SZ + Meißen
Merken

Kreis Meißen: Ukrainer warten auf Deutschkurse

Die Nachfrage ist groß, das Angebot begrenzt. Die Rede ist von Sprachunterricht für Ukrainer. Trotzdem läuft vieles besser als vor sieben Jahren.

Von Andre Schramm
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Sprache ist wichtig: Dozentin Tania Lohse in einem Integrationskurs der Volkshochschule in Meißen.
Sprache ist wichtig: Dozentin Tania Lohse in einem Integrationskurs der Volkshochschule in Meißen. © Claudia Hübschmann

Meißen. Tatiana Schimmelpfennig erinnert sich noch an die Wochen nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine. "Als im März 2022 die erste Welle mit Kriegsflüchtlingen anrollte, standen bei uns täglich 40 bis 50 Leute in der Tür, die Deutsch lernen wollten", erzählt sie. Die 47-Jährige ist Fachbereichsleiterin für Sprache und Integration bei der Volkshochschule (VHS) im Landkreis Meißen. "Am Anfang hat es etwas gehapert, aber nur kurz", schiebt sie hinterher.

Die Antragsstellung für die Integrationskurse lief dieses Mal anders, als gewohnt. Viel unbürokratischer und schneller – für alle Seiten. "Man musste sich lediglich beim Bundesamt für Migration registrieren, bekam eine Nummer und damit grünes Licht für den Integrationskurs", so Schimmelpfennig weiter. Einher ging damit auch eine Kostenbefreiung. "Ich glaube, hier hat man aus den Erfahrungen von 2015/2016 gelernt", sagt sie. Ein wesentlicher Vorteil für den Bildungsträger: Man musste dem Geld nicht mehr hinterherrennen.

Rentner wurden rekrutiert

Generell werde zwischen einer Teilnahmeberechtigung und einer Teilnahmeverpflichtung unterschieden. Im Fall der Ukrainer trifft letzteres zu. Sie können einen Integrationskurs besuchen. Dazu verdonnert werden sie in der Regel nicht. "Es gibt natürlich hin und wieder Nachfragen, ob der- oder diejenige den Unterricht regelmäßig besucht. Das kommt immer ein bisschen auf den Bearbeiter im Jobcenter an", erzählt Schimmelpfennig weiter. Die Nachfrage war jedenfalls so groß, dass die Volkshochschule ihre Angebote rasch erweitern musste. In "normalen" Zeiten bietet der Bildungsträger im Landkreis Meißen vier Integrationskurse an. Gegenwärtig sind es neun. Wohlgemerkt pro Halbjahr.

Rentner wurden rekrutiert, Lehrer mit Deutsch als Fremdsprache oder ukrainische Deutschlehrer eingestellt. Jeder wurde genommen, vorausgesetzt die Qualifikation stimmte. "Es wäre gut, wenn man die Qualifizierungshürden herabsetzen könnte. Das würde uns wirklich helfen", meint Schimmelpfennig. Wenn das jemand sagt, der Magisterabschluss für Spanisch und Deutsch in der Tasche hat, zeigt das ziemlich gut, wie es um die Lehrkräftesituation bestellt ist. Die VHS-Kollegen in Riesa schreiben dem Vernehmen nach schon an einem Hilferuf an die Politik.

Eine kleine Lockerung gibt es inzwischen schon. Wer Deutsch als Fremdsprache studiert, darf unter bestimmten Bedingungen die letzten zwei Jahre seines Magisterstudiums derlei Kurse leiten. Die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage führt inzwischen zu Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr. "In unseren Kursen sind jetzt die Ukrainerinnen aus der ersten Welle. Wer im Sommer bzw. Herbst nach Deutschland kam, wartet noch", so Schimmelpfennig.

Integrationskurs = Deutschkurs?

In Meißen führt die Volkshochschule gegenwärtig zwei Integrationskurse mit insgesamt 41 Teilnehmern durch. In Radebeul sind es etwa doppelt so viele. Das Gros sind Frauen aus der Ukraine. Ihr Unterricht findet immer montags bis donnerstags statt, vier Stunden pro Tag. Insgesamt stehen sechs Sprachmodule je 100 Stunden auf dem Plan. "Der überwiegende Teil beschäftigt sich also mit Sprache. Deshalb werden die Integrationskurse umgangssprachlich auch Deutschkurse genannt", erklärt die Expertin. Am Ende gibt es eine Prüfung, genauer noch eine Handlungsprüfung. Motto: Komme ich klar in dem Land, in dem ich lebe? Verstehe ich die Menschen, verstehen sie mich? Wer das schafft, erhält das Zertifikat B1. "Das reicht für herkömmliche Berufe. Für Jobs im akademischen Bereich gibt es noch das Sprachlevel B2", erklärt Schimmelpfennig.

Hinzu kommt aber noch eine weitere Einheit, der Orientierungskurs, mit ebenfalls 100 Stunden. Daran ist der Einbürgerungstest (300 Fragen) geknüpft. "Im Orientierungskurs geht es u. a. um die Geschichte Deutschlands ab 1933, die parlamentarische Demokratie und die Rechte und Pflichten in unserem Land", erzählt die Lehrerin weiter. Sind beide Parts erfolgreich absolviert, ist der Integrationskurs-Prozess abgeschlossen. Was jetzt alles ein wenig nach trockenem Schulstoff klingt, ist aber mehr.

"Das waren wir nicht mehr gewohnt"

Im Unterricht geht es auch um ganz alltägliche Dinge: Wie wird Müll getrennt? Was muss ich beim Arztbesuch beachten? Wo kann ich Freunde finden? Es wird viel gelacht und hin und wieder geweint. Manchmal triggert ein einziges Wort des Lehrers. "Man darf nicht vergessen, dass man Menschen vor sich hat, die teilweise traumatisiert sind, schlimmes erlebt haben", sagt Schimmelpfennig. Empathie sei wichtig. Damit müsse man sich beschäftigen, vor allem was die pädagogische Aus- und Weiterbildung anbelangt. Daneben gibt es Kurse, in denen Russen und Ukrainer zusammen die Schulbank drücken. Bisher sei alles friedlich, jedenfalls im VHS-Unterricht. Neben der Volkshochschule führen auch noch andere Bildungsträger Integrationskurse durch, darunter das bsw, die bam Gmbh und die Euro Schulen. Letztere kämpfen mit selben Herausforderungen: große Nachfrage, wenig Dozenten. Man versuche, so hieß es, unter den Bildungsträgern freie Plätze kurzfristig zu vermitteln. In Sachen Wartezeiten spreche man aber auch hier von Monaten.

Mal abgesehen vom Pädagogenmangel, läuft vieles besser als 2016. "Damals kamen Menschen aus dem arabischen Raum zu uns. Den Meisten war nicht klar, warum sie unsere Sprache lernen sollten", erinnert sich die Pädagogin. Hinzu kam der große kulturelle Unterschied. "Syrer und Afghanen mussten teilweise auch alphabetisiert werden", sagt Schimmelpfennig. Die Ukrainer, so erzählt sie weiter, kämen aus einem ähnlichen Kulturkreis und hätten auch denselben Bildungshorizont wie wir. Viele von ihnen haben in der Schule Deutsch gelernt, kennen also das lateinische Alphabet. Offenbar stimmt auch die Einstellung zum Thema Spracherwerb. "Das waren wir ehrlich gesagt in den Integrationskursen der vergangenen Jahre nicht mehr gewohnt", erklärt Tatiana Schimmelpfennig abschließend.

Schaut man auf die Zahlen, dann gibt es für sie und ihre Kollegen noch viel zu tun. Nach Angaben des Jobcenters befanden sich im August 2020 lediglich 172 Ukrainer in Sprachkursen. Im November waren es 323 – im gesamten Landkreis. Die Folgekurse an der Volkshochschule sind bereits ausgebucht.