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„Wir wohnen schon immer gern in der James-von-Moltke-Straße in Görlitz“

Die meisten früheren Bewohner sind längst weggezogen oder verstorben. Ein Ehepaar ist seit 46 Jahren hier und hat vieles erlebt. Doch bald muss es ausziehen.

Von Ingo Kramer
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Aufbruchstimmung: Auf der James-von-Moltke-Straße in Görlitz werden derzeit zahlreiche Häuser saniert oder zumindest gesichert.
Aufbruchstimmung: Auf der James-von-Moltke-Straße in Görlitz werden derzeit zahlreiche Häuser saniert oder zumindest gesichert. © Martin Schneider

46 Jahre ist es her, dass das Ehepaar in die einstige Goethe-Apotheke auf der James-von-Moltke-Straße 9 gezogen ist. Ihre echten Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen, nennen wir sie also an dieser Stelle Gerd und Gerda. Beide stammen aus Zittau und sind damals der Arbeit wegen nach Görlitz gezogen – Gerd arbeitete beim Zoll. „Damals war die Straße voll bewohnt“, erinnert sich seine Frau: „Es war zwar alles unsaniert, aber Leerstand gab es nicht.“

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Dass das mal eine besonders vornehme Straße war, ist beiden schnell aufgefallen. „Unser Haus und die Nachbarhäuser bildeten einen Komplex, das war alles herrschaftlich“, sagt Gerd: „Im Hof hatten die Häuser einen gemeinsamen Pferdestall.“ Im Parterre ihres Hauses war die Apotheke untergebracht, im Keller das Labor. „Da wurden die Salben gefertigt und dann mit dem Fahrstuhl nach oben gefahren“, sagt Gerda. Ob der Apotheker selbst in der oberen Etage wohnte, darüber ist sie sich mit ihrem Mann nicht ganz einig. Als sie vor 46 Jahren herzogen, war jedenfalls kein Apotheker mehr da. Stattdessen aber ein paar andere Mieter – allerdings nur in den ersten Jahren. Seit mindestens 25 Jahren dürfen sie als Mieter das Haus allein nutzen.

Zu DDR-Zeiten gab es ringsum viele Läden. Beide erinnern sich an den Gemüseladen, den Fleischer und den Bäcker. „Wir hatten hier auch einen kleinen Konsum und ein Stück weiter oben noch einen zweiten“, sagt Gerda. Nach der Wende sei dann schnell der Massa-Markt auf der Uferstraße eröffnet worden – auf dem Gelände des heutigen Uferparks. Mit dem Massa-Markt begann das Sterben der kleinen Läden. „Nach und nach haben die Inhaber alle das Handtuch geschmissen“, sagt Gerd.

Der Verkehr war mal schlimm

Auch der Leerstand der Wohnungen nahm zu. Aber eine Zeit, in der fast alles leer stand, habe es nicht gegeben. Eines jedoch war schlimm: Der Verkehr. Und zwar in den 1990er-Jahren, als die Autobahn noch nicht da war. Da rollten alle LKW auf ihrem Weg nach Polen durch die James-von-Moltke-Straße. „Seit die Autobahn da ist, ist der Verkehr hier gar kein Problem mehr“, sagt Gerd. Am Wochenende sei es sogar richtig ruhig. Da gebe es Straßen in Görlitz, auf denen viel mehr los sei. Auf der Brautwiesenstraße sei es schlimmer, vermutet Gerda.

Sie habe in all den Jahrzehnten immer gern hier gewohnt: „Ich mag die Lage, man ist schnell im Stadtzentrum, wir haben einen Garten hinter dem Haus und kennen viele Leute schon lange.“ Im Haus konnten sie tun und lassen, was sie wollten, sich sogar in allen Etagen ausbreiten. Es gehörte einer Düsseldorferin, die es nach der Wende rückübertragen bekommen hatte. „Sie war in all den Jahren nur zweimal hier“, sagt Gerda. Doch jetzt sei sie alt und habe das Haus in diesem Jahr an ein polnisches Ehepaar verkauft. „Die wollen es sanieren und haben gesagt, dass wir in einem Jahr raus müssen“, sagt Gerda. Sie darf gar nicht daran denken: „Ich würde so gern hierbleiben.“

Das ist der vierte von insgesamt sechs Texten zur James-von-Moltke-Straße in Görlitz. Die anderen zwei veröffentlichen wir in den nächsten Tagen.

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