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Gefahr für sächsisches Festival "Sandstein und Musik"

Beim 31. Jahrgang des Ganzjahresfestes ist vom überfälligen Aufbruch wenig zu spüren. Im Gegenteil: Sein Mitgründer sorgt mehr und mehr für Demontage.

Von Bernd Klempnow
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Klaus Brähmig, 65-jährig, mag jüngeren Könnern mit Zukunftsideen für „Sandstein und Musik“ nicht Platz machen.
Klaus Brähmig, 65-jährig, mag jüngeren Könnern mit Zukunftsideen für „Sandstein und Musik“ nicht Platz machen. © Norbert Millauer

Da startet ein Festival ins vierte Jahrzehnt, scheint stabil und erfolgreich. Es bietet Aufführungen in reizvollsten Bauten in der Region Sächsische Schweiz mit Künstlern, die für exzellente Qualität bürgen. International Gefeierte sind neben Sachsens Nachwuchs zu hören. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ist sogar Schirmherr des Festivals, das er in der „naheliegenden und zugleich ungewöhnlichen Verbindung der Elemente Sandstein und Musik beeindruckend“ nennt. Und doch ist dieses Festival auf Dauer gefährdet, denn einer seiner – eigentlich verdienstvollen – Gründer demontiert es.

Gemeint ist das Festival „Sandstein und Musik“, das der Dresdner Startrompeter Ludwig Güttler und der damalige CDU-Politiker Klaus Brähmig 1993 gestartet hatten.

Der Trompeter Ludwig Güttler war künstlerischer Leiter des Festivals von 1993 bis 2022. Er ging 79-jährig in den Ruhestand.
Der Trompeter Ludwig Güttler war künstlerischer Leiter des Festivals von 1993 bis 2022. Er ging 79-jährig in den Ruhestand. © dpa-Zentralbild

Der Musiker war für das Künstlerische zuständig, der im Bundestag sitzende Politiker und Tourismus-Lobbyist mitsamt seiner Familie kümmerte sich um das Geschäftliche. Um die 20 bis 30 Konzerte brachten sie in die sonst an Hochkultur nicht so reiche Region. So soll es auch in diesem Jahr sein. Vom 25. März bis 10. Dezember gibt es 23 Veranstaltungen. Das Motto des Jahrgangs ist „Im Fluss“ und meint, „alles ist steter Veränderung unterworfen, im Belebten und Unbelebten, in Natur und Kultur, im Weltklima wie in der eigenen Biografie“, so der neue künstlerische Leiter Karsten Blüthgen.

Am Donnerstag stellte er die Vorhaben vor: Das Jahresmotto solle für diese Veränderungen sensibilisieren, wie es jede der 23 geplanten Veranstaltungen es auf ihre Weise könne. „Zeitläufe werden greifbar, indem sich hier Mozart und Pärt, da Bach und Piazzolla gegenüberstehen. Indem Werke in neuen Instrumentierungen erscheinen, Volkslieder aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden.“

Humor haben die Künstler von des deutschen Crossover-Ensembles „Uwaga!“. Sie spielen Klänge der Renaissance wie auch Punk und gestalten bei „Sandstein und Musik“ im Juni das Festkonzert zu 800 Jahre Grumbach – falls das Festival zuvor keinen Schaden nimmt
Humor haben die Künstler von des deutschen Crossover-Ensembles „Uwaga!“. Sie spielen Klänge der Renaissance wie auch Punk und gestalten bei „Sandstein und Musik“ im Juni das Festkonzert zu 800 Jahre Grumbach – falls das Festival zuvor keinen Schaden nimmt © Daniel Pasche

Das bereits im Vorverkauf befindliche Programm ist reizvoll und bunt. Es bietet auch wieder die ungewöhnliche Nachwuchsförderung mit Vorkonzerten durch die Musikschule Sächsische Schweiz. Spenden werden seit Jahren dabei für Kinderinstrumente eingeworben. „Die Summe, die wir mithilfe des Publikums mittlerweile sammeln konnten, bewegt sich auf einen sechsstelligen Betrag zu“, so Klaus Brähmig, Vorsitzender des das Festival tragenden Vereins. Das ist tatsächlich einzigartig.

Alles paletti also. Nein, denn grundsätzlich funktioniert das Festival wie vor 30 Jahren. Künstler kommen angereist, gestalten die Aufführungen und fahren wieder. Dieser Ansatz eines regional wirkenden Festivals, Kultur tradiert in die Provinz zu exportieren, ist überholt, weil die Region zu wenig einbezogen wird. Publikumswünsche müssen stärker beachtet werden. Neue Konzertformen sind gefragt, die das veränderte soziale und gesellschaftliche Verhalten berücksichtigen. Warum nicht Artisten und Comedians integrieren? Auch sagen Musiker, wenn sie das Publikum direkt ansprechen und zum Mitmachen animieren, gehe dieses ganz anders mit.

Überall in der Region gibt es unterschiedlichste Initiativen, vom Posaunenchor über Kantoreien bis hin zu den Mittelalterfans von Dohna, die man als Partner für kleine Festivals in ihren Orten zum Mitmachen gewinnen könnte. Junge Leute sollte das Festival stärker ansprechen, ist ein Förderkriterium des Freistaates.

Dann wackelt auch das Schostakowitsch-Festival

Ideen und Ansätze für solchen Aufbruch und viele Gespräche vor Ort gab es. Ein fähiger Geschäftsführer – Martin Steude, der jahrzehntelang Güttlers Büro auch in Sachen Festival- und Gastspielorganisation geleitet hatte – fing bereits an. Güttler selbst nahm 79-jährig Abschied vom Festival. Zuvor wollte er die Leitung in jüngere Hände geben und hatte dazu den auch in der Jugendarbeit fitten Kapellmusiker Friedwart Christian Dittmann gewonnen.

Doch Klaus Brähmig, der 2017 sein Bundestagsmandat an die damalige AfD-Parteivorsitzenden Frauke Petry verlor, 2020 aus der CDU austrat und als Einzelkandidat 2021 nicht über 4,8 Prozent der Erststimmen kam, kann nicht loslassen. Zudem gilt er bei Auftritten als poltrig, ungeschickt, ichbezogen und polarisierend. Ein Gefühl, wie man mit den teils sensiblen Künstlern umgeht, habe er nicht, sagen Insider.

Neuen Ideen oder Experimenten verweigere er sich vielfach. Kommen andere Künstler in „sein“ Terrain – wie derzeit der Cellist Jan Vogler mit seiner Provinz-Tournee –, spricht Brähmig von Kannibalisierung statt Bereicherung. Und behindert so die Erneuerung des Festivals.

Geschäftsführer Steude hat gekündigt. Der Musiker Dittmann warf das Handtuch, bevor er überhaupt angetreten ist. Sponsoren reduzieren Mittel und kündigen an, sich abzuwenden. Kommissarischer Leiter ist der langjährige und innovative Dramaturg Blüthgen. Spielraum wird ihm kaum zugestanden. Dabei ist es schwer genug ohne die Galionsfigur Güttler. Dessen Konzerte waren immer so gut besucht, dass sie andere Abende subventionierten.

Lügen und Intrigen

Fragt man Brähmig, wohin er das Festival entwickeln möchte, spricht er von „einem neuen Anfang“ und betont zugleich: „Kontinuität ist wichtiger denn je. Wir tasten uns vor, um das alte Publikum zu behalten und neues zu finden“. Dass er vor einem Jahr zugesagt haben soll, mit Güttler Platz für eine neue Führung zu machen, nennt er eine Lüge und Intrige. Gäbe es ihn nicht, wäre der Festival-Verein tot.

Wenn so ein gut eingeführtes Festival, noch eines der wenigen außerhalb der Zentren, wegen einer Personalie womöglich den Bach runtergeht, ist das schon ärgerlich. Im Falle vom regional ausstrahlenden „Sandstein und Musik“ wäre das doppelt bitter, denn das könnte das international ausstrahlende Schostakowitsch-Festival von Gohrisch gefährden. Beide Festivals werden unter dem Dach der FestivalKultur Sächsische Schweiz gGmbH seit 2019 vom Freistaat institutionell gefördert. Die gGmbH wurde extra gegründet, um beide Initiativen, wo es durchaus Synergien gibt, zu stärken. Bei Schostakowitsch und seinem speziellen Format läuft es bestens.

Die Politik beobachtet genau, was passiert. Bislang greift sie nicht ein. Michael Kretschmer sagt als Schirmherr: „Erfolg und Freude wünsche ich dem diesjährigen kommissarischen Leiter Karsten Blüthgen und zugleich danke ich Ludwig Güttler, der erstmalig nicht als Künstlerischer Leiter dabei sein wird.“ Der Name Brähmig fällt in seinem Grußwort zu diesem Jahrgang, auch in dem von Sachsens Kunstministerin Barbara Klepsch und dem von Landrat Michael Geisler demonstrativ nicht.

Aus dem Festival-Programm 2023

  • Die Eröffnung bestreiten am 25. März in der Dorfkirche Lohmen die Dresden Chamber Soloists – Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle. Sie interpretieren Mozart und Arvo Pärt.
  • Das Festkonzert am 4. Juni in der Kirche von Grumbach gestaltet das Quartett „Uwaga!“ – Crossover humorvoll, leidenschaftlich und virtuos.
  • Ein Mitmach-Konzert bietet am 1. Juli in St. Nikolai von Dippoldiswalde das Sächsisches Vocalensemble. Volkslieder aus verschiedenen Epochen und Perspektiven erklingen, und die Einladung, mitzusingen, gilt.
  • Einen literarischen Abend gestaltet Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge am 30. September im Hotel Elbresidenz Bad Schandau. Er trägt aus Axel Hackes Buch „Die Tage, die ich mit Gott verbrachte“ vor.
  • Tickets gibt’s in allen DDV-Lokalen und online: www.sz-ticketservice.de .