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Wie an den Landesbühnen ein gewagtes Opern-Experiment scheitert

Zwei moderne Operneinakter fordern das Publikum an den Landesbühnen in Radebeul. Trotzdem gab es zur Premiere euphorischen Beifall.

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Anna Maria Schmidt singt an den Landesbühnen überzeugend die Titelpartie der Thérèse in „Les Mamelles de Tirésias".
Anna Maria Schmidt singt an den Landesbühnen überzeugend die Titelpartie der Thérèse in „Les Mamelles de Tirésias". © ROBERT JENTZSCH

Von Jens Daniel Schubert

Ein spannendes Projekt ist jetzt an den Landesbühnen zu erleben. Die moderne Oper „Julie“, die Philippe Boesmans nach Strindbergs „Fräulein Julie“ schrieb, und die Poulenc-Komposition „Les Mamelles de Tirésias“ (Die Brüste des Tiresias) nach Apollinaire an einem Abend. Zwei spannende Reflexionen von Geschlechterrollen. Man könnte die Schauspiel-Stückentwicklung „Fräulein Else“ nach Schnitzler noch dazu nehmen und hätte drei unterschiedliche Anregungen, eigenes Verhalten zu hinterfragen. Leider verspielt der Opernabend die Chance. Seine Interpretationen sind kaum nachvollziehbar, helfen wenig über die besondere Form, Zugang zum Stoff zu bekommen.

Dass in Strindbergs Drama unentrinnbare Enge im Gegensatz zu haltloser Weite des Absurden im zweiten Stück herrscht, wird in der Ausstattung von Ralph Zeger offensichtlich. Der leere, streng begrenzte Raum, die große szenische Zurückhaltung, die die Figuren unausweichlich aufeinander konzentriert, geben der vielschichtigen Musik von Boesmans viel Raum, das Seelenleben der Protagonisten auszuleuchten. Da entfaltet die Elblandphilharmonie unter der kundigen Leitung von Chefdirigent Ekkehard Klemm großes Potenzial, wird zum Hauptakteur. Sie bringen zum Klingen, dass der Diener und die Grafentochter von Leidenschaft und Sinnlichkeit ergriffen werden, es einen ekstatischen Höhepunkt gibt, der tragisch gelöst wird.

Szene aus „Julie“ mit Gabriel Alexander Wernick und Ylva Gruen.
Szene aus „Julie“ mit Gabriel Alexander Wernick und Ylva Gruen. © ROBERT JENTZSCH

Im Spiel fehlt diese dramatische Entwicklung. Dass Liebe und Hass Ausdruck hilflosen Anrennens gegen Grenzen sind, all die aufgewühlten Gefühle, Überhebung und Unterwerfung, werden behauptet, nicht ausgespielt. Carmen C. Kruses szenische Fantasie erschöpft sich in wenigen, sich ständig wiederholenden und so austauschbar und sinnentleert wirkenden Vorgängen. Ylva Gruen und Dániel Foki als widerstreitendes Paar singen wunderbar. Ein sängerischer Glanzpunkt ist auch Menna Cazel. Als Köchin und Verlobte haben die Grenzen, an der die beiden anderen sich aufreiben, für sie kaum Bedeutung.

Die Konzeption des Abends wählt die tragische Abschlusssituation von „Julie“ als Ausgangslage für das zweite Werk des Abends. Dessen absurder Geschichte, auf französische gesungen und als deutsche Übertitel eingeblendet, kann man kaum folgen. Thérèse entflieht ihrer Ehe, indem sie ihre Brüste wegwirft und zum Mann wird. Der zurückbleibende Gatte kriegt nun die Kinder, mehr als 40.000 Kinder an einem Tag. Ihnen stehen alle Wege offen, alles zu werden und zu sein. Die entgrenzte Bühne ohne konkrete Anhaltspunkte und ein buntes Sammelsurium aus Kostümen aller Couleur, von stinknormal bis exotisch schillernd, geben keinerlei Anhaltspunkt, was hier eigentlich verhandelt wird.

Regellosigkeit führt zu unverständlichem Wirrwarr

Man kann sich an sängerischen Glanzleistungen freuen. Anna Maria Schmidt in der Titelrolle und Florian Neubauer als ihr sich neu erfindender Ex-Mann sind toll. Dirigent und Orchester, das große Solistenensemble und der Chor leisten ganze Arbeit. Poulencs Musik ist vielfältig, stimmungsvoll und bildet einen spannendes Pendant zur Komposition von Boesmans.

Vielleicht enthalten die permanent wiederkehrenden choreografierten Gesten und Bewegungsmuster ja einen Code, der den rätselhaften Kosmos entschlüsselt. Möglicherweise ist der Kontrast der Stücke – hier führen Grenzen zum Tod, dort Entgrenzung zu bunter Vielfalt – die, allerdings etwas dürftige Aussage. Schließlich bliebe, dass hemmungslose Regellosigkeit zu unverständlichem Wirrwarr führt. Aber das war vermutlich nicht beabsichtigt.

Das Experiment, an einem kleinen Theater zwei ausgefallene, anspruchsvolle Stücke zu spielen, ist aller Ehren wert. Der konzeptionelle Gedanke, ganz unterschiedliche Blickwinkel auf Geschlechterrollen, ihre Kämpfe und Absurditäten zu werfen, ist hoch ambitioniert. Das Publikum abzuholen, durch diese ungewohnten Sicht- und Spielweisen zu führen, ist leider nicht geglückt. Daran ändert auch der teils euphorische Premieren-Beifall im nur dürftig besetzten Theatersaal nichts.

Wieder am 4.2., 1., 10., 15. und 24.3.; Kartentelefon: 0351 8954321