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"Eigentlich fährt man zum Urlaub dorthin"

SZ im Gespräch mit Daniela Jander-Vanselow und Anne-Dore Neumann von der Krisenintervention über die Schreckensbilder an der Ahr und Menschen unter Schock.

Von Kathrin Krüger
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Die Notfall-Seelsorgerinnen
Anne-Dore Neumann (l.) und Daniela Jander-Vanselow erzählen von ihren Aufgaben und Eindrücken im Flutgebiet.
Die Notfall-Seelsorgerinnen Anne-Dore Neumann (l.) und Daniela Jander-Vanselow erzählen von ihren Aufgaben und Eindrücken im Flutgebiet. © Kristin Richter

Großenhain. Sechs Mitarbeiter des Notfallteams des Landkreises fuhren nach der Unwetterkatastrophe am 19. Juli in die betroffenen Gebiete in Rheinland-Pfalz und die Regionen um den Nürburgring. Zu den insgesamt 50 sächsischen Einsatzkräften der Krisenintervention und Notfallseelsorge gehörten auch Diakonie-Mitarbeiterin Daniela Jander-Vanselow und die freiberufliche Betreuerin Anne-Dore Neumann. Die SZ sprach mit ihnen über ihre Eindrücke.

Sie beide sind im Kriseninterventionsteam des Landkreises erprobt in Notfallsituationen. Frau Neumann, Sie waren sogar beim Elbehochwasser 2002 schon im Einsatz. Kann man die jetzige Flut in Bezug auf die Opfer mit damals vergleichen?

Nein. Wir hatten seinerzeit viel weniger Menschenopfer zu beklagen als jetzt. Die Zahl liegt bereits über 200. Damals waren es in Sachsen rund 20. So etwas wie die 2021er Flut gab es in Deutschland noch nie. Für die Menschen kam die Katastrophe völlig unerwartet. Wir waren zufällig an jenem Montag zuerst in der Dresdner Dreikönigskirche zu einem Vortrag über Großschadenslagen. Da ging es genau um das Handwerkszeug für solche Schadensereignisse. Dann wurden wir zum Einsatz gerufen und mussten den Vortrag vorzeitig verlassen. Nach dem dort genannten Raster sind auch die Helfer im Krisengebiet vorgegangen.

Was konnten Sie direkt tun, um den Menschen zu helfen?

Wir sind in den Ort Insul gefahren und haben versucht, den Betroffenen zur Seite zu stehen, ihre Ängste und Sorgen aufzufangen und ihnen zu helfen, das Erlebte seelisch zu verarbeiten. Unsere Einsätze wurden professionell koordiniert, waren dennoch alles andere als leicht. Wir sind jeden Tag bis in die späten Abendstunden zu den Menschen gegangen, um mit ihnen zu sprechen, seelischen Beistand zu leisten, aber auch um Todesnachrichten zu überbringen. Überall, wo wir Sachsen halfen, wurden wir trotz der unfassbaren Lage herzlich empfangen. Die Menschen waren dankbar für die Hilfe bei den Aufräumarbeiten und unsere Anwesenheit.

Haben Sie selbst Gestorbene gesehen? Wie reagierten die Menschen, als ihnen gesagt wurde, dass sie Angehörige verloren haben?

Wir haben selber keine Verstorbenen gesehen, aber wir waren an den Sammelstellen, wo die Personalien von Vermissten aufgenommen werden. Beim Einsatz in Ahrweiler sollten wir einer Frau sagen, dass ihr Mann gestorben sei. Das hat sich zum Glück nicht bestätigt. Dann haben wir mit einer Frau auf einem Balkon gesprochen, deren Haus einsturzgefährdet ist. Sie sagte uns, dass sie sich schon teilweise mit dem Abriss abgefunden hat. Viele Häuser sind dort nicht versichert, aber bei neuen Gebäuden laufen noch Kredite. Das ist tragisch. Aber immer haben die Menschen auch zum Ausdruck gebracht: "Wir sind dankbar dafür, dass wir noch leben." Wir haben einen enormen Zusammenhalt erfahren und sind froh, dass wir einen Teil dazu beitragen konnten, damit die Betroffenen der Normalität wieder ein Stück näher kommen.

Sie waren als psychosoziale Notfallversorger auf dem Nürburgring stationiert. Weitere Helfer aus dem Landkreis sind rund um das Gebiet der Ahr in den zerstören Orten im Einsatz gewesen. Mussten Sie auch denen helfen?

Wir waren am Stützpunkt des DRK Hessen. Helfer wurden durch das Erlebte traumatisiert. Viele junge Einsatzkräfte waren vor Ort, hatten viel Leid gesehen und standen unter Spannung. Sie hatten in der Einsatznachsorge enormen Redebedarf darüber. Andere blieben stumm und mussten von uns extra angesprochen werden. Wir haben wie sie auf Feldbetten in einer Diskothek geschlafen und wurden über das THW versorgt. Katastrophenschutz, Johanniter, Malteser, Diakonie, Polizei, Bundeswehr aus ganz Deutschland waren vor Ort, der Nürburgring glich einer riesigen Festung mit Einsatzfahrzeugen und Helfern. Das gab ein gutes Gefühl.

Man hörte von fehlendem Strom und Wasser in den Flutgebieten, von Telefonkontakt ganz zu schweigen. Wie kann man unter solchen Bedingungen arbeiten?

Eigentlich ist das ja eine wunderschöne Landschaft, in die man zum Urlaub fährt. Jetzt waren fast alle Brücken dort zerstört, wir hatten teilweise lange Anfahrten, weil die Navis nicht funktionierten. So haben wir nach dem Weg gefragt. Das THW hat WLAN-Boxen aufgestellt. Hubschrauber kreisten und warfen Hilfsgüter ab. Die Verpflegung auch der Einwohner aber war sehr gut organisiert. Die Menschen standen unter Schock, doch sie haben mit großem Eifer aufgeräumt. Wir wünschten ihnen Kraft, Zuversicht und Hoffnung. Manche werden die verheerende Lage erst später realisieren.