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Wofür streiken Sie, Herr Kalk?

Bei der Verkehrsgesellschaft Meißen blieben in den vergangenen zwei Tagen alle Busse im Depot. Betriebsrat Harry Kalk erklärt, was ihn und seine Kollegen so verärgert hat.

Von Ines Mallek-Klein
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Harry Kalk hat Schlosser gelernt, lenkte dann als Berufskraftfahrer erst Lkws und seit 1991 Busse. Er ist der Betriebsratschef bei der Verkehrsgesellschaft Meißen und zugleich der hiesige Streikführer.
Harry Kalk hat Schlosser gelernt, lenkte dann als Berufskraftfahrer erst Lkws und seit 1991 Busse. Er ist der Betriebsratschef bei der Verkehrsgesellschaft Meißen und zugleich der hiesige Streikführer. © Claudia Hübschmann

Meißen. Über seinem karierten Hemd trägt Harry Kalk eine neongelbe Weste. Sie weist ihn als Streikführer bei der Verkehrsgesellschaft Meißen aus. Die beschäftigten 200 Busfahrer und die waren Donnerstag wie Freitag im Arbeitskampf. Der fünfte Streiktag in diesem Jahr. Das gab es zuletzt 1991, sagt Harry Kalk und er zeigt, wie zum Beweis, ein altes Foto. Die Männer darauf blicken ernst bis grimmig in die Kamera. Sie kämpften damals um ihren ersten Tarifvertrag überhaupt. Mit Erfolg.

Nun geht es wieder ums Geld. Die Gewerkschaft Verdi fordert ein Lohnplus von 22 Prozent. Das wären 750 Euro mehr im Monat für jeden Busfahrer. Die Auszubildenden kosten 200 Euro mehr. Das klingt viel, gleicht am Ende, aber nur die Lohnlücke zu den Betrieben aus, die im Kommunalen Arbeitsgeberverband organisiert sind, erklärt Harry Kalk.

Der Job ist nicht einfacher geworden

Und dieses Lohngefälle wird zu einem echten Problem. „Wir haben momentan mehr Kollegen, die zur Konkurrenz abwandern oder in andere Jobs wechseln, als Busfahrer, die sich in die Rente verabschieden“, so der Betriebsratschef. Die Folgen sind unübersehbar. Elf Busfahrerstellen sind bei der VGM derzeit nicht besetzt. Die Kollegen, die noch da sind, sammeln massenhaft Überstunden und fallen am Ende aus. „Ein Krankenstand von 15 Prozent gehört bei uns mittlerweile fast schon zur Regel“, so Kalk.

Er hat das Busfahrer-Gen quasi geerbt. Sein Vater sei schon Bus gefahren, erzählt er. Zu Hause im Käbschütztal habe er regelmäßig vor dem Elternhaus gehalten und die Mutter zur Arbeit und ihn zur Schule gefahren. Nach der Schule lernte Harry Kalk den Beruf des Schlossers beim Kraftverkehr Meißen, machte bald schon seinen Führerschein und war im Inlandsverkehr unterwegs. Ende der 1980er-Jahre suchte der Kraftverkehr Busfahrer. Harry Kalk machte seinen Busschein, kehrte dann aber erstmal wieder auf den Lkw zurück. Bis 1991 wechselte er die Fronten, für immer.

Der Job, er sei nicht einfacher geworden. Der Verkehr auf den Straßen habe angenommen, die Rücksichtslosigkeit leider auch. Früher sei man wochenlang die gleiche Linie gefahren, heute wechseln die Routen schnell täglich - was Abwechslung mit sich brachte. Aber: Mal geht es früh um 4 Uhr los, mal um 5 Uhr. Dreimal in der Woche sind geteilte Dienste möglich, die ersten Abende kurz vor 20 Uhr enden. „Die Kollegen haben zwischen ihren Fahrten bis zu sechs Stunden Zeit, aber was fängt man damit an, wenn man 30 Kilometer von seinem Einsatzort entfernt wohnt“, sagt Harry Kalk.

Keine Rede mehr vom Lohnplus

Dass es immer weniger junge Menschen gibt, die von dem Beruf des Busfahrers fasziniert sind, könnten er verstehen, angesichts der Arbeitsbedingungen, aber auch der Bezahlung. „Die muss sich dringend verbessern“, so Kalk.

Das sah auch der Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft Meißen so. Im Sommer 2023 hat er in einem Interview mit Sächsische.de gegenüber von einem erwarteten Lohnplus von acht bis zehn Prozent gesprochen. Davon ist heute keine Rede mehr. Die Arbeitgeberseite hat bisher eine Lohnerhöhung um fünf Prozent und einhundert Euro mehr für Auszubildende angeboten, die aber erst ab Oktober 2024 greifen soll. Dabei ist der letzte Tarifvertrag bereits im Dezember 2023 ausgelaufen.

„Sie begründen das mit dem Inflationsausgleich von 2.000 Euro, den sie zeitnah zahlen wollen“, so Streikführer Kalk. Der hatte den Mitarbeitern allerdings schon im vorigen Jahr zugehört. Ihn hier mit anzurechnen, sei unlauter.

„Uns trifft die Inflation besonders hart“

Auch die Laufzeit des Tarifwerks ist für den Gewerkschafter ein Ärgernis. 28 Monate schlagen die Verhandler der Arbeitgeber vor, maximal zwölf Monate fordert die Gewerkschaft. „Wir haben 2022 gesehen, dass die Unternehmen unsere Beschäftigten im Regen stehen lassen“, so Kalk. Er meint damit die Auszahlung des von der Politik eingeräumten steuerfreien Inflationsausgleichs, den die Beschäftigten erst 2023 erhalten hätten. Aber eben auch nur 1.000 der möglichen 3.000 Euro. Viel Geld für eine Berufsgruppe, die bis dahin mit unter 3.000 Euro Bruttolohn in das Berufsleben gestartet ist.

„Unsere Fahrerinnen und Fahrer treffen die Inflation besonders hart, auch weil sie teilweise lange Anfahrtswege zu ihrer Linie haben“, so Kalk. Hier Entlastungen zu schaffen, sei dringend geboten. Zumal die Verkehrsgesellschaft Meißen in der landesweiten Lohntabelle ganz weit hinten stehen.

Suche nach neuen Einnahmequellen

Am kommenden Dienstag, dem 5. März, tagt die Tarifkommission wieder. Dann wird entschieden, wie es mit dem Arbeitskampf weitergeht. „Wir beobachten unter den Beschäftigten eine große Einigkeit“, so Harry Kalk. Gut möglich, dass sie sich zu einem erneuten Warnstreiks entschließen, bevor am 20. März die Tarifparteien wieder aufeinandertreffen.

Denn der Frust ist groß, auch nach der Sitzung des Kreistages am Donnerstag. Die Finanzierung des ÖPNV steht auf der Tagesordnung. Es gab aber lediglich eine Mitteilung an die Kreisräte, keine Debatte und vor allem keine klare Positionierung des Kreises zur Verkehrsanbindung des ländlichen Raums. Fest steht, schon 2023 musste der Freistaat drei zusätzliche Millionen nach Meißen überweisen, damit der Kreis seinen bestellten Schüler- und Nahverkehr bezahlen kann. In diesem Jahr hofft man auf einen ähnlich hohen Finanzausgleich.

Darunter sucht die VGM nach neuen Einnahmequellen und findet sie auch. In den nächsten Wochen soll Schienenersatzverkehr gefahren werden. Betroffen ist die Strecke der RB50 zwischen Nünchritz und Coswig und die S-Bahn-Linie 1 vom Triebischtal nach Coswig. „Das bedeutet sechs Fahrer zusätzlich pro Tag, ich weiß gar nicht, woher wir die nehmen wollen“, so Harry Kalk. Und dann verabschieden sich ab Montag vier Kollegen zur Fährausbildung. Sie sind dann 180 Tage auf dem Wasser unterwegs und nicht mehr auf der Straße.