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Prozess gegen Gil Ofarim vorerst geplatzt

In einer Woche sollte Gil Ofarim vor Gericht stehen: Er hatte Antisemitismus-Vorwürfe gegen einen Mitarbeiter eines Leipziger Hotels erhoben. Die Justiz glaubte ihm aber nicht - und klagte den Musiker an. Der Prozess wird nun aber vorerst ausgesetzt.

Von Sven Heitkamp
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Der Musiker Gil Ofarim im Jahr 2020.
Der Musiker Gil Ofarim im Jahr 2020. © Tobias Hase/dpa

Leipzig. Der Prozess wegen Verleumdung und falsche Verdächtigung gegen den Popsänger Gil Ofarim, der am nächsten Montag beginnen sollte, ist überraschend vertagt worden. Das Landgericht Leipzig teilte Montagmittag überraschend mit, die bisherigen Termine seien angesichts von Streitigkeiten mit Ofarims Anwälten und offener Rechtsfragen abgesagt worden. Neue Termine seien frühestens in einem halben Jahr möglich. Bislang waren sieben Verhandlungstage bis 30. November geplant.

Die Verteidiger, die erst Mitte August zum Verfahren hinzugezogen wurden, waren zuvor mit Befangenheitsanträgen gegen den Vorsitzenden Richter in Leipzig gescheitert. Auch eine Beschwerde beim Oberlandesgericht in Dresden wurde am Freitag als unzulässig verworfen. Darauf kündigten die Anwälte eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht an.

Nun teilte der Vorsitzende Richter Jens Kaden in seiner Begründung mit, man wolle dem „kolportierten Eindruck, der Angeklagte werde mit der Durchführung der Hauptverhandlung ob seines tatsächlichen oder vermeintlichen Prominentenstatus’ schlechter behandelt als ,durchschnittliche' Angeklagte", entgegenwirken. Zudem wolle man Zeit für Entscheidungen über die noch offenen Rechtsmittel schaffen. Die Absetzung der Hauptverhandlung sei vor allem aus einer „Fürsorgepflicht für den Angeklagten“ geboten gewesen, so Richter Kaden.

Ermittler: "Tatsächlich nicht so ereignet"

Das Landgericht Leipzig hatte die Anklage der Staatsanwaltschaft wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung nach angeblich antisemitischen Äußerungen im Leipziger Hotel Westin zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und auch der Nebenklage eines Hotel-Mitarbeiters zugestimmt. Auch der Tatbestand der üblen Nachrede komme in Betracht, so die Richter. Der 40-jährige Musiker hatte im Oktober vorigen Jahres in einem Videoclip, den er bei Instagram hochgeladen hatte, emotional berichtet, dass er im Leipziger Hotel Westin wegen einer Halskette mit Davidstern antisemitisch beleidigt und ausgegrenzt worden sei. Man habe ihm erst ein Hotelzimmer geben wollen, wenn er „seinen Stern wegpacke“. Über den angeblichen Vorfall wurden international berichtet und eine neue Debatte über Antisemitismus in Deutschland ausgelöst.

Nach umfangreichen Zeugenbefragungen und Auswertungen von Hotelvideos hat sich laut Staatsanwaltschaft aber keine Bestätigung für Ofarims Schilderung ergeben. Stattdessen tauchten Aufnahmen von Hotelkameras auf, die Ofarim ohne Kette mit Davidstern zeigen. Das Geschehen, wie es von Ofarim in seinem Video dargestellt wurde, habe sich „tatsächlich so nicht ereignet“, betonen die Ermittler.

Gleichzeitig hatte der Anwalt des Hotel-Mitarbeiters am Freitag beantragt, zivilrechtliche Ansprüche im Strafprozess geltend zu machen. Nun teilt das Gericht mit, die „Zeit des Innehaltens“ möge auch für einen Versuch genutzt werden, zwischen Ofarim und dem Hotel-Mitarbeiter „einen Ausgleich herbeizuführen“. Auch über eine weitere Anklage wegen falscher eidesstattlicher Versicherung und Betrugs muss noch entschieden werden. Mit neuen Terminen für eine Verhandlung sei aufgrund der Auslastung der Kammer allerdings nicht vor Ablauf von sechs Monaten zu rechnen.

In ungewöhnlicher Weise macht der Richter den Anwälten zugleich Vorwürfe. „Trotz der Deeskalationsbestrebungen der Kammer“ hätten die Verteidiger ihre Medienarbeit am Freitag mit „Fehlinterpretationen“ intensiviert. Damit hätten sie ihre Bemühungen zur Verhinderung des langfristig abgestimmten Verhandlungsbeginns fortgesetzt.

Nach dem Vorfall in anderem Hotel eingecheckt

Die Verteidiger erklärten dagegen am Freitag, das Landgericht habe sich eines „juristischen Taschenspielertricks“ bedient. Zwar könne der Prozess stattfinden, aber aufgrund einer rechtswidrigen Anklagezulassung ein mögliches Urteil wieder aufgehoben werden. „Wir werden umgehend einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht einreichen mit dem Ziel, dem Landgericht Leipzig zu untersagen, mündlich zu verhandeln“, betonte Rechtsanwalt Alexander Stevens auf eine dpa-Anfrage.

In seinem fast zweiminütigen Video hatte der Musiker erzählt, dass er im Westin zunächst wegen eines Computerproblems in einer Menschenschlange an der Rezeption gestanden habe, aber immer wieder andere Hotelgäste vorgelassen worden seien. Als er an die Reihe kam, habe jemand im Foyer gerufen: „Pack deinen Stern ein!“ Der Hotelmitarbeiter habe hinzugefügt: „Packen Sie Ihren Stern ein!“ Ofarim: „Er sagt, wenn ich ihn jetzt einpacke, darf ich einchecken.“ Zahlreiche Politiker kritisierten den mutmaßlichen Vorfall und verlangten Konsequenzen des Hotels. Zudem demonstrierte eine größere Menschenmenge vor dem Hotel gegen Antisemitismus.

Gil Ofarim ist der Sohn der israelischen Musiklegende Abi Ofarim, der mehrere Goldene Schallplatten erhielt. Sohn Gil, ebenfalls Rock- und Popmusiker, erzählte in Interviews, dass er seit seiner Jugend immer wieder Antisemitismus und Ausgrenzung erlebe. Am 4. Oktober 2021 war er für eine Fernsehaufzeichnung in Leipzig gewesen und hatte nach dem Vorfall in einem anderen Leipziger Hotel eingecheckt.