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"Lockerungen kann ich mir nicht vorstellen"

Warum Sachsens Ministerpräsident ins Zittauer Krankenhaus kommt und dem Ärztlichen Direktor für dessen deutliche Worte dankt.

Von Jana Ulbrich
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat am Montagnachmittag das Zittauer Krankenhaus besucht, hinter ihm der Ärztliche Direktor des Klinikums, Dr. Mathias Mengel.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat am Montagnachmittag das Zittauer Krankenhaus besucht, hinter ihm der Ärztliche Direktor des Klinikums, Dr. Mathias Mengel. © Rafael Sampedro

Manchmal, sagt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), gehe es ihm wie Mathias Mengel, dem Ärztlichen Direktor des Klinikums Oberlausitzer Bergland: "Manchmal hat man das Gefühl, dass man auch mal lauter werden und drastischere Worte finden muss, um gehört zu werden."

Chefarzt Mengel hatte das kurz vor Weihnachten getan: "Es gibt Tage, da sind wir nicht mehr an, sondern längst über der Belastungsgrenze", so hatte er es in einem Online-Forum mit rund 100 Teilnehmern geschildert. Es gebe Situationen, in denen man abwägen müsse, welchem Patienten zuerst geholfen werden könne - "Situationen, in die man nicht kommen will."

Mengels Aussagen hatten sich bundesweit wie ein Lauffeuer verbreitet, waren Thema in der Tagesschau und in den Nachrichten nahezu aller Medien: In Zittau müsse bereits entschieden werden, welcher Corona-Patient das letzte freie Beatmungsgerät bekommt und welcher nicht!

Er sei dem Chefarzt ausdrücklich dankbar für diese deutlichen Worte, sagt der Ministerpräsident. Denn noch immer würden viele den Ernst der Lage nicht wahrhaben wollen. An diesem Montagnachmittag ist Michael Kretschmer ins Zittauer Krankenhaus gekommen. Er will sich über die aktuelle Lage im Klinikum informieren. Und ausdrücklich bittet er den Geschäftsführer, den Ärztlichen Direktor und den Chefarzt der Intensivstation, "ganz offen zu reden" - auch vor den anwesenden Journalisten.

Der Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin am Standort Zittau, Dr. Radovan Novák.
Der Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin am Standort Zittau, Dr. Radovan Novák. © Rafael Sampedro

Und die Angesprochenen nehmen kein Blatt vor den Mund: Die Situation im Klinikum mit seinen Standorten in Zittau und Ebersbach ist nach wie vor äußerst kritisch, erklärt Geschäftsführer Steffen Thiele. Die Zahl der Corona-Patienten ist unverändert hoch, die personellen Ausfälle machen zunehmend Probleme. "Wir planen von Tag zu Tag neu, müssen jeden Tag sehen, was sich mit dem noch vorhandenen Personal machen lässt." Kurz vor Weihnachten habe er das Zittauer Krankenhaus bei der Rettungsleitstelle sogar "abmelden" müssen, weil kein einziger Patient mehr aufgenommen werden konnte.

Inzwischen sei die Situation wieder etwas besser, aber immer noch an der Belastungsgrenze und darüber hinaus. "Was die Ärzte und Pflegekräfte hier leisten, das kann man nicht hoch genug würdigen", sagt Steffen Thiele. Und der Ministerpräsident pflichtet ihm bei. Er verspricht, sich beim Bund dafür einzusetzen, dass die staatliche Corona-Prämie auch an die Krankenhäuser gezahlt wird, die in der ersten Corona-Welle im Frühjahr nicht so viele Patienten hatten und deshalb bisher unter die dafür nötige Bemessungsgrenze gefallen sind.

Klartext spricht an diesem Nachmittag auch Dr. Radovan Novak, der Chefarzt der Zittauer Intensivstation. Er sei zuerst einmal sehr dankbar, dass die Grenzen für die Berufspendler weiter offen sind, sagt Novak, der selbst Tscheche ist: "Wenn die Grenze zu wäre, wären wir hier am Krankenhaus nicht mehr arbeitsfähig."

Der Chefarzt macht den Ministerpräsidenten aber auf ein ganz anderes Problem aufmerksam: Die kleinen Krankenhäuser im Freistaat sind mit den Corona-Patienten überproportional hoch belastet. Von den 300 Betten, die das Klinikum insgesamt hat, sind 100 mit Covid-Patienten belegt. Das ist ein Drittel der gesamten Kapazität. In den großen Häusern wie der Uniklinik sind das bei weitem nicht so viele. "Das ist sehr unfair", sagt Dr. Novak.

"Wir müssen ja auch die Akutversorgung aufrecht erhalten", erklärt der Chefarzt. "Wir müssen handlungsfähig bleiben, wenn wir einen Unfall oder einen Herzinfarkt bekommen." In den letzten zwei Wochen habe er für die komplette Akutversorgung auf der ITS nur noch zwei Betten gehabt. Das sei ein Unding. Wochenlang geplante Operationen abzusetzen, das gehe im Grunde auch nicht.

Michael Kretschmer (CDU) spricht mit dem Geschäftsführer des Klinikums Oberlausitzer Bergland, Steffen Thiele (l.) und Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker (r.)
Michael Kretschmer (CDU) spricht mit dem Geschäftsführer des Klinikums Oberlausitzer Bergland, Steffen Thiele (l.) und Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker (r.) ©  Rafael Sampedro

Auch für diese wichtige Information sei er sehr dankbar, sagte Michael Kretschmer. Er wolle das Problem der ungleichen Belastung kleiner und großer Krankenhäuser mit nach Dresden nehmen und schnellstmöglich darüber beraten, wie die Lasten besser verteilt werden können.

Denn dass sich die Situation in den Kliniken so schnell nicht entspannen wird, ist allen Beteiligten an diesem Gespräch klar: "Es spricht sehr viel dafür, dass die kommenden Wochen die Härtesten werden", ahnt der Ministerpräsident. Er könne sich zum jetzigen Zeitpunkt keine Lockerungen der gegenwärtigen harten Corona-Schutzmaßnahmen nach dem 10. Januar vorstellen, auch nicht, dass dann die Schulen wieder öffnen.

Im Freistaat und auch ganz besonders im Klinikum hofft man nun auf einen schnellstmöglichen Erfolg der Corona-Schutzimpfung. Erst die Impfung, so sind hier alle überzeugt, werde die so sehnsüchtig erwartete Entspannung der Lage bringen. Während des Besuchs des Ministerpräsidenten in Zittau wurden im 20 Kilometer entfernten Pflegestift in Ebersbach-Oberland die ersten Bewohner des Landkreises geimpft.

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