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Ein-Euro-Jobs in Meißen: Das Ende für helfende Hände

Das Urteil zum Bundeshaushalt hat auch auf kommunaler Ebene Konsequenzen, und zwar für viele Ein-Euro-Jobber – auch in Meißen.

Von Andre Schramm
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Blick in den Meißner Heil- und Kräutergarten. Momentan wird er noch von 1,50-Euro-Jobbern bewirtschaftet.
Blick in den Meißner Heil- und Kräutergarten. Momentan wird er noch von 1,50-Euro-Jobbern bewirtschaftet. © Claudia Hübschmann

Meißen. Die Meißner Seniorin Roswitha Schäfer wollte sich eigentlich nur nach ihrem Ginkgo-Bäumchen erkundigen, und erfuhr nebenbei, dass sechs Leute bei der Stadtgärtnerei demnächst "entlassen" werden (müssen). Die Betroffenen sind über sogenannte Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigungen (AGH), besser bekannt als Ein-Euro-Jobber, dort beschäftigt. Frau Schäfer befand derlei Umgang mit den Menschen als "beschämend".

Bereits im Dezember 2023 hatte das Landratsamt die Städte und Gemeinden darüber informiert, welche der AGH-Maßnahmen nicht über den 31. März 2024 hinaus verlängert werden können. Man erfuhr unter anderem, dass das Bundesfinanzministerium durch die Umplanung des Bundeshaushaltes eine haushaltswirtschaftliche Sperre für Eingliederungsleistungen der Jobcenter erlassen hat.

Kurzum: Den Trägern von Ein-Euro Jobbern, korrekterweise sind es inzwischen 1,50 Euro-Jobber, können damit keine neuen Bewilligungsbescheide ausgestellt werden. Laufende Maßnahmen sollen aber noch beendet werden. Der Spielraum für die Fallmanager in der Angelegenheit: Null. "Ab 1. April 2024 ist dann mit radikalen Kürzungen zu rechnen", erklärte Oberbürgermeister Olaf Raschke in der jüngsten Stadtratssitzung. Welche Folgen das hat, werde aktuell geprüft, so das Meißner Stadtoberhaupt weiter.

Zahl der Stellen im Landkreis halbiert

Landkreisweit halbiert sich mit einem Schlag die Zahl der 1,50-Euro-Jobber, die bei sozialen Trägern, in Sportvereinen und vielen anderen Einrichtungen helfen. Waren im ersten Quartal 2024 im Landkreis Meißen rund 230 Teilnehmern AGH-Maßnahmen zugewiesen, werden es ab dem zweiten Quartal dann nur noch 115 Menschen sein. Der Einsatz als 1,50-Euro-Jobber ist freiwillig und wird zuvor immer individuell mit dem jeweiligen Teilnehmer abgestimmt. Die Einsatzdauer beträgt in der Regel sechs Monate. Maximal dürfen pro Woche 20 Stunden bzw. 500 Stunden im halben Jahr gearbeitet werden. Dafür gibt es eine Mehraufwandsentschädigung in Höhe von 1,50 Euro pro Stunde, die nicht auf das Bürgergeld angerechnet wird. Für viele 1,50-Jobber also ein kleiner Zuverdienst.

In Meißen werden die Arbeitsgelegenheiten über die SoPro koordiniert. Die Enttäuschung über die Haushaltssperre ist dort groß. Laut SoPro-Chefin Christine Hauke werden alle 35 Stellen ab 1. April wegfallen, darunter auch die sechs Stellen in der Stadtgärtnerei. Die Betroffenen, so sagt sie, habe man bereits darüber informiert. Dass die Teilnehmer traurig waren, erzählt sie auch. "Ich finde es schlimm, dass ausgerechnet hier der Rotstift angesetzt wird. Schade ist es vor allem für die 1,50-Euro-Jobber, die freiwillig vier Stunden am Tag zu uns kamen, um etwas Sichtbares zu schaffen", so Hauke weiter. Die sechs Mitarbeiter in der Stadtgärtnerei haben sich hauptsächlich um den Heil- und Kräutergarten gekümmert. Ob und wie es mit der Anlage nun weitergeht, kann sie noch nicht sagen. "Wir werden nicht nur umstrukturieren, sondern uns auch überlegen müssen, was in Zukunft noch leistbar ist, und was nicht", so die SoPro-Chefin weiter.

Für die Stiftung ist es nicht das erste Mal, dass sie mit Kürzungen konfrontiert ist. "Vor anderthalb Jahren hatten wir noch 90 Arbeitsgelegenheiten", erzählt sie weiter. Weil 2022 schon einmal Fördermittel gekürzt worden waren, musste im Oktober 2022 das soziale Möbellager auf dem Kynastweg schließen. Auch die Aktion "Sauberes Meißen" könnte von der Haushaltssperre betroffen sein. Für den städtischen Bauhof sind aktuell neun Beschäftigte als Euro-Jobber tätig, vier als Reinigungskräfte rechts und links der Elbe sowie fünf weitere, die bei der Pflege von Grünflächen und Straßenbegleitgrün helfen. "Die jetzigen Maßnahmen laufen bis zum 31. März. Wie wir davon betroffen sind, wissen wir noch nicht. Sobald wir die Informationen haben, können wir uns Gedanken über ein künftiges Vorgehen machen", erklärte Stadtsprecherin Katharina Reso mit Blick auf angekündigte Haushaltsführungsschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS).

Eingliederungsquote einstellig

Zur Wirklichkeit gehört aber auch, dass Menschen, die in AGH-Maßnahmen steckten, nur selten darüber hinauskamen. War das Instrument nicht ursprünglich dazu gedacht, Langzeitarbeitslose wieder auf den ersten Arbeitsmarkt zu bringen? "Das Ziel von AGH-Maßnahmen besteht vorrangig nicht in der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in Arbeit. Primäres Ziel bei den AGHs ist die Stabilisierung der Leistungsfähigkeit, die Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit der Leistungsberechtigten sowie der Abbau von Vermittlungshemmnissen", so Anja Schmiedgen-Pietsch vom Landratsamt. Sie gibt aber zu, dass die Leistungsberechtigten immer größere Vermittlungshemmnisse aufweisen. "Diese abzubauen, gelingt nur mit intensivem Personaleinsatz der Maßnahmeträger, zum Beispiel durch Psychologen oder Sozialpädagogen, welcher seitens der Kommunen jedoch kaum bewältigt werden kann", so die Sprecherin weiter. Ein weiteres Problem: Es fanden und finden sich laut Jobcenter immer weniger geeignete Teilnehmer, was die Auslastung der AGH-Maßnahmen in den zurückliegenden Jahren immer schwieriger gestaltete.

Ob das Ziel einer Fördermaßnahme (z.B. die Aufnahme einer Beschäftigung oder eine weitere Förderung) erreicht werden konnte, beschreibt die sogenannte Eingliederungsquote. Als erfolgversprechendes Instrument hat sich hier der Eingliederungszuschuss etabliert (80,5) Prozent. Die berufliche Weiterbildung führt immerhin noch in 40 Prozent der Fälle zum Erfolg. Für Arbeitsgelegenheiten liegt die Quote hingegen nur bei 8,5 Prozent (Stand: 10. Januar 2024). Die Frage ist: Was passiert nun mit den 1,50 Euro-Jobbern, die bald heim geschickt werden?

"Die zuständigen Fallmanager werden mit den Leistungsberechtigten die weiteren Schritte bzw. Fördermaßnahmen entsprechend dem jeweiligen Unterstützungsbedarf besprechen", erklärte Landratsamt-Sprecherin Anja Schmiedgen-Pietsch. Für diesen Fall, so hieß es weiter, stünden weitere, verschiedene Maßnahmen des Jobcenters mit unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen zur Verfügung.