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Das letzte Meißner Känguru-Baby?

Im Tierpark Meißen gibt es Anlass zu großer Freude. Gleichzeitig geht der Streit zwischen Stadt und Betreiber weiter.

Von Peter Anderson
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Das frühere Waisenkind Gertrud ist jetzt selbst Mama eines winzigen Kängurus geworden.
Das frühere Waisenkind Gertrud ist jetzt selbst Mama eines winzigen Kängurus geworden. © Heiko Drechsler

Meißen. Tierparkbetreiber Heiko Drechsler muss nachrechnen. Im Frühjahr 2019 ist seine Gertrud auf die Welt gekommen. Ein paar Monate später, mittlerweile war es Juli geworden, besuchte sie ein Reporter der SZ. Die meiste Zeit des Tages verbrachte das Känguru damals in einem Flechtkorb, vergraben unter flauschigen Decken und Handtüchern. Normalerweise hätte das Baby noch im Beutel seiner Mutter gesteckt. Doch bei Gertrud war es anders: Tierparkchef Heiko Drechsler zog sie selbst auf, die Pflege des kleinen Beuteltieres teilte er sich mit seiner Frau.

Die Geschichte des Waisenkindes ist traurig: Gertrud kam im Tierpark als kerngesundes, kleines Känguru zur Welt und ihre Mutter kümmerte sich rührend um sie. Doch eines Nachts im April wurden die Kängurus aufgeschreckt. Der wahrscheinlichste Grund war die Anwesenheit eines Fuchses oder Waschbären außerhalb des Geheges.

Kängurus sind Fluchttiere, ähnlich wie Pferde neigen sie dazu, bei Gefahr stur in eine Richtung zu stürmen, ungeachtet möglicher Hindernisse. Gertruds Mutter fügte sich bei der Kollision mit dem Zaun rund um ihr Gehege schwere Verletzungen zu, an welchen sie schließlich verstarb. Tierpfleger Heiko Drechsler schlüpfte in die Mutterrolle. Der Fall sorgte bundesweit für Schlagzeilen in den Medien.

Mittlerweile hat die Geschichte allerdings eine glückliche Wendung genommen. Aus Gertruds Beutel lugt selbst ein Baby hervor. Heiko Drechsler ist Opa beziehungsweise Oma geworden. Stolz präsentiert er den Besuchern den besonderen Nachwuchs.

Im Juli 2020 war Sächsische.de das erste Mal bei Känguru Gertrud im Meißner Tierpark zu Besuch. Mittlerweile ist das Ziehkind von Tierparkchef Heiko Drechsler selbst Mama geworden.
Im Juli 2020 war Sächsische.de das erste Mal bei Känguru Gertrud im Meißner Tierpark zu Besuch. Mittlerweile ist das Ziehkind von Tierparkchef Heiko Drechsler selbst Mama geworden. © Claudia Hübschmann

Die Freude über das glückliche Ende vermischt sich allerdings mit Trauer über den Abschied in Meißen. Mit Ende dieses Jahres wird Heiko Drechsler den Grund und Boden seines Tierparks beräumt an die Stadt zurückgeben. Per Aufhebungsvertrag wurde die Pacht des Geländes beendet. Vorangegangen waren Jahre des Streits. Der Dresdner warf der Stadt vor, ihn und seinen defizitären Betrieb nicht ausreichend zu unterstützen. Das Rathaus wiederum kritisierte eine ungenügende Kooperationsbereitschaft des Betreibers.

Trotz des absehbaren Endes der Ära Drechsler setzt sich der Konflikt fort. So schickte die Stadtverwaltung dem Unternehmer jetzt eine erste Mahnung über 167,40 Euro an Pachtgebühren für den Parkplatz unterhalb der Anlage. "Alle Städte erhöhen die Zuschüsse für ihre Tierparks, um sie zu unterstützen und zu erhalten", so Drechsler Meißen dagegen versende Mahnschreiben. Sein Tierpark hatte von Januar bis Mai den Parkplatz wegen Corona geschlossen, so Drechsler weiter. Er habe keine Einnahmen generieren können.

Hinzu komme, dass das stark abschüssige Gelände in der letzten Zeit achtmal vom Regenwasser geflutet wurde. Derzeit stehe er bei der Bank mit Tausenden Euro in der Kreide.

Der kleinste australische Zoo der Welt

Wo Gertrud und ihr Junges im neuen Jahr eine Heimat finden werden, ist unterdessen ungewiss. Informationen der Meißner SZ-Redaktion zufolge sucht Drechsler für seine Kängurus ein Grundstück in einer Kommune im Umkreis von Meißen. Mit dem Slogan "Der kleinste australische Tierpark der Welt", könnte die Anlage vermarktet werden. "Ich möchte ein Naturbildungszentrum in Sachsen gründen, vielleicht auch im Zusammenwirken mit einer Naturschutz-Organisation. Dort sollen nur wenige Tierarten präsentiert werden", so der Tierpfleger kürzlich in einem Interview mit Sächsische.de. Dieses Naturbildungszentrum soll Anlaufpunkt für Exkursionen von Schulkassen oder Kindergruppen sein.

Bei dem Bennett-Känguru handelt es sich um eine mittelgroße Känguru-Art, die auf der zu Australien gehörend Insel Tasmanien lebt. Die Tiere zeichnet kein ausgeprägtes Sozialverhalten aus. Sie leben oft als Einzelgänger. Mitunter schließen sie sich jedoch auch zeitweise zu losen Gruppen zusammen. Ihre Nahrung ist wie bei allen Kängurus pflanzlicher Natur und besteht aus Gräsern, Kräutern und Schösslingen. Die Tragzeit der Jungtiere beträgt in der Regel 30 Tage. Das Neugeborene verbringt dabei seine ersten neun Lebensmonate im Beutel der Mutter und wird mit zwölf bis 17 Monaten entwöhnt.