SZ + Kamenz
Merken

Gersdorf: "Auch unsere Kirche war abgebrannt, nun helfen wir Großröhrsdorf!"

1945 wurde die Dorfkirche von Gersdorf in Haselbachtal ein Raub der Flammen. Der Brand der Stadtkirche Großröhrsdorf 2023 hat die Erinnerung daran geweckt. Deshalb gibt's nun eine besondere Abendmusik.

Von Ina Förster
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Rudi Merz ist in Gersdorf geboren, aufgewachsen und seit 55 Jahren Kantor in der Dorfkirche, die nach einem Brand 1945 komplett neu aufgebaut wurde.
Rudi Merz ist in Gersdorf geboren, aufgewachsen und seit 55 Jahren Kantor in der Dorfkirche, die nach einem Brand 1945 komplett neu aufgebaut wurde. © Matthias Schumann

Gersdorf. Rudi Merz öffnet die schwere Kirchentür. Draußen sind es 28 Grad, im Gotteshaus angenehme 20. Der 72-Jährige kennt die Kirche in Gersdorf in der Gemeinde Haselbachtal wie seine Westentasche und von Kindesbeinen an. Vier oder fünf Jahre alt sei er gewesen, als sie gebaut wurde. "Ich erinnere mich, dass die neue Orgel zum Schluss angeliefert wurde. Und ich habe mich noch so gefragt: Was mag das für ein Ding sein?", erzählt er lachend.

Heute ist Rudi Merz Kantor dieser Kirche - und spielt regelmäßig auf der Jehmlich-Orgel. Doch warum ist die Gersdorfer Kirche so jung? Erst 1956 wurde sie geweiht, das ist gerade einmal 67 Jahre her!

Gersdorfer Kirche ist erst 67 Jahre alt

Erst beim zweiten Hinschauen bemerkt man die Besonderheiten: Holzmalerei an den Emporen, die ein klein wenig an "Kunst am Bau" der 1950er-Jahre in der DDR erinnern. Das Alte Testament in blassen Pastellfarben. "Eine Restauratorin hatte vor ein paar Jahren angemerkt, dass es besondere Bilder seien, die Seltenheitswert besitzen", sagt Merz. Auch die kassettenartige Holzdecke erinnert mehr an eine Baude in den Bergen als an eine Kirche.

Kein Wunder, denn von der alten Gersdorfer Kirche existieren nur noch die Grundfesten aus dem 18. Jahrhundert. Der Rest brannte kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges im April 1945 ab. Nur noch ein schmiedeeiserenes Kreuz an der Wand erinnert an die Vergangenheit. Der Rest fiel den Flammen zum Opfer.

Nur ein einziges altes Foto erinnert noch an die Gersdorfer Kirche, die kurz vor Kriegsende 1945 lichterloh abbrannte. Nichts konnte gerettet werden außer einem schmiedeeiserenen Kreuz, das heute rechts an der Wand vor dem Altar hängt.
Nur ein einziges altes Foto erinnert noch an die Gersdorfer Kirche, die kurz vor Kriegsende 1945 lichterloh abbrannte. Nichts konnte gerettet werden außer einem schmiedeeiserenen Kreuz, das heute rechts an der Wand vor dem Altar hängt. © Repro: Matthias Schumann

Rudi Merz kennt die Geschichte, die damit verbunden ist. Alle "Alten" im Dorf kannten sie. "Die Gersdorfer wollten sich kurz vor Kriegsende ergeben, hissten weiße Flaggen im Ort. Auch auf der Kirchturmspitze, damit die Russen uns nicht angreifen", gibt er das Geschehen von damals wieder. Diese seien schon bis in die Nähe vorgerückt gewesen. "Der Gersdorfer Bahnhof war bereits unter Beschuss", erzählt Rudi Merz.

Doch die SS-Leute kamen noch einmal zurück - und trieben die Gersdorfer in der Dorfmitte zusammen, um sie zu erschießen. So erzählt es die Chronik. Mitgenommen wurden letztendlich nur Bürgermeister Erwin Haase und Karl Talazko, Pfarrer von Obergersdorf. Ob die beiden sich als "menschlichen Pfand", als Austausch für die anderen Gersdorfer hergaben, ist nicht genau überliefert. Fakt ist: Beide wurden als Verantwortliche in Pulsnitz von SS-Leuten erschossen. Am 21. April 1945 - nur 17 Tage vor dem Kriegsende.

Schlug ein Geschoss ins Pfarrhaus ein?

Talazkos Grabstein steht noch immer vor dem Eingang der heutigen Kirche und mahnt die Lebenden. Der kleine Dorffriedhof wirkt malerisch, gleich daneben steht das Karoline-Rietschel-Haus. Das alte Pfarrhaus an der anderen Seite wurde gerade komplett saniert. Eine Idylle.

Höchstwahrscheinlich muss damals ein Geschoss auch in das Pfarrhaus eingeschlagen sein. "Es konnte nie richtig nachvollzogen werden, ob es Brandstiftung war oder Beschuss der russischen Truppen, aber das Feuer sprang über und die alte Dorfkirche brannte bis auf die Grundmauern ab. Nur ein Giebel blieb stehen. Ähnlich wie jetzt in Großröhrsdorf", sagt der Kantor.

Die Gersdorfer Kirche wurde erst vor 67 Jahren geweiht. Sie musste nach dem Brand 1945 komplett neu aufgebaut werden auf den Grundmauern des früheren Gotteshauses.
Die Gersdorfer Kirche wurde erst vor 67 Jahren geweiht. Sie musste nach dem Brand 1945 komplett neu aufgebaut werden auf den Grundmauern des früheren Gotteshauses. © Matthias Schumann

Als die Gemeinde vom Kirchenbrand in der Nacht zum 4. August 2023 in der Rödertalstadt erfuhr, war das für viele ein Schock. "Ich habe den Brand 1945 zwar nicht miterlebt, da ich noch nicht geboren war, aber das macht trotzdem etwas mit einem. Alles war gleich gegenwärtig", sagt Rudi Merz. Wenn Kirchen brennen, habe das eine starke Symbolkraft. Eine beängstigende.

Wie in Großröhrsdorf, wo jetzt zum Beispiel Taufen und die Amtseinführung der neuen Kantorin im Rödersaal stattfinden, wurde damals auch in Gersdorf das Kirchgemeindeleben in den Gasthof gegenüber verlegt: Taufen, Hochzeiten, Gottesdienste fanden über längere Zeit dort statt. "Es gibt viele Parallelen", sagt Rudi Merz. Auch aus diesem Grund kam der Kantor auf die Idee, doch irgendwie helfen zu wollen.

Benefiz mit Posaunen, Männerchor und Klaviersolo

"Im September gibt es bei uns seit vielen Jahren die Gersdorfer Abendmusik. Diese hat Tradition und ist über die Dorfgrenzen beliebt", so Merz. Mitwirkende sind der Männergesangsverein Haselbachtal, der Posaunenchor Bischheim-Gersdorf und diesmal Solomusiker Matthias Grimsel am Klavier.

Der Kantor machte den Musikern den Vorschlag, aus der Abendmusik einmalig ein Benefizkonzert für die ausgebrannte Großröhrsdorfer Stadtkirche zu machen. Alle seien sofort einverstanden gewesen. Sämtliche Einnahmen des Abends werden gespendet. In den letzten Wochen gab es einige derartige Hilfsaktionen.

Am Mittwoch, den 20. September, 19 Uhr, ist es soweit. Etwa 400 Gäste passen in die Gersdorfer Kirche. "Wir hoffen auf regen Zuspruch für die gute Sache und auch für unsere künstlerische Darbietung", sagt Merz. Mit den Protagonisten habe man gestandene Musiker und Sänger im Gotteshaus zu Gast, die das Publikum begeistern werden. Vor allem auch der Posaunenchor habe in den letzten Jahren unter Leitung von Christoph und Reinhard Maack - Sohn und Vater - auch personell und künstlerisch an Stärke gewonnen.

Abendmusik in Gersdorf, Mittwoch, 20. September, 19 Uhr, Gersdorfer Kirche