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Warum wollen Sie nicht für den Bus bezahlen, Herr Toman?

Die Verkehrsgesellschaft Meißen wird bestreikt, die Geschäftsführung hadert mit der wirtschaftlichen Machbarkeit. Ist da noch Platz für Utopien?

Von Jakob Hammerschmidt
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Mirko Toman nutzt täglich den ÖPNV.
Mirko Toman nutzt täglich den ÖPNV. © Claudia Hübschmann

Meißen. Ein Sächsische.de-Artikel vom 15. Februar über die Schwarzfahrer-Statistik der VGM löste in den sozialen Netzwerken eine handfeste Diskussion aus. Viele Nutzer drückten ihr Unverständnis darüber aus, dass es so viele Schwarzfahrer gibt. Nicht wenige argumentieren jedoch auch für einen gebührenfreien ÖPNV, frei nach dem Motto: "Wären Öffis kostenlos, würde das alles nicht passieren."

Einer von ihnen ist Mirko Toman, juristischer Sachbearbeiter bei einer Rechtsschutzversicherung und Mitglied im Verein Buntes Meißen sowie im Kreisverband der Satire-Partei Die Partei. Während Verdi die VGM für ein Lohnplus bestreikt, welches Geschäftsführer Jens Dehnert im Sächsische.de-Interview als "maßlos" bezeichnete, argumentiert Toman für etwas noch radikaleres: Einen Busverkehr, der seine Passagiere nichts kostet.

Sächsische.de: Warum wollen Sie nicht für den Bus bezahlen, Herr Toman?

Ich will ja generell für den Bus bezahlen, aber im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Bestimmte Aspekte des öffentlichen Lebens, wie Grundschule, Kindergarten oder Krankenversorgung, sollten auf diesem Wege geregelt werden, ohne dass es ständig in der Kasse klingelt.

Mobilität ist ja eines der Grundrechte. Das sollte auf den ÖPNV ausgeweitet werden?

Auf jeden Fall! Von A nach B zu kommen ist in unserer modernen Gesellschaft ja obligatorisch, genau wie beispielsweise der Zugang zu Medien und Internet.

Welche direkten positiven Effekte könnte ein kostenloser ÖPNV bewirken?

Natürlich wäre erstmal eine wunderbare Symbolwirkung da, wie zum Beispiel im Staat Luxemburg. Wirtschaftlich gesehen lässt sich das arrangieren. Es gibt da verschiedene Modelle, wie man das auf Steuerfinanzierungsbasis finanzieren könnte. Der Nahverkehr, wie er aktuell besteht, ist ja auch schon zu 50 Prozent subventioniert. In größeren Städten können sich die Verkehrsanbieter mit Ticketverkäufen finanzieren. Im ländlichen Raum sind die Subventionen aber teilweise schon bei 70 Prozent. Da könnte man mit einem bisschen utopischen Wunschdenken beziehungsweise dem positiven Willen, etwas zu verändern und revolutionäre Bedingungen zu schaffen, durchaus etwas machen.

Genaue Zahlen zur staatlichen Förderung gehen aus dem Interview mit VGM-Chef Jens Dehnert nicht hervor. Er macht jedoch deutlich, dass durch Eingriffe seitens der Politik und das Deutschlandticket die Zuschussbedarfe beim Landkreis und beim Zweckverband steigen würden. Die Dresdner Verkehrsbetriebe, die zu 74,9 Prozent Eigner der VGM sind, stehen unterdessen vor einem ähnlichen Problem: Für 200 Millionen Euro wurden 30 neue Straßenbahnen bestellt, die beinahe zur Hälfte vom Freistaat gefördert werden sollten. Ob die DVB die daran geknüpften Bedingungen erfüllen kann, steht jedoch aus.

Sächsische.de: Wo Sie Luxemburg erwähnen: Ist der Vergleich wirklich sinnvoll?

Der Landkreis hat etwa die gleichen Dimensionen. Luxemburg ist etwa doppelt so groß.

Aber auch um ein Vielfaches reicher.

Der Landkreis Meißen hat auch eine sehr hohe Millionärsdichte. Das wäre auch noch ein anderes Thema, das ich ansprechen möchte: Kein Mensch braucht mehr als zehn Millionen Euro im Monat. Da kann man auch wunderbare Sachen mit finanzieren.

Der Landkreis Meißen ist tatsächlich beliebt bei den Reichen: 2016 berichtete Sächsische.de, dass die Millionärsdichte hier so hoch sei wie in keinem anderen sächsischen Landkreis. Unter 100.000 Einwohnern lebten hier damals etwa 14 Millionäre. Das Muster ist scheinbar klar: Millionäre zieht es in die "Speckgürtel" um die großen Städte.

Sächsische.de: Die Gewerkschaft Verdi demonstriert gegenwärtig für eine Lohnerhöhung, während die VGM-Geschäftsführung bereits jetzt an der wirtschaftlichen Machbarkeit zweifelt. Wie soll ein kostenloser ÖPNV bezahlt werden?

Toman: Indem die Leute die Steuern bezahlen, die sie auch zahlen müssen. Da ist noch so viel Potenzial, was verborgen ist. Man muss nur wollen.

Um nochmal auf das Beispiel Luxemburg zurückzukommen: Dort gab es bekanntlich trotz eines kostenlosen ÖPNV keine Verminderung im automobilen Individualverkehr. Sehen Sie das als Problem an?

Na ja, die Luxemburger fahren anscheinend privat gerne Auto. Was soll ich da sagen?

Glauben Sie, das würde sich im Landkreis Meißen ähnlich manifestieren, dass ein kostenloser ÖPNV nicht zwangsläufig die Zahl der Nutzer steigern würde?

Ich würde es so sehen, dass der Anreiz da wäre. Man weiß es ja nicht, bevor man es nicht probiert hat. Es ist zumindest besser, als nichts zu tun.

Können Sie sich vorstellen, wer spezifisch von einem kostenlosen ÖPNV profitieren würde?

Alle. Ganz unspezifisch. Selbst die, die den Service nicht nutzen, haben dann das gute Gewissen und das gute Gefühl, dass sie es könnten.

Ein spezifisches Beispiel fällt Mirko Toman dann doch ein: Kinder. Wenn diese in den Bus einsteigen und plötzlich in ihrem Ranzen nach einem Ausweis suchen würden, dann sicherlich nicht mit der ausgemachten Absicht, schwarzzufahren. Bei der VGM dürfen Kinder vor der Einschulung kostenlos mitfahren, danach gelten ermäßigte Tarife. Ab dem 15. Lebensjahr ist der Normalfahrpreis zu entrichten.

Sächsische.de: Ist das denn fair gegenüber Autofahrern?

Toman: Ich weiß nicht, ob man fair gegenüber Autofahrern sein muss. Das ist ja deren Privatentscheidung, wenn sie so ein Verkehrsmittel benutzen. Wenn auf Dauer jeder einen Pkw fährt, egal ob Verbrenner oder E-Auto, wird das der Planet wahrscheinlich nicht verkraften. Deswegen möchte ich ja auch, dass die Voraussetzungen geschaffen werden, dass das reduziert wird.

Also ist der kostenlose ÖPNV auch ein Ziel auf dem Weg zur Klimaneutralität?

Auf jeden Fall, natürlich.

Das Gespräch führte Jakob Hammerschmidt.