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Betörender Duft: Wie blinde Menschen Kamelien erleben

Die Kamelien in Königsbrück sind in voller Blüte. Damit sich auch blinde und sehbehinderte Menschen daran erfreuen können, gibt es ein spezielles Angebot.

Von Heike Garten
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Schülerin Sophia (l.) erklärt Denise Tellmann, die sehbehindert ist, die Blüten einer Kamelie und lässt sie diese auch fühlen. So können auch blinde Menschen die besonderen Pflanzen wahrnehmen.
Schülerin Sophia (l.) erklärt Denise Tellmann, die sehbehindert ist, die Blüten einer Kamelie und lässt sie diese auch fühlen. So können auch blinde Menschen die besonderen Pflanzen wahrnehmen. © Matthias Schumann

Königsbrück. Schon am Eingang zum Gewächshaus in Königsbrück schlägt einem der Duft entgegen. Es riecht betörend. Genauso faszinierend ist der Anblick. Die Kamelien stehen jetzt in voller Blüte, die großen Bäume, die Spaliere in der Mitte und auch die Pflanzen an den Seiten zeigen sich mit ihren Blüten in Rot, Weiß, Rosa und manche sogar gesprenkelt.

Die meisten Menschen können diesen Anblick auch genauso wahrnehmen, Sehbehinderte und Blinde allerdings nicht. Damit sie genauso einen Eindruck von den Kamelien gewinnen können, gibt es in Königsbrück ein spezielles Projekt: Blindenführungen. Der Heimatverein, der die Kamelien betreut, hat sich dafür mit Schulen der Stadt zusammengetan, und die Kinder und Jugendlichen übernehmen die Führung der sehbehinderten Menschen.

Die Kamelien im Königsbrücker Gewächshaus stehen in voller Blüte und leuchten in verschiedenen Farben.
Die Kamelien im Königsbrücker Gewächshaus stehen in voller Blüte und leuchten in verschiedenen Farben. © Matthias Schumann

An diesem Tag ist eine Gruppe des Sehbehindertenverbandes aus Chemnitz angereist. Es sind mehr als 40 Personen, manche gänzlich erblindet, andere mit einer Sehbehinderung. Jeder Schüler nimmt noch vor dem Gewächshaus eine Person der Gruppe an die Hand. Man plaudert, stellt sich vor, nimmt so Kontakt zueinander auf. Einige Schüler sind anfangs schüchtern.

Die zehnjährige Amalie von der Juri-Gagarin-Oberschule ist zum Beispiel das erste Mal bei so einer Führung dabei. „Ich bin ganz schön aufgeregt“, sagt sie. Ihre Freundin Fritzi hat sich von ihrer Mama schon einiges über Kamelien erklären lassen.

Alle anderen Informationen erhalten die Schüler von den Mitgliedern des Heimatvereins, allen voran dessen Vorsitzenden Peter Sonntag. „Es ist ein Lerneffekt. Zum einen kommen die Kinder mit behinderten Menschen zusammen, zum anderen erfahren sie selbst eine ganze Menge über die Kamelien und können dieses Wissen auch weitergeben“, sagt er.

Blinde ertasten die Blüten mit den Händen

Langsam gehen die Schüler mit den Blinden den Gang im Gewächshaus entlang. An den einzelnen Pflanzen bleiben sie stehen und erklären ganz genau die Form der Blätter, die Farbe der Blüten und auch die anderen Besonderheiten, die auf einer Tafel für jede Kamelie stehen. Dann nehmen die jungen Leute eine Hand des Blinden, führen sie an die Blüte, lassen die Hand darüber streichen. „Mit dem Tastsinn können auch sie die Blütenform erkennen“, weiß die zwölfjährige Stella, die schon das zweite Mal bei so einer Führung dabei ist. Auch sie war anfangs aufgeregt, doch das hat sich schnell gelegt.

Denise Tellmann aus Leipzig gehört zur Gruppe des Sehbehindertenverbandes. „Die Pflanze ist großblütig, das kann ich ganz genau ertasten“, sagt sie. Sie ist froh, dass sie von Sophia im Gewächshaus an die Hand genommen wird und alles erklärt bekommt. Die Tafel mit Blindenschrift - auch diese gibt es - kann sie allein lesen und so eine ganze Menge erfahren.

Herbert Berger aus Chemnitz war sofort fasziniert von dem Duft, als er ins Gewächshaus hereinkam. Und er konnte sogar verschiedene Düfte ausmachen, eine Eigenschaft, die Menschen ohne Behinderungen schwerer fällt. Und Herbert Berger kann sich die Blüten nach der Erklärung durch seinen Schüler-Partner genau vorstellen. „Bei mir kam die Sehbehinderung erst mit der neunten/zehnten Klasse, sodass ich eine Vorstellung von Blüten im Kopf habe“, sagt er.

Blick in das Königsbrücker Gewächshaus, wo jetzt fast alle Kamelien blühen.
Blick in das Königsbrücker Gewächshaus, wo jetzt fast alle Kamelien blühen. © Matthias Schumann

Die Gruppe aus Chemnitz ist nicht die einzige Sehbehindertengruppe, die zu den Kamelien nach Königsbrück kommt. Seit dem Jahr 2018 gibt es dieses spezielle Projekt, die Nachfrage danach ist groß.

Doch die Blindenführungen sind nicht die einzigen Aktivitäten, die der Heimatverein in Zusammenhang mit den Kamelien auf die Beine stellt. Es gibt Märchenführungen für Kindergartengruppen, Pflegeeinrichtungen werden besucht - dann mit den Kamelien im Gepäck -, und Reisegruppen können sich auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten die Schau ansehen. Immer mit dabei: ein Mitglied des Heimatvereins, das die Führung leitet, und Doris Füssel, die gute Seele der Königsbrücker Kamelien.

In der aktuellen Saison haben schon mehr als 5.000 Interessierte an den acht Öffnungssonntagen das Gewächshaus besucht. Sie kommen vor allem aus Sachsen, aber auch aus ganz Deutschland und sogar dem Ausland. „Die am weitesten Angereisten waren von der Ostsee und aus der Steiermark“, sagt Doris Füssel. Und sie weiß auch, dass viele eine kleine Kamelienpflanze für zu Hause mitnehmen.

Kamelienschau noch bis nach Ostern zu sehen

Noch ist die Kameliensaison nicht zu Ende. Peter Sonntag rechnet damit, dass die Schau noch bis Sonntag, den 7. April, zu sehen sein wird. „Das hängt ganz davon ab, wie lange die Pflanzen blühen“, sagt er. Auf jeden Fall ist er schon jetzt mit der Saison, es ist die 25., mehr als zufrieden.

Das Kamelienhaus im Schlosspark von Königsbrück ist immer sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Reisegruppen können auch an anderen Tagen geführt werden, dann mit Anmeldung über die Königsbrück-Information, Telefon: 035795 30844 oder per Mail: [email protected], oder den Heimatverein: Telefon: 0174 3424726 oder per Mail: [email protected]