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Uwe Tellkamp nennt die Energiewende „ideologischen Scheißdreck“

Der Schriftsteller Uwe Tellkamp diskutiert in Dresden mit anderen Kulturschaffenden über das Verhältnis von Politik, Medien, Kultur und "Toilettendemokraten".

Von Karin Großmann
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Diskutierten in Dresden: Theatermacher Rainer Petrovsky, Jazztage-Intendant Kilian Forster, Buchhändlerin und moderierende Freie-Wähler-Stadträtin Susanne Dagen sowie Schriftsteller Uwe Tellkamp (v.l.).
Diskutierten in Dresden: Theatermacher Rainer Petrovsky, Jazztage-Intendant Kilian Forster, Buchhändlerin und moderierende Freie-Wähler-Stadträtin Susanne Dagen sowie Schriftsteller Uwe Tellkamp (v.l.). © dpa

Uwe Tellkamp nennt sich einen Mann des Wortes. Das liegt bei einem Schriftsteller nahe. Deshalb sagt er zum Gesäß auch nicht A…, pardon, sondern poltert zornig: „Die Gesellschaft ist im Hintern!“ Das begründet er nicht mit Fakten, er sagt seine Meinung. Das beginnt bei der Corona-Berichterstattung mit ängstlichen Ärzten, die angeblich nur heimlich die Wahrheit zu sagen wagen, „Toilettendemokraten“, so Tellkamp.

Es setzt sich fort über Medien, die seiner Ansicht nach „ihren gottverdammten Job nicht machen“ und nur der herrschenden Politik folgen. Und es endet längst nicht bei der Energiewende, die der Mann des Wortes als „einen hanebüchenen ideologischen Scheißdreck“ bezeichnet. Keiner sage was. „Das Land liegt in Ängsten.“ Die Letzten, die den Mut haben müssten zu einem Ausweg, seien die Kulturschaffenden.

„Uns geht es immer darum, die Begriffe sauber zu halten“

Vier von ihnen sitzen an diesem Donnerstagabend auf dem Podium. Neben Tellkamp sind das der Theatermann Rainer Petrovsky, Leiter der 1001 Märchen GmbH, Kilian Forster, Intendant der Dresdner Jazztage, und als Moderatorin die Buchhändlerin Susanne Dagen, die als Stadträtin die Freien Wähler in Dresden vertritt. Das Bündnis hat einmal mehr ins Stadtmuseum eingeladen. Der große Saal ist gut gefüllt. „Uns geht es immer darum, die Begriffe sauber zu halten“, sagt die Moderatorin.

Von Sauberkeit spricht sie öfter und rügt Tellkamp wie Forster, weil beide das Wort Kulturschaffende verwenden. „Das wollen wir doch nicht mehr sagen.“ Tatsächlich ist der unschöne Kollektivbegriff nicht erst in der DDR entstanden. Seit September 1933 wurden damit alle in der NS-Reichskulturkammer organisierten Frauen und Männer bezeichnet, die im weitesten Sinne künstlerisch tätig waren.

"Kultur ist nicht Mittel zum Zweck, nicht per se politisch"

In gewisser Weise geht es auch darum an diesem Abend, es geht um Politik und Kunst und was eines mit dem andern zu tun haben sollte – oder nicht. Die Kontroverse läuft, seit Menschen die ersten Vogelfüße als Buchstaben in den Stein meißelten, spätestens seit der Aufklärung. Die Stadträtin Susanne Dagen vertritt in ihrer Bewerbung um das Amt der Dresdner Kulturbürgermeisterin die Meinung: „Kultur kann Gräben schließen, kann Brücken bauen“.

Auf dem Podium hingegen ist sie einer anderen Auffassung: Kultur sei nicht Mittel zum Zweck, Künstler sollten nicht zu Brückenbauern degradiert werden, sonst lande man schnell bei Propaganda. Vielmehr sollten sie bewusst in Gräben schauen und gegen den sogenannten Common Sense verstoßen. Also gegen Gemeinsinn und gesunden Menschenverstand. „Kultur ist nicht per se politisch“, sagt Dagen und lobt zugleich Rainer Petrovsky: Er scheue sich nicht, in der Werbung für sein Theater das Wort „Debatte“ an sein Auto zu schreiben.

"Wo ist das Staatsschauspiel jetzt? Wo sind die Debatten?"

Petrovsky hatte in einer Matineereihe auf Schloss Weesenstein im Müglitztal diverse politisch ambitionierte Denker wie zum Beispiel Gregor Gysi, Friedrich Schorlemmer oder Rafik Schami zu Gast. Für seine Veranstaltungen reklamiert er die Absicht, „Dinge öffentlich zu sagen, die in den Medien nicht zu sagen sind“. Das ehrliche Gespräch käme dort leider zu kurz. Das Podium ist sich einig: Solche Gespräche finden nur noch in privaten Räumen als „Salonkultur“ statt oder in privaten Kulturinstituten.

Darüber dürfte sich mancher wundern, der gelegentlich eben solche Diskussionen in den städtischen Bibliotheken, in Staatsschauspiel, Albertinum, Frauenkirche oder bei der Zentrale für politische Bildung besucht. Womöglich liegt es an der Gästeliste, dass solche Abende für das Podium nicht zählen? Uwe Tellkamp: „1989 war das Staatsschauspiel ein Ort des Widerstands, da hat es gebrodelt, und wo ist es jetzt? Wo sind die Debatten, außer bei den Dresdner Reden, wo bloß immer dieselben reden?“ Tatsächlich trat bei den mehr als 120 Veranstaltungen in über 30 Jahren nur ein Redner zweimal auf, Egon Bahr.

Jazztage-Chef greift Forderung der AfD auf

„Ich kenne niemanden, der im letzten halben Jahr im Schauspielhaus war“, so Tellkamp. Der Zuschauer bleibe weg, so Dagen, weil er nicht belehrt werden wolle. Tellkamps Fazit: Die staatlich geförderte Kultur spiele für die Menschen keine Rolle mehr. Das würde dann auch für Semperoper und Staatskapellkonzerte gelten. Die subventionierte Kultur müsse überhaupt entpolitisiert werden, wünscht sich Kilian Forster, Chef der Jazztage, und greift damit eine zentrale Forderung der AfD auf. Subventionen dürften auch nicht abhängig sein von der Denkart.

Seine Forderung nach Entpolitisierung der subventionierten Kultur ist auch deshalb interessant, weil Forster selber die Jazztage politisiert hat: Er hatte mehrfach den wegen seiner Verschwörungstheorien umstrittenen Historiker Daniele Ganser zu Gast und ließ im Vorjahr einen Teil der Jazztage ausfallen aus Protest gegen die Corona-Vorschriften. Er müsse nun fast ohne Fördermittel auskommen, sagt Kilian Forster. Was er nicht sagt: Für die Jazztage in diesem Jahr kommen 20.000 Euro von der Kulturstiftung des Freistaats und 33.600 Euro als institutionelle Förderung von der Stadt. Am Ende verwundert wenig, dass weder jemand von dort noch von städtischen Kultureinrichtungen auf dem Podium sitzt. Die Angefragten seien alle im Urlaub, so die Moderatorin. Sie ermuntert ihre Mitstreiter: „Wir müssen sichtbar bleiben.“