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Kreis Meißen: Wenn der Sohn um Geld bittet

Die Betrugsfälle mit WhatsApp-Nachrichten häufen sich im Landkreis Meißen und es sind keineswegs nur Senioren, die darauf hereinfallen.

Von Ines Mallek-Klein
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Weil das alte Handy geklaut ist, meldete sich der vermeintliche Sohn mit neuer Nummer und der dringenden Bitte, schnell mal eine Rechnung über 3.200 Euro zu begleichen.
Weil das alte Handy geklaut ist, meldete sich der vermeintliche Sohn mit neuer Nummer und der dringenden Bitte, schnell mal eine Rechnung über 3.200 Euro zu begleichen. © Claudia Hübschmann

Meißen. Ihre drei Kinder hat Ute Wöllner alleine großgezogen, war immer arbeiten und hat gelernt, auch mit wenig Geld zurechtzukommen. Es bleibt immer etwas übrig, was sie beiseite legte für die schlechten Zeiten, auf das die nie kommen würden. Und ja, die Meißnerin ist hilfsbereit. Das wäre ihr vor ein paar Tagen beinahe zum Verhängnis geworden. Es war der 4. November vormittags, als sie plötzlich eine WhatsApp von ihrem Sohn bekam. Der meldete sich mit einer neuen Nummer, weil sein altes Handy und damit auch die SIM-Karte geklaut worden sei. Er bat die Mutter um Hilfe, er müsse noch am selben Tag eine Rechnung von über 3.200 Euro für das neue Handy und einen neuen Laptop überweisen. Für Ute Wöllner keine Frage, sie würde ihm helfen. Schließlich studiert der 26-Jährige an der Weimarer Bauhausuniversität und ist, wie sie sagt, "der beste Sohn, den sich eine Mutter nur wünschen kann".

Sie versuchte ihn, unter der neuen Nummer telefonisch zu erreichen, doch er ging nicht ran. Wie auch, er war sicher in der Vorlesung, suchte die besorgte Mutter nach einer Erklärung. Und prompt kam die nächste WhatsApp. Er könne gerade nicht reden, aber er würde, wenn sie ihm helfen würde, die Überweisungsdaten schicken. Es eile. Um keinen Ärger zu bekommen, müsse die Rechnung heute noch bezahlt werden, am besten per Sofortüberweisung. Er selbst habe wegen seiner geänderten Handynummer für 48 Stunden keinen Zugriff auf sein Onlinekonto. Ute Wöllner stutzte. Über 3.000 Euro, das ist kein Pappenstiel. Aber Ärger soll ihr Junge auch nicht bekommen. Also wartete sie ungeduldig auf die nächste WhatsApp, die prompt die Kontodaten des Empfängers lieferte.

Als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen

In der festen Überzeugung Gutes zu tun, tippte sie Namen und IBAN in das Überweisungsformular ihrer Onlinebank. Kein Gefühl des Zweifels, kein Gefühl des Zauderns und dann kam, wie zur Bestätigung die besorgte Frage des vermeintlichen Sohnes, ob denn mit der Überweisung alles glattgegangen sei. Ute Wöllner machte ein Bildschirmfoto und schickte es an ihren Sohn, eher zufällig auch an seine alte Nummer. Und der staunte nicht schlecht, rief wenig später zurück und fragte seine Mutter "Was tust Du da".

"Es war, als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen", erinnert sich die Meißnerin. Erst in diesem Moment habe sie begriffen, dass sie WhatsApp-Betrügern aufgesessen war. Und damit ist sie keineswegs die Einzige. Die Betrugsmethode, mit Kurznachrichten Geldüberweisungen und vermeintliche Rechnungsbeträge anzufordern, sei in den letzten Wochen gerade wieder verstärkt zu beobachten, sagt Polizeidirektor Peer Barthel. Fast täglich gingen in dem Meißner Polizeirevier, das er leitet, entsprechende Anzeigen ein. Und es seien keineswegs nur die älteren Bürger betroffen. "Auch 40- oder 50-Jährige fallen auf die Masche herein, denn die Absender der betrügerischen WhatsApp sind sehr gut geschult und erschleichen sich das Vertrauen ihres Gegenübers", sagt Peer Barthel und er rät deshalb dazu, immer erst den vermeintlichen Absender der Nachrichten kontaktieren, und zwar persönlich. Keinesfalls übereilige Geldbeträge überweisen oder Kontodaten herausgeben.

Aus Scham scheuen sich viele Betroffene Anzeige zu erstatten

Allen Warnungen zum Trotz, die Masche hat offenbar Erfolg. Noch nie waren so viele Betrüger mit ihr unterwegs wie derzeit. Allein im Polizeirevier Meißen wurden seit Jahresbeginn 90 Fälle angezeigt, im gesamten Vorjahreszeitraum waren es gerade einmal sieben. Und auch die Beamten in Großenhain verzeichnen einen deutlichen Zuwachs von einem Fall 2021 auf 13 bis Mitte November. In Riesa gab es 2021 gar keine Anzeigen zu WhatsApp-Betrug in diesem Jahr waren es schon 35 und die Beamten sind sich sicher, die Dunkelziffer könnte um einiges höher liegen. Aus Scham scheuen sich immer noch viele Betroffene Anzeige zu erstatten. Dabei hilft gerade eine schnelle Reaktion, die Täter aufzuspüren.

Die sitzen nicht selten im Ausland, agieren aber dennoch mit einer deutschen Vorwahl - auch das zerstreut Zweifel. Uta Wöllner weiß, dass ihr Geld auf ein Konto in Holland geschickt werden sollte. Darüber, dass sie der Empfängername R.Z. Razniak nicht stutzig gemacht hat, kann sie sich heute noch ärgern. Aber sie hat richtig reagiert und ihren Fall nicht nur auf dem Polizeirevier in Meißen gemeldet. Sie hat auch mit ihrer Bank gesprochen, der ING-DiBa AG, einer Tochter der niederländischen ING Groep. Sie zählt nach eigenen Angaben 9,1 Millionen Kunden und ist damit die größte Direktbank Deutschlands. Wie genau der Überweisungsalgorithmus auf die Unregelmäßigkeit aufmerksam geworden ist, hat die Kundenberaterin Ute Wöllner nicht verraten. Das sei Betriebsgeheimnis, aber man beobachte solche Fälle in letzter Zeit vermehrt. Ute Wöllner jedenfalls ist froh, das ihr Erspartes gerettet ist, es war wenige Tage später wieder auf dem Konto.