Meißen
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"Ich bin jeden Tag besoffen"

Der Alkohol hat den Angeklagten schwer zugerichtet. Er werde die Bewährungszeit nicht überstehen, fürchtet er. Da hat er wohl recht.

Von Jürgen Müller
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Zwei bis drei Flaschen Schnaps trinkt der Angeklagte jeden Tag. Das hat schlimme Folgen.
Zwei bis drei Flaschen Schnaps trinkt der Angeklagte jeden Tag. Das hat schlimme Folgen. ©  André Wirsig

Meißen.  Weit hat es der Angeklagte nicht bis zum Meißner Amtsgericht. Er wohnt praktisch um die Ecke. Dennoch hat er eine weite Anreise hinter sich. Am Tag vor der Verhandlung wurde er ins Krankenhaus nach Radebeul eingeliefert. Wegen einer Alkoholvergiftung. Mal wieder. Doch auch ohne anstehende Gerichtsverhandlung hält er es dort in aller Regel nicht lange aus. Nach zwei bis drei Tagen ist er verschwunden, entlässt sich selbst.

Wer am lebenden Beispiel zeigen will, was exzessiver Alkoholkonsum mit einem Menschen anrichten kann, der schaue sich diesen 45-jährigen Meißner an. Der Alkohol hat ihm schwer zugesetzt, der ist ein menschliches Wrack.  Die Verhandlung scheint ihm  ziemlich egal. "Ich lebe sowieso nicht mehr lange, mein Leben ist kaputt", sagt der Deutsche, der in Kasachstan geboren wurde, seit 1992 in Deutschland lebt. 

Sein Traum von einem besseren Leben hat sich nicht erfüllt. Der Mann, der neun Jahre in Kasachstan die Schule besuchte, eine Kochlehre anfing, nach einem halben Jahr aber rausflog, war fünf Jahre obdachlos, hat jede Menge Schulden angehäuft. Zwei bis drei Flaschen Schnaps trinke er täglich, hatte er schon im Januar bei einer anderen Verhandlung gesagt. Seit 2013 habe er Leberzirrhose. Fast fünf Jahre ist er mal trocken gewesen. 2018 dann der Rückfall.

Die Dame ist ein Mann

Die Richterin spricht er mit ihrem Namen an. Man kennt sich aus zahlreichen Betreuungsverfahren. Den Satz "Entschuldigen Sie, Frau Richterin", sagt er etwa 20 Mal im Laufe der Verhandlung. Und fügt manchmal hinzu: "Ich bin krank". das ist er, und zwar ziemlich schwer. Doch eine Entschuldigung für seine Taten ist das nicht. Für sich genommen ist jede Tat eine Bagatelle. 

Doch die Masse macht es und dass er notorischer Wiederholungstäter ist. Insgesamt 30 Mal soll er mit der S-Bahn gefahren sein, ohne einen Fahrschein zu besitzen.  Immer und immer wieder wird er erwischt. Das kümmert ihn aber nicht im Geringsten. Am nächsten Tag fährt er wieder schwarz, will von Dresden nach Meißen. 

In Dresden-Pieschen wird er erwischt. Der Fahrkartenkontrolleur stellt ihm einen Ersatzfahrschein aus. Den könne er sich in den "A..." stecken, schreit er den Mann an und zeigt ihm den Mittelfinger. Auch andere Beleidigungen, die alle mit dem "A"-Wort beginnen, folgen. In der Verhandlung streitet er das ab. "Diese Dame im Zug hat mich beleidigt, nicht ich sie", sagt er. 

Es war aber gar keine Frau, sondern ein Mann. Wahrscheinlich spricht er von einer anderen Tat, die gar nicht angeklagt ist. "Entschuldigen sie, Frau Richterin, ich bin jeden Tag besoffen. Wenn ich besoffen bin, habe ich keine Kontrolle", sagt er. Vier, fünf Promille seien bei ihm keine Seltenheit. 

"Da bin ich längst tot"

Kontrolliert wird er auch im Dresdner Hauptbahnhof. Den darf er eigentlich nicht mehr betreten. Denn auch dort ist er bestens bekannt, hat Hausverbot. Das habe er erhalten, weil er mal eine Flasche Wodka  in einem Geschäft geklaut hat.  Dass er dafür Hausverbot bekommen hat, sieht er gar nicht ein. "Ich habe doch 75 Euro Strafe bezahlt", sagt er.  

Bezahlt hat der Arbeitslosengeld-II-Empfänger auch schon Geldstrafen,  zu denen er verurteilt wurde, jeweils zu 300 Euro. Wegen - man ahnt es - Schwarzfahrens. Mit Geldstrafe ist es nicht getan. Er wird diesmal zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Die muss er aber nicht absitzen, die Strafe wird für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. 

Ich rate Ihnen dringend, sich in den nächsten zwei Jahren nicht ohne Fahrschein in die S-Bahn zu setzen. Sonst laufen Sie Gefahr, dass die Bewährung widerrufen und Sie doch ins Gefängnis müssen", sagt Richterin Petra Rudolph. Und rät ihm dringend, endlich mal Hilfe anzunehmen.

Vergebene Mühe, denn dazu ist es längst zu spät.  Die zwei Jahre Bewährung werde er nicht überstehen, sagt der Angeklagte. "Da bin ich längst tot." Es ist zu befürchten, dass er damit recht hat. Dennoch will er wieder zurück in die Klinik. Wann? "Vielleicht morgen." 

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