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Lebensmittelpreise steigen, Inflation sinkt: Gibt es eine "Gierflation" im Elbland?

Seit Monaten zahlen Verbraucher hohe Preise für Nahrungsmittel – auch jetzt noch, obwohl die Inflation den zweiten Monat in Folge sinkt.

Von Martin Skurt
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Am Ende des Monats bleibt weniger Geld auf dem Konto oder im Portmonee. Schuld daran sind unter anderem gestiegene Lebensmittelpreise. Doch warum sind sie überhaupt so hoch?
Am Ende des Monats bleibt weniger Geld auf dem Konto oder im Portmonee. Schuld daran sind unter anderem gestiegene Lebensmittelpreise. Doch warum sind sie überhaupt so hoch? © Daniel Schäfer

Diese Information wird viele nicht überraschen: Lebensmittel sind teuer. Zwischen April 2022 und April 2023 sind die Nahrungsmittelpreise um 17,2 Prozent gestiegen, berichtet das Statistische Bundesamt. Gründe waren bislang die hohen Energiekosten, versteckte Preiserhöhungen, Arbeitskräftemangel oder der russische Angriffskrieg in der Ukraine, so erklärt es zumindest die Verbraucherzentrale. Gleichzeitig ist die Inflation den zweiten Monat infolge gesunken, von 7,4 Prozent auf 7,2 Prozent, die Verbraucherpreise steigen trotzdem weiter.

"Ich halte die Entwicklung der Preise im Lebensmitteleinzelhandel für dramatisch, zumal wir das Ende Fahnenstange noch lange nicht erreicht haben", ordnet Michel Reimer die aktuelle Lage ein. "Da fallen auch Produkte wie Kaffee und Butter kaum ins Gewicht, bei denen die Preise wieder gesunken sind." Die würden allerdings immer noch weit über Vorkrisen-Niveau liegen, sagt der Marktleiter des Radebeuler Rewe auf der Sidonienstraße.

Daten des Statistischen Bundesamtes legen zudem nahe, dass die Lebensmittelpreise in den vergangenen 20 Jahren weniger stark angestiegen seien als andere Lebenshaltungskosten. So lag die Teuerung zwischen 2000 und 2019 durchschnittlich unter 1,5 Prozent. Trotzdem sind die Preise im April weniger stark als im März gestiegen – da waren es 22,3 Prozent. Das liegt zum einen daran, dass Sonnenblumen- und Rapsöl sowie einige Gemüsesorten wie Kopfsalat und Gurke günstiger geworden sind.

Andererseits sind Preise im April 2022 schon deutlich höher als die Jahre davor gewesen. Somit ist ein Rückgang der Teuerung fast schon zwingend, obwohl die Preise gleichgeblieben oder auch zum Teil gestiegen sind. Die Verbraucherzentrale hat allerdings den Vergleich auf die Preise im Juni 2021 erweitert. In diesem sieht man wesentlich höhere Anstiege. Insgesamt kommt der Verein so auf eine Rate von 28,6 Prozent statt 17,2 Prozent. Und die merken Verbraucher schließlich spätestens am Ende des Monats auf ihrem Konto.

Besonders bemerkenswert sei mittlerweile, so die Verbraucherzentrale, dass die Lebensmittel seit März 2023 Treiber der Inflation sind. Denn ohne Energie und Nahrungsmittel zu berücksichtigen, läge die Inflation nur bei 5,8 Prozent. So zeigen es auch die Daten des Statistischen Bundesamtes. Doch woran liegt das eigentlich?

Gibt es eine "Gierflation"?

Zum einen beruhen die hohen Preise auf gestiegenen Herstellungskosten, zum anderen nimmt aber auch die Spekulation an der Börse mit Grundnahrungsmitteln wie Weizen zu. Wie Preise am Ende im Supermarkt entstehen, bleibt aber wenig transparent. Die Verbraucherzentrale vermutet teilweise Marktmissbrauch von Herstellern. Denn manche Preissteigerungen bei Lebensmitteln seien weder gerechtfertigt noch nachvollziehbar. So liegt der Verdacht nahe, dass Hersteller und Händler die Inflation ausnutzen würden.

Das bestätigt auch eine Studie des Kreditversicherers Allianz Trade. "Übermäßige Gewinnmitnahmen" hätten einen entscheiden Anteil, und zwar ein Drittel, am Anstieg der Preise. Damit ist Deutschland ein Sonderfall, denn im Rest Europas läge dieser "ungeklärte Teil" nur bei 10 Prozent. Mittlerweile sprechen viele schon von "Gierflation". Das heißt, Unternehmen erhöhen ihre Preise stärker, als es die gestiegenen Weltmarktpreise erklären könnten.

Das meint auch Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der Niederlassung des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in Dresden. Der Spiegel zitiert ihn damit: "Die Margen sind gestiegen: vor allem in der Landwirtschaft, aber auch im Handel." Das heißt, die Lücke zwischen Herstellungskosten und Verkaufspreis ist größer geworden. Viele Unternehmen versuchen mittlerweile, ihre Preise möglichst beizubehalten. Erst wenn sie feststellen, dass sich Preise auf Dauer nicht durchsetzen lassen, sinken sie, so Ragnitz.

Deshalb: "Gierflation trifft es meiner Meinung nach sehr gut", bestätigt Rewe-Markt-Leiter Michel Reimer. "Wir Händler haben zum Glück mit Rewe einen starken Partner an unserer Seite, der die Preise mit Lieferanten knallhart verhandelt und sich auch nicht 'erpressen' lässt und jede unbegründete Erhöhung akzeptiert." Das bedeutet für den 38-jährigen Marktleiter, dass Markenprodukte auch mal aussortiert werden. Reimer merkt am Einkaufsverhalten seiner Kunden, dass sie verstärkt die günstigen Eigenmarken oder Sonderangebote kaufen.

Preise in Supermärkten unterscheiden sich wenig

Im März 2023 untersuchte die Verbraucherzentrale 20 Grundnahrungsmittel in verschiedenen Läden von vier Supermarkt-Ketten, und zwar in fünf Gemeinden in Nordrhein-Westfalen. Dort stellte der Verein erhebliche Preisunterschiede fest, und zwar um mehr als 100 Prozent. Allerdings blieben die Eigenmarken in der Regel von solchen Schwankungen verschont.

Bei einer Stichprobe am Mittwoch in Meißen bestätigt sich dieses Bild, wenn auch mit Einschränkungen. So kosteten die günstigsten Weizenmehltüten im Rewe, im Lidl auf der Poststraße sowie im Aldi am Amtsgericht gleich viel, und zwar 79 Cent. Ähnlich sieht es beim Olivenöl aus. Dort kosteten die Eigenmarken im Rewe und Aldi 5,99 Euro für 750 Milliliter, im Lidl 4,99 Euro, also fast 17 Prozent günstiger. Dafür war das eigene Sonnenblumenöl im Aldi mit 2,69 Euro am teuersten (um 35 Prozent), in den beiden anderen Märkten kostete es jeweils 1,99 Euro. Bei der Butter gab es größere Unterschiede. So lagen Preise für die 250-Gramm-Stücke zwischen 1,45 Euro (Rewe) und 1,49 Euro (Aldi), im Lidl allerdings bei 1,89 Euro. Das entspricht einem Unterschied von 26 beziehungsweise 30 Prozent.

Dafür waren in allen drei Läden die Preise der Markenprodukte gleich hoch. So kostete ein Olivenöl 6,99 Euro für einen halben Liter. Eine Markenbutter lag wiederum bei 2,99 Euro. Unterschiede machen sich also auch im Landkreis bemerkbar. Laut Allianz Trade werden die Preise zudem wohl in diesem Jahr nicht mehr fallen, sondern gleich bleiben. Denn: "Durchgesetzte Preiserhöhungen werden erfahrungsgemäß nur selten zurückgenommen."