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So entstand der künstliche Kulturkampf um Eis schleckende Frauen

Diverse Medien und Aktivisten benutzten eine harmlose Zeitungskolumne, um Feindlichkeit gegenüber Migranten zu schüren.

Von Oliver Reinhard
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Bilder von Eis oder Banane essenden Frauen sind seit den Siebzigern auch in der Erotik weit verbreitete Motive. Bislang wurde das Eis Essen deshalb noch nie problematisiert. Jetzt aber haben Kulturkämpfer das Thema für sich entdeckt.
Bilder von Eis oder Banane essenden Frauen sind seit den Siebzigern auch in der Erotik weit verbreitete Motive. Bislang wurde das Eis Essen deshalb noch nie problematisiert. Jetzt aber haben Kulturkämpfer das Thema für sich entdeckt. © dpa

Sollen Frauen in der Öffentlichkeit kein Eis mehr schlecken dürfen, weil dieser Anblick von manchen Menschen für obszön gehalten wird, nachgerade von Zuwanderern muslimischer Prägung? Müssen wir also darauf Rücksicht nehmen und die deutsche Schleck-Kultur aufgeben? Um diese Fragen ist eine ebenso heftige wie bizarre Debatte entbrannt, etliche Medien stellen sie ihren Leserinnen und Lesern. Längst hat sich ein Sturm der Empörung daran entzündet, die vielfach offen rassistische Züge trägt. Ein typischer Kommentar im Netz lautet: „Wir lassen unsere Freiheit von keinem Ausländer nehmen!“

Das Perverse daran: Der Text eines syrischstämmigen Mitarbeiters der Süddeutschen Zeitung, der am 14. Juli Anlass war für die Diskussion, fordert nichts dergleichen. Und die Debatte über ihn ist nur ein Beispiel von zahllosen dafür, wie manche Journalisten und Aktivisten gerade aus dem „rechten“ Spektrum auch gänzlich ohne jeden Anlass eine Bedrohung unserer kulturellen Identität konstruieren.

Speisen, die als phallisch betrachtet werden könnten

Mohammed Alkhalaf schrieb am 14. Juli eine Kolumne in der Süddeutschen über Eis schleckende Frauen und räumte ein, nach seiner Ankunft in Deutschland vor acht Jahren mit diesem Anblick Probleme gehabt zu haben aufgrund seiner konservativen Prägung in Syrien. Denn auch dort würde von manchen Menschen „das Verspeisen von Speiseeis und anderen Mahlzeiten, die als phallisch geformt angesehen werden könnten ... als provokant oder anstößig empfunden werden“.

Heute aber, so Alkhalaf weiter, fände er den Anblick völlig normal und habe sich daran gewöhnt. Sein Kommentar erzählt also eher eine kleine Geschichte gelungener Integration in die deutsche Eisschleckkultur. Viele Empörer aber können den Fall gar nicht hoch genug hängen, allerdings an eine ganz andere Fahnenstange, eben die der Bedrohung „unserer“ kulturellen Identität.

Obszöne Lügen der rechtsradikalen Schweizer Weltwoche

Diverse einschlägige Medien stürzten sich auf den Text wie Fliegen auf Fladen. „Sollten Frauen Rücksicht auf Migranten nehmen?“, fragte etwa Exxpress – dabei hatte das niemand gefordert oder auch nur nahegelegt. In der Welt deutete „Freiheitsreporterin“ Anna Schneider ohne jeden faktischen Anlass die von Mohammed Alkhalaf erwähnten konservativen Prägungen dann um in religiöse: „Kein noch so verletztes religiöses Gefühl rechtfertigt die Einschränkung weiblicher Freiheit.“ Womit sie endgültig Muslime ins Visier rückte.

Die Schweizer Weltwoche ließ gleich sämtliche Hemmungen fallen und interpretierte den Kommentar vollends um in Richtung Hass auf Muslime. „Wie vermeiden Frauen sexuelle Übergriffe?“, fragte das Blatt des rechtsnationalen Verlegers Roger Köppel, und fantasierte: „Die Süddeutsche weiss Rat: Kein Eis aus der Waffel lecken, wenn Muslime in der Nähe sind“.

Jammern über nicht vorhandene Moralkontrolleure

Im Focus schrieb Ulrich Reitz: „Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Moslem aus Syrien, der sich von Eis schleckenden Frauen sexuell erregt fühlt, und den Straßenblockierern der Letzten Generation, die sich in ihrer orthodoxen Klima-Apokalypse in denselben Unbedingtismus verrannt haben?“ Auch Tichys Einblick ritt eine scharfe Attacke, schimpfte über „Moralkontrolleure, in Syrien wie in Deutschland“ und berichtete: „Ein aus Raqqa stammender Autor erregte sich in der Süddeutschen über öffentlich eisessende Frauen in München.“ Irgendwann fiel es der Redaktion dann doch auf, dass sie eine Lüge veröffentlicht hatte, und sie ersetzte das „erregte sich“ durch „thematisierte“.

Zahllose weniger radikale Blätter wie Berliner Zeitung und Rheinische Post griffen das Thema ebenfalls auf und titelten etwa: „Dürfen Frauen in der Öffentlichkeit Eis essen, oder ist das obszön?“ Auch wenn es darunter oft differenzierter zugeht, suggerieren solche Überschriften freilich, dass tatsächlich „Migranten“ deutschen Frauen das Eis Essen verbieten wollten.

Eis essende Frauen hängen in unzähligen Männerspinden

Timo Lokoschat von Bild berührt den Problemkern immerhin: „Nicht eine Eis essende Frau ist obszön, sondern die Sexualisierung völlig normaler Alltagsangelegenheiten im Taliban-Style.“ Was Lokoschat unterschlägt: Eis und Banane essende Frauen sind seit den Siebzigern, lange vor Entstehung der Taliban, sexualisierte Standardmotive auch in der gänzlich von religiösem Fanatismus freien Erotikbranche, auch der deutschen, und in unzähligen Männerspinden zu Hause.

So bleibt das einzig wirklich Obszöne die Instrumentalisierung einer gänzlich andersartigen Kolumne und deren inhaltliche Verfälschung zum Zweck eines zuwandererfeindlichen Kulturkampfes. Der wird an vorderster Front mit betrieben von Medien, die an der Konstruktion eines solchen Kulturkampfes größtes Interesse haben.