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Joachim Król genießt jeden ersten Tag eines Drehs

Mit Joachim Król und „Wir können auch anders“ kam Anfang der Neunziger das Arthaus-Kino in den Osten. 30 Jahre später geht er noch einmal auf Deutschlandreise in der Komödie „791 km“.

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Joachim Król spielt in „791 km“ einen Taxifahrer, der eine bunt zusammengewürfelte Gästeschar von München nach Hamburg fahren muss. Die Reise wird zu einer deutschen Befindlichkeitsfahrt.
Joachim Król spielt in „791 km“ einen Taxifahrer, der eine bunt zusammengewürfelte Gästeschar von München nach Hamburg fahren muss. Die Reise wird zu einer deutschen Befindlichkeitsfahrt. © dpa

Schauspieler Joachim Król taucht seit „Wir können auch anders“ von 1993 in regelmäßigen, mit Bedacht gewählten Abständen im Fernsehen und im Kino auf, spielt gern lakonisch, eher still und, wenn es passt, echte Typen. Wie zuletzt den Peachum in „Brechts Dreigroschenfilm“, Drogenboss Pums in „Berlin Alexanderplatz“ und Opa Gerd in „Wochenendrebellen“. Im aktuellen Werk „791 km“ gibt Król einen Taxifahrer, der Iris Berben, Ben Münchow, Lena Urzendowsky und Nilam Farooq von München nach Hamburg kutschiert, weil ein Sturmtief keinen Zug mehr auf die Gleise lässt. Ein Gespräch mit dem 66-Jährigen über Staunen, Ausschlafen und Häme.

Herr Król, folgendes Szenario: Das Taxi in München hat noch einen Platz frei, Sie selbst sitzen neben diesen fünf Menschen aus dem Film und fahren 791 Kilometer nach Hamburg. Wie hätten Sie sich verhalten?

Erst einmal hätte ich versucht, unter einem Vorwand vorn rechts im Auto zu sitzen, um wenigstens ein wenig Privatsphäre zu haben. Wahrscheinlich hätte ich ein steifes Knie vorgetäuscht, das sollte ein Schauspieler können. Mich mit fremden Menschen auf eine Rückbank zu quetschen ist nicht so mein Ding. Ich glaube aber, ich wäre relativ schnell mit ihnen ins Gespräch gekommen. Gerade mit den jungen Leuten hätten wir sicher Themen gefunden. Mein Sohn ist 32, und ich bin Zwilling, werde also als durchaus kommunikativ und neugierig beschrieben. Ich hätte mir also keinesfalls die Kopfhörer aufgesetzt und sieben Stunden Stille gesucht.

Sie haben einmal gesagt, Sie seien ein Augenmensch, ein Wortmensch müssen Sie ja ebenfalls sein. Wie geht es den beiden miteinander?

Sie mögen sich auch. Ich versuche immer, mir neben dem Beruf einen Sinn zu bewahren für das, was mich umgibt, mindestens für den Partner, aber auch für alles andere. Das war eine frühe Lektion. Hinter Ihnen zum Beispiel steht eine sehr ungewöhnliche Tischleuchte. Es ist eine beiläufige Wahrnehmung, aber sie ist da, und in der Summe bedingen alle Wahrnehmungen und Subwahrnehmungen mein Verhalten, wie ich mich bewege oder mich auf Dinge konzentriere oder eben nicht. Das zu den Augen, aber gute Texte sind das Schönste überhaupt. Gute Literatur, die mich vielleicht in die Vergangenheit versetzt, Flaubert und Balzac, die mich ins alte Frankreich führen, ersetzt mein Auge. Da haben wir dann die Ergänzung.

Mit Iris Berben auf der Weltpremiere des Films "791 KM".
Mit Iris Berben auf der Weltpremiere des Films "791 KM". © dpa

Sind Sie eine Stauner?

Unbedingt, und auch einer, der schnell zu begeistern ist. Für meinen Beruf ist das Staunen Grundvoraussetzung. Ich kann mich immer wieder einfangen lassen von einer guten Atmosphäre, einer guten Darstellung, aber auch von einer tollen Landschaft. Ich gehe gern in Galerien, auf Kunstmessen oder nur stundenlang spazieren. Allerdings ist die Kehrseite des Staunens das Entsetzen, und es nimmt in letzter Zeit traurigerweise überhand.

Sie haben uns im Osten auf dem Weg ins deutsche Arthauskino begleitet, es waren einige der wichtigsten Filme darunter: „Wir können auch anders“, „Die tödliche Maria“, „Zugvögel … Einmal nach Inari“, „Keiner liebt mich“, „Lola rennt“, „Der Krieger und die Kaiserin“.

Das ist ein interessanter Aspekt, allein schon, wenn ich die Reihenfolge der Filmtitel höre. Die Tür zum Fernsehen stand für mich schon in den Neunzigern weit offen, ich hätte sie nur durchschreiten müssen, habe aber viele Sachen abgesagt. Es war ausgerechnet der ausgewiesene Kinoregisseur Tom Tykwer, der mich dazu ermuntert hat. Dabei hatten wir uns damals geschworen, dass wir Schauspieler brauchen, die in Deutschland vor allem Kino machen.

Sie wirken heute als hingebungsvoller Ensemblespieler. Sind Sie es?

Ja, denn es ist das, was mich schon ganz am Anfang interessiert hat. Ich wollte immer Teil von etwas sein. Das Schauspielhaus Bochum war für mich das große Vorbildtheater. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich von Herne aus nach Bochum gefahren und dort in einer alten Industriehalle an einer Stelle in die Proben mit Regisseur George Tabori geraten bin, als das Ensemble auf einem riesigen Schiff durch eine Schieflage ins Rutschen gekommen ist. Ich habe gar keine einzelne Person gesehen, nur dieses komplexe Menschengebilde. Es war ein unfassbarer, bald heiliger Moment für mich. Bis heute genieße ich auch jeden ersten Tag eines Drehs. Den einen kennt man, den anderen nicht, von dem weiß ich vielleicht, wer ihn kennt und mir von ihm erzählt hat. Man spürt sehr schnell, ob hier etwas Gemeinsames entstehen könnte.

Sie kommen aus dem Pott, Ihr Vater war Kohlenhauer. Warum sind Sie nicht auch in den Bergbau gegangen?

Es wäre die größte Enttäuschung gewesen, die ich hätte meinen Eltern antun können. Mein Vater hat mich unter Tage mitgenommen, um mir eine Lektion in harter körperlicher Arbeit zu erteilen, und die hat gesessen. Er wusste zwar um die begrenzten wirtschaftlichen Mittel, die unserer Familie zur Verfügung standen, aber er ist immer mit der Zeit gegangen. Und die Zeichen damals unter Willy Brandt und Walter Scheel standen auf Bildungsreform und Schüler-Bafög. Für eine relativ kurze Phase gab es eine politische Bewegung, die gerade für Kinder aus der Arbeiterklasse Emanzipation durch Bildung ausgerufen hatte. Wir waren damals tatsächlich auf dem Jungen-Gymnasium eine Handvoll Burschen aus dem Arbeitermilieu. In den Post-68ern drehte sich dann sowieso der Wind, da war es verpönt und bourgeois, Ferien auf dem Segelboot zu machen. Trampen nach Amsterdam war besser.

Gibt es für Sie eine stärkste Erinnerung an Ihre Kinder- und Jugendzeit, die noch immer nachwirkt?

Ich erinnere die Städte, wo ich herkomme, Herne, Bochum, Gelsenkirchen, und sehe dampfende Fabriken, aus denen zum Schichtwechsel massenhaft stolze Männer schreiten, die unfassbares Selbstbewusstsein haben. Sie waren die Mehrheit. Von Duisburg bis Dortmund haben sie den Ton einer riesigen Region bestimmt, dort ihr Geld verdient und ausgegeben. Dieser Ton ist über Jahrzehnte hinweg erst leiser geworden, dann ganz verklungen. Das Klassenbewusstsein, um dieses Wort zu benutzen, war sehr groß, hat sich auf uns Kinder übertragen, und ist nach und nach erodiert. Die Ich-AGs kamen auf und jetzt eben mehr und mehr die Ich-Pleitiers.

Was vor allem hat Sie auf Ihren eigenen Weg gebracht?

Eben meine Begeisterungsfähigkeit, einige glückhafte Begegnungen mit besten Freunden, die Musiker waren oder Theaterabonnements besaßen, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie gibt. All das eröffnete mir Horizonte. Als ich wusste, dass ich Schauspieler werden wollte, bin ich aufs Arbeitsamt, wo es ein kleines Heftchen mit Beschreibungen gab. Der Text fing an mit: „Wer ist dieser Mann, der morgens um 9 Uhr das Haus verlässt, wenn alle anderen schon längst auf Arbeit sind? Es ist der Schauspieler auf dem Weg zur Probe.“ Das klang schon mal sehr interessant.

Sie sind für das Buch „Was wollen die denn hier?“ nach 30 Jahren noch einmal die Strecke der Filmbrüder Kipp aus „Wir können auch anders“ von 1993 abgefahren und haben Gespräche geführt, Menschen porträtiert ...

Richtig, und ich muss gestehen, dass ich privat in all der Zeit nicht mehr in den Osten gereist bin. Ich bin einfach meinen vertrauten Wegen gefolgt.

Das ist eine so milde wie entkrampfende Antwort in Zeiten, wo über das Ost-West-Thema oftmals wieder eher böse und scharfkantig gesprochen wird.

Wissen Sie, was ich gleich nach der Maueröffnung gesagt habe? Wir müssen jetzt sofort ganze Schulklassen von links nach rechts und rechts nach links karren. Ferien, Austausch, Programm, eben damit die jungen Menschen ihre vertrauten Wege verlassen, weil sie es noch können. Leider fand das kaum statt. Heute haben wir die Situation, dass viele Menschen nicht mehr dazu fähig sind, ohne Konfrontation miteinander zu kommunizieren. Ich bin wirklich keiner, der sagt, dass früher alles besser gewesen sei. Aber ich weiß noch, wie damals um Begeisterung gerungen wurde. Mein Vater als alter SPDler ist von Tür zu Tür gegangen, hat Unterschriften gesammelt und Zettel in Briefkästen geworfen. Es wurden Busse gechartert, um Menschen vom Umland aus in die Westfalenhalle nach Dortmund zu fahren, damit sie Willy Brandt hören können. Es ging also schlichtweg darum, mit einfachen Mitteln für Ideen zu begeistern. Die Präsentation von Häme war noch nicht so ausgeprägt.

Das Gespräch führte Andreas Körner.