zu Essen wird zum Luxus

Prognosen, die auch den Eigentümer des Gasthofes Großdobritz René Mikat und Betreiber Martin Freiberg schwer beschäftigen. Wochenlang hatten sie während des harten Lockdown wegen ausbleibender Gelder um ihre Existenz gebangt und sich nun nach eigenem Bekunden wieder gut aus dem Tief herausgekämpft. "Nun müssen wir wieder kämpfen und wissen nicht, wie es ausgehen wird", bekennt Martin Freiberg.

Schon deshalb habe er zunächst gedacht, bei den Äußerungen von Herrn Habeck handle es sich um einen Witz. Schließlich kenne er keinen Unternehmer, die momentan nicht vor etwaigen Kostenerhebungen und Folgen der gesamtwirtschaftlichen Situation Angst hätten. Bisher habe man die Preise für Speisen und Getränke noch nicht angehoben. Aber das sei unausweichlich. "Wie unsere Gäste darauf reagieren, bleibt abzuwarten! Denn uns ist durchaus bewusst, dass auswärts zu Essen jetzt zum Luxus wird", so der Gastronom. Hochzeiten, Geburtstags-, Firmen - und Weihnachtsfeiern würden bereits deutlich abgespeckt gebucht.

Nicht einschätzbar, wie lange Bäcker durchhalten

Sorgen, die auch einen Bäcker plagen, der landkreisweit tätig ist. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen, hat aber zur Situation eine klare Meinung. Abgesehen davon, dass Herr Habeck nach seiner Beobachtung wohl einen rabenschwarzen Tag in jener Talk-Show gehabt hätte, sei die Lage kritisch. Für Unternehmen gebe es keine Planungssicherheit mehr, die Preise von Gas und Strom stiegen in unbekannte Höhe. Für Mehl bezahle er seit September das Doppelte, beim Zucker schaue es nicht anders aus. Hinzu kämen explodierende Lohnkosten. Wie lange das die Betriebe seiner Zunft einerseits noch überstehen könnten und sich anderseits die Kunden leisten könnten, für Brötchen und Kuchen Geld auszugeben, müsse man abwarten. "Wenn alles so kommt, wie jetzt eingeschätzt, gehen 60 Prozent der Firmen und Privathaushalte pleite."