Quersa. So viel Herzblut in einem Raum gab es selten. Aus verschiedenen Teilen des Freistaates waren Erzieher, Lehrer, Pädagogen, Eltern, Vertreter der Städte und Gemeinden an diesem Dienstagabend eigens nach Quersa gekommen. Auf Einladung des CDU-Landtagsabgeordneten Sebastian Fischer sollte unter dem Titel „Für die klugen Köpfe von morgen: beste Bildung für Sachsen“ gemeinsam in der christdemokratischen Ideenwerkstatt geschmiedet werden. Seite an Seite mit Kultusminister Christian Piwarz und der Gröditzer Oberschulleiterin Silke Arlt wurden Probleme, Sorgen und Nöte auf den Tisch gepackt.
- Kein Schulneubau trotz drittem Anlauf
- Veränderungen nötig: Raum gilt als dritter Pädagoge
- Statt südindischer Molche lieber Arbeit vor der Klasse
- Hochwertige Vorschularbeit, die Eltern mit einbezieht
- Als berufstätige Mutter noch Lehrerin und Chauffeur
- Oberschule entwertet, obwohl dringend gebraucht
- Schulform die tatkräftige Arbeitskräfte hervorbringt
Kein Schulneubau trotz drittem Anlauf
Und - die überaus zahlreich erschienenen Gäste hatten ihre Hausaufgaben gemacht. Bestens vorbereitet zeigte sich nicht nur der Lampertswaldaer Bürgermeister René Venus, der bereits inmitten seiner Begrüßungsrede klarstellte, dass dieses Beisammensein ganz sicher kein lockerer Spaziergang über den feierabendlichen Pausenhof werden würde. „Unsere Gemeinde hat inzwischen dreimal eine Ablehnung für den Neubau unserer Grundschule bekommen. Eingedenk der Tatsache, dass wir selbst um die Ansiedlung von Familien in Lampertswalde bemüht sind und immer davon die Rede ist, es solle der ländliche Raum in Sachsen gestärkt werden, können Eltern und auch die Verwaltung diese Entscheidung absolut nicht nachvollziehen."
Veränderungen nötig: Raum gilt als dritter Pädagoge
Ein Dilemma, inmitten der wirtschaftlichen Gemengelage, welches die Anwesenden nur allzu gut nachvollziehen konnten. Schon längst, so betonten die Pädagogen, seien die Gebäude in ihrer baulichen Art und Ausstattung der Art des Unterrichtens nicht mehr angepasst. "Der Raum gilt als dritter Pädagoge", erinnerte die Leiterin der Oberschule Gröditz Silke Arlt. Kinder und Jugendliche hätten sich ebenso verändert wie die Methoden, Wissen zu vermitteln. Benötigt würden deshalb kleinere, flexibel gestaltbare Räume und vor allem eine Unterstützung der Kommunen, dieses überhaupt zu schaffen.
Statt südindischer Molche lieber Arbeit vor der Klasse
Ein modernes Betätigungsfeld für junge Lehrer wie Florian Steinborn. Inzwischen selbst an einer freien Schule tätig, beklagte er die keineswegs zielführende Lehrerausbildung. "Von Tag eins unseres Studiums wurden wir mit Fachwissen vollgestopft, um dann am Ende erst vor einer Klasse zu stehen und uns zu fragen, wie das eigentlich geht", gab Steinborn zu bedenken. Die Hausarbeit über südindische Molche hätte es nicht gebraucht, dafür aber Handwerkszeug für den Alltag vor der Klasse. Seine Aufforderung: eine grundlegende Veränderung innerhalb der Lehrerausbildung, am besten in Form eines dualen Studiums, was einen hohen Anteil in der Praxis garantiere.
Hochwertige Vorschularbeit, die Eltern mit einbezieht
Ein Vorschlag, den Ines Kutzner nachdrücklich begrüßte. Seit 37 Jahren sei die Grundschullehrerin aus Lampertswalde mit Leib und Seele in diesem Beruf tätig. Die Ausbildung reiche in ihrer jetzigen, allzu praxisfernen Form aufgrund der vielfältigen Herausforderungen nicht mehr aus. Zudem bedürfe es endlich einer umfangreichen, hochwertigen Vorschularbeit, die wiederum nur mit ausreichend Personal zu leisten sei. Und damit nicht genug. "Für diese wichtige Übergangsphase zwischen Kindergarten und Schule schlage ich einen Kurs für Eltern vor, der vom Lesen- und Schreibenlernen, dem notwendigen Üben bis zum Ranzenpacken alles berücksichtigt", so Ines Kutzner.
Als berufstätige Mutter noch Lehrerin und Chauffeur
Mütter und Väter, die mit eigenen Sorgen aufwarten konnten. Maryla Springer etwa, deren Sohn die sechste Klasse des Werner-von-Siemens-Gymnasiums in Großenhain besuche. Vor acht Jahren habe die Familie der Landeshauptstadt den Rücken gekehrt und sei ganz bewusst ins Ländliche gezogen. Das Ergebnis? "Abgesehen davon, dass wir für Schulbusse bezahlen, die häufig gar nicht fahren, ist der Unterrichtsausfall besonders in den Hauptfächern ganz enorm", erzählte die Röderstädterin.
Nachdem mehrere Lehrer in Rente gegangenen wären, sei der Mathematikunterricht gekürzt worden. Englisch werde seit Wochen nicht gelehrt, allein am Dienstag fielen wieder zwei Stunden aus. "Ich möchte eine gute Mutter sein, aber neben meiner Arbeit, für die ich ohnehin täglich 80 Kilometer zurücklege, spiele ich aufgrund der Umstände nebenbei jetzt auch noch Lehrerin und Chauffeur", berichtete Maryla Springer. Da bisher leider keine Veränderung absehbar sei, habe man sich jetzt überlegt, wieder nach Dresden zurückzugehen.
Eine Ortsveränderung, die möglicherweise keine Garantie auf Besserung darstelle. Im 87 Kilometer entfernten Bautzen sieht sich Monika Vetter zumindest mit den gleichen Personalnöten konfrontiert wie in Lehrerzimmern des Landkreises Meißen. Tätig in der Frederic-Joliot-Curie-Grundschule unterrichte die dreifache Mutter in der sogenannten DaZ-Klasse deutsch als Zweitsprache. Kinder aus der Ukraine, Pakistan, Venezuela und Syrien. "Eigentlich sollten es 15 Stunden pro Woche sein. Momentan sind es jedoch höchstens zwei bis drei", gab Monika Vetter zu bedenken.
Oberschule entwertet, obwohl dringend gebraucht
Veränderte Stundentafeln aufgrund von stetigem Personalmangel, von denen auch André Pohlenz ein Klagelied singen könnte. Der Leiter der Pestalozzi-Oberschule Meißen kritisierte das schlechte Image, dem sich Pädagogen an sächsischen Förder- und Oberschulen ausgesetzt sehen. Es habe sich ein falsches Selbstverständnis etabliert, dass die sogenannten klugen Köpfe eben ans Gymnasium gehen müssten, auch wenn einige von ihnen dann häufig als gebrochene Schülerseelen an die Oberschule zurückkehrten.
"Ich empfinde meine Schulform absolut entwertet! Dabei muss sie wieder zum Rumpf der schulischen Ausbildung werden, denn sie bringt schließlich jene hervor, die wir dringend brauchen: Physiotherapeuten, Handwerker und Bäcker. Es können nicht alle Anwalt werden", erinnerte André Pohlenz.
Schulform die tatkräftige Arbeitskräfte hervorbringt
Sachsens Kultusminister - vor seinem Amtsantritt 2017 selbstständiger Jurist - nahm es mit Humor. Und zeigte sich nicht nur fachlich bestens in der Materie stehend, sondern nahm überdies kein Blatt vor den Mund. Auch Sachsen könne sich Lehrer leider nicht backen. Aber die Bemühungen um Neueinstellungen seien groß und angesichts der getroffenen Entscheidung, auch im Freistaat zu verbeamten, halte man inzwischen im deutschlandweiten Wettbewerb mit.
Ein Allheilmittel sei die Aussicht indes für Studenten nicht. Zu viele würden nach den ersten Semestern abbrechen, dort müsse man unbedingt ran. Ebenso wie an den für Christian Piwarz zu Recht angemahnten Imagewandel der Oberschule. "Da sprechen Sie mir aus der Seele! Sie ist tatsächlich der Rückhalt unseres Bildungssystems und der unverzichtbare Ort, an dem tatkräftige Arbeitskräfte für unsere Wirtschaft hervorgebracht werden". Sachsen tue gut daran, den Akademikerwahn nicht mitzumachen. Es brauche Handwerker, die auch aus den Oberschulen hervorgingen. Auf sie baue das Land, denn diese jungen Leute würden mit ihren Händen etwas erschaffen, was viele Anwälte nicht könnten - das wisse er aus eigener Erfahrung.