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Straflager für die AfD: Ärger wegen Aussage eines Radebeuler Gymnasiallehrers

Wie politisch darf Schule sein? Diese Frage stellt sich nach einer Unterrichtsstunde im Gesellschaftskundeunterricht am Radebeuler Lößnitzgymnasium.

Von Ines Mallek-Klein
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Die Unterrichtsstunde, die den Sächsischen Landtag nun mit einer Kleinen Anfrage beschäftigt, wurde am Radebeuler Lößnitzgymnasium gehalten.
Die Unterrichtsstunde, die den Sächsischen Landtag nun mit einer Kleinen Anfrage beschäftigt, wurde am Radebeuler Lößnitzgymnasium gehalten. © Norbert Millauer

Radebeul. Es ist der 6. Februar 2024. Die Woche, in der die Halbjahreszeugnisse ausgegeben werden sollen. Ein Lehrer hält eine Doppelstunde in Gesellschaftskunde, Rechtserziehung und Wirtschaft, kurz GRW, vor einer elften Klasse des Radebeuler Lößnitzgymnasiums. In seinem Vortrag will er das Legitimitätsprinzip erklären, wonach die Regierungsfähigkeit einer Staatsführung auf ihrer wahrgenommenen Legitimität beruht. Es geht auch um Meinungsbildung und Partizipation.

Ein Satz im Lehrervortrag lässt die Schüler aufhorchen. "Zum Beispiel wäre es sehr effizient, alle AfDler in ein Straflager sperren zu lassen und sie umzubringen. Jedoch wäre das absolut nicht legitim. Weil, wenn wir hier in Deutschland Menschen ins Straflager sperren und sie umbringen, würde das gegen den Legitimitätsgrundsatz verstoßen". Es habe, so die einhellige Aussage der Schüler im Nachgang des Vortrages keine Möglichkeit zur Diskussion oder Einordnung des Gesagten gegeben.

Einige Schüler redeten danach mit ihren Eltern. Mehrere davon sahen sich daraufhin veranlasst, das Thema öffentlich zu machen, unter anderem über Thomas Kirste. Er sitzt für die AfD im Kreistag und auch im Landtag. "Nach dem ersten Gespräch zu dem Thema habe ich mir noch nichts dabei gedacht. Es gibt immer Schüler, die einen Lehrer nicht besonders leiden können und versuchen, ihn so zu diskreditieren", so Thomas Kirste.

Rückendeckung aus der Schule

Nach einer Handvoll Gespräche wurde der Landtagsabgeordnete allerdings aktiv und reicht zu Wochenbeginn eine Kleine Anfrage beim Sächsischen Landtag ein. Er fragt darin, ob die Staatsregierung in den Aussagen des Lehrers einen Verstoß gegen den Beutelsbacher Konsens sehe, ob der bekannt gewordene Vorfall durch die Schule und das Kultusministerium aufgearbeitet wird? Und vor allem, ob das Verhalten des Lehrers für ihn dienst- beziehungsweise strafrechtliche Konsequenzen haben wird. Wenn ja, welche? Und wenn nein, warum nicht?

Doch schon jetzt gibt es Rückendeckung aus der Schule. Direktor René Rygol erklärt auf Nachfrage, dass sich Eltern weder bei ihm, noch bei dem betroffenen Fach- oder Klassenlehrer gemeldet haben. "Das wäre der deutlich bessere Weg gewesen", so Rygol. Er sei sich aber sicher, dass alle seine Pädagogen auf der Basis der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung agierten. Möglicherweise sei der Pädagoge in der Unterrichtsstunde falsch verstanden worden.

"Im Gesellschaftskundeunterricht gibt es das didaktische Szenario, zu überlegen, was wäre wenn. Dabei sei es möglich, dass auch absurde Situationen aufgezeigt werden, um Diskussionen anzuregen", so Schulleiter Rygol. Die Menschenwürde, Grundrechte und der Gleichheitsgrundsatz würden dabei immer gewahrt, versichert er und erklärt, dass der Beutelsbacher Konsens immer wieder Thema in den Dienstberatungen sei.

Wie politisch darf Schule sein? - Eine oft gestellte Frage

Thomas Kirste will das nicht so einfach auf sich beruhen lassen. "Eine solche
Äußerung aus unseren Reihen hätte zu einem landesweiten Aufschrei geführt", sagt er und beruft sich ebenfalls auf den Beutelsbacher Konsens. Er wurde in den 1970er-Jahren verabschiedet, um Regeln für die pädagogische Praxis aufzustellen. Lehrer haben einen öffentlichen Auftrag, Wissen und auch Kompetenzen zu vermitteln.

In dem Beutelsbacher Konsens gibt es drei Elemente, die auch heute noch aktuell sind, wie das Landesamt für Schule und Bildung, aber auch der Direktor des Lößnitzgymnasiums übereinstimmend zu Protokoll geben. Es gäbe ein Überwältigungsverbot, das heißt, Schüler dürfen nicht indoktriniert werden. Punkt zwei umfasst das Gebot, dass kontroverse Positionen in Wissenschaft und Politik auch im Unterricht als solche thematisiert werden müssen. Und Punkt drei gibt die Zielstellung vor, dass Schüler befähigt werden sollen, in politischen Situationen ihre eigenen Interessen zu analysieren.

Mit der Frage, wie politisch Schule sein darf, musste sich die oberste Schulbehörde Sachsens schon im Herbst 2023 beschäftigen. Ein Lehrer der Gerda-Taro-Schule aus Leipzig soll Schüler verpflichtet haben, am 15. September 2023 an der Demonstration Fridays for future teilzunehmen. Dazu gab es einen Elternbrief, der für Empörung sorgte. Allerdings waren Teile geschwärzt, denn die Schüler hätten sich im Rahmen ihres Gesellschaftskundeunterrichts auch für den Besuch des Auwaldes, eine Fahrradreparaturwerkstatt oder eine Mülldeponie entscheiden können - jeweils mit unterschiedlicher Aufgabenstellung und kritischer Reflexion des Erlebten.

Und auch der Geschichtsunterricht einer achten Klasse an einer Freitaler Oberschule beschäftigte durch einen Antrag der AfD schon die Ämter. Hier sollten die Schüler in einer Hausaufgabe die Wahlerfolge von AfD und NSDAP vergleichen.

"Wir werden uns nicht für politische Interessen instrumentalisieren lassen"

Eine unpolitische Schule kann und wird es nicht geben, so der Sprecher des Landesamtes für Schule und Bildung. Lehrer haben eine politische Meinung und dürfen diese auch äußern, solange sie sich damit auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. "Wichtig ist aber, den Schülern zu vermitteln, dass es sich um eine persönliche Ansicht handele und andere Meinungen toleriert werden", so Lasub-Sprecher Clemens Arndt.

Die Debatte über Politik in der Schule hält auch René Rygol für wichtig. "Wir werden uns dabei aber bestimmt nicht für politische Interessen instrumentalisieren lassen", so der Schulleiter, der zudem an die Mitwirkungspflicht der Eltern erinnert. Sollte es Diskussionsbedarf geben, stünden seine Kollegen und er zu einem Gespräch zur Verfügung.

Bleibt die Frage, welche Konsequenzen das Kultusministerium zieht. Ihm bleiben nun noch knapp vier Wochen, um die Anfrage des AfD-Politikers Kirste zu beantworten.