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Mutiger Neustart nach dem Krebs

Kein Bafög, kein Hartz IV, kein Wohngeld: Und trotzdem möchte Yvonne Heibertshausen Lehramt studieren. Hier ist ihr Plan zum Überleben.

Von Luisa Zenker
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Yvonne Heibertshausen (links) mit ihrer Partnerin Marlies Eckhardt aus Kleinnaundorf
Yvonne Heibertshausen (links) mit ihrer Partnerin Marlies Eckhardt aus Kleinnaundorf © Egbert Kamprath

Bei Yvonne Heibertshausen zu Hause ist es gemütlich. Mit einer Tasse Kaffee und Lebkuchen sitzt sie in der Küche in Kleinnaundorf. Katze Tinka schläft bilderbuchmäßig auf dem Sofa. Der Kamin im Hintergrund knistert leise und verbreitet eine angenehme Wärme. Yvonne will geduzt werden. Sie schaut aus dem Fenster in den Garten. Dort in der Erde wühlen, das hat sie lange nicht gemacht. Die Ärzte haben ihr davon abgeraten. Zu viele Keime im Boden für einen immungeschwächten Menschen.

Yvonne Heibertshauen ist jetzt 40 Jahre alt. Sie hat es kalt erwischt, als sie Anfang des Jahres die Diagnose bekam: Gebärmutterhalskrebs. "Als mir der Arzt mitteilte, dass ich Krebs habe, war ich ganz gefasst. Erst als ich es später selber ausgesprochen habe, es meiner Partnerin und meiner Familie erzählt habe, bin ich zusammengebrochen", erinnert sich die Frau, die nun noch einmal ganz von vorne beginnen möchte und dafür eine Kampagne startete. Seit der Diagnose hat Yvonne extremes durchgemacht - Operationen und Chemotherapie - und das alles während der Corona-Zeit.

Da gab es viele Stunden zum Nachdenken. Besuche waren nicht erlaubt. Yvonne kam ins Grübeln. Über sich und ihr bisheriges Leben in der Kulturbranche. "Ich habe immer viel gearbeitet, manchmal zwölf Stunden am Stück", sagt die Frau, die sich einst als Eventmanagerin selbstständig gemacht hatte.

"Ich wollte eigentlich immer was anderes"

Yvonne gehört zu einem der vielen Köpfe hinter Veranstaltungen wie Palaissommer, Schaubudensommer oder Humorzone Dresden. Doch während der großen Pause in ihrem Leben, in der es um Blutwerte und Medikamente, Übelkeit und Schmerzen ging, ja, letztlich um Leben und Tod, hat sie reflektiert. Eine Frage ging ihr dabei nicht aus dem Kopf: Was will ich eigentlich?

"Eines Morgens bin ich aufgewacht und wusste es. Ich möchte Menschen helfen, und ich möchte mit Kindern arbeiten." Danach hat sie entschieden: "Ich will Grundschullehrerin werden." Denn wenn sie sich selbst beschreiben soll, dann ist es das, was ihr sofort einfällt: "Ich glaube, ich kann mit Kindern besser, als mit Erwachsenen."

Also hat sich Yvonne im Spätsommer an der TU Dresden eingeschrieben. Grundschullehramt für Deutsch, Mathe, Sachunterricht und Musik. Ja, Musik, das ist eine ihrer Leidenschaften. Als Jugendliche spielte sie Trompete, Flöte und Keyboard. Aber am Liebsten singt sie und klimpert dazu auf der Gitarre.

Doch auch wenn Yvonne dem Traumberuf ganz nah ist, stellt sie das Studium vor Herausforderungen. Denn die Kleinnaundorferin fällt durch alle Raster der Förderung. Sie bekommt keine finanzielle Unterstützung vom Staat für ihr Vollzeitstudium.

Kein Bafög, kein Hartz IV, kein Wohngeld

Bafög? Gilt für sie nicht, denn die Förderung kriegt man nur bis 30. Es sei denn, man hat Zeit gebraucht, um Angehörige zu pflegen. Hartz IV? Ginge nur, wenn sie das Studium in Teilzeit absolvieren würde. Das aber würde doppelt so lange dauern. Dann wäre sie fast 50, wenn sie fertig ist. Wohngeld? Bekommt sie auch nicht, denn dafür müsste sie ein Mindesteinkommen aufzeigen. Das ist für sie aber nicht machbar.

Yvonne kann zurzeit nicht arbeiten gehen. Sie gehört zu den Corona-Risikopatienten. Durch ihre Chemotherapie ist ihr Immunsystem zu sehr geschwächt. Die Ärzte haben ihr in der aktuellen Pandemielage dringend von einem Nebenjob abgeraten. Generell verzichtet Yvonne zurzeit auf Besuch. Auch beim Gespräch mit Sächsische.de hält sie natürlich ordentlich Abstand.

"Ich treffe niemanden mehr - außer meine Frauenärztin", sagt sie. Deshalb fallen Nebenjobs derzeit weg. Und von zuhause aus arbeiten? "Natürlich könnte ich wieder meinen alten Job in der Kulturbranche aufnehmen, und das möchte ich auch. Aber das ist im Moment eben schwierig. Es gibt keine Veranstaltungen."

Spendenkampagne für Yvonne

Yvonne gibt trotzdem nicht auf. "Ich will das Studium unbedingt." Damit ihr Traum vom Grundschullehramt nicht platzt, sammelt sie nun mit einer Online-Kampagne Spenden für das Studium. Davon möchte sie ihre Lebenshaltungskosten wie Lebensmittel und Krankenversicherungsbeiträge decken.

Auch die Miete für die kleine Wohnung in Kleinnaundorf muss bezahlt werden. Dort wohnt sie seit einem Jahr mit ihrer Partnerin Marlies. Sie arbeite zwar als Zahnarzthelferin, habe deshalb aber auch nicht das Geld, um beide zu finanzieren.

635 Euro sind bisher schon als Spende eingegangen. Das Limit hat Yvonne auf 10.000 Euro gesetzt. Dass es so viel wird, glaube sie nicht, aber sie hat erstmal mit ungefähr 1.000 Euro pro Monat gerechnet. Damit komme sie zumindest so lange hin, bis sie wieder fit sei und arbeiten könne.

Auch mit 40 noch was Neues beginnen

Im Moment sitzt die Krebserkrankung noch zu tief. Dadurch, dass ihre Lymphknoten teilweise entnommen wurden, hat sie starke Beinschmerzen. Sie fühlt sich schnell schlapp. Doch die junge Frau ist lebensfroh und lacht viel. Auch, dass sie jetzt eine der Älteren im Studium ist, findet sie eher witzig. Das halte sie nicht davon ab, Lehramt zu studieren.

Yvonne weiß, dass sie Glück hatte. "Es gibt auch Leute, die sterben mit 40." Doch sie kann nun der Krankheit auch etwas Positives abgewinnen: "Früher habe ich immer gedacht, es ist ja noch Zeit. Ich kann ja immer noch was anderes machen." Doch gehandelt habe sie nicht. Erst jetzt hat sie den Mut dazu.

Natürlich hofft sie, dass andere nicht erst eine Krankheit brauchen, um sich zu fragen, ob sie glücklich sind. Yvonne selbst ist jetzt glücklich. Sie hat den Krebs überstanden und sitzt in den Online-Vorlesungen. Sogar singen darf sie im Seminar - trotz Corona, aber natürlich nur durchs Telefon. Da spitzt auch Katze Tinka auf ihrem Sofa die Ohren.

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