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Im Rollstuhl durch Bautzen: "Die Fußwege sind einfach katastrophal"

Gerade abseits der Innenstadt sind Fußwege in Bautzen oft in einem schlechten Zustand. Für Senioren beginnt damit der Hindernisparcours direkt vor der Haustür.

Von Tim Ruben Weimer
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Leonore Mimus aus dem Senioren-Wohnheim Marthastift ist auf ihren Rollstuhl angewiesen. Trotzdem würde sie zumindest kurze Wege auch alleine schaffen, sagt sie - wenn die Gehwege in Bautzen besser in Schuss wären.
Leonore Mimus aus dem Senioren-Wohnheim Marthastift ist auf ihren Rollstuhl angewiesen. Trotzdem würde sie zumindest kurze Wege auch alleine schaffen, sagt sie - wenn die Gehwege in Bautzen besser in Schuss wären. © Steffen Unger

Bautzen. Wenn die 81-jährige Leonore Mimus sich aufmacht zur Chorprobe beim Seniorenverband auf der Bautzener Löhrstraße, dann sind es gerade einmal 500 Meter, die sie vom Senioren-Wohnheim Marthastift der Diakonie an der Karl-Liebknecht-Straße bis zum Probenort zurücklegen muss. "Die Strecke wäre für mich kein Problem", sagt sie, obwohl die Rentnerin im Rollstuhl sitzt.

Trotzdem bestellt sie jedes Mal auf eigene Kosten ein Taxi, zahlt jeweils für Hin- und Rückfahrt rund zehn Euro, erzählt sie. Denn: "Die Fußwege sind einfach katastrophal." Das Pflaster sei im schlechten Zustand, wenn es denn überhaupt welches gebe und sie mit ihrem Rollstuhl nicht auf Kies fahren muss. Dazwischen liegen an Straßenkreuzungen nur halb oder schief abgesenkte Bordsteinkanten, an denen sie rückwärts hochfahren müsste. Doch eine Begleitperson ist bei ihrem Pflegegrad nicht vorgesehen.

Viele Gehwege in Bautzen sind nicht barrierefrei

Mitunter nehmen auch Baumscheiben den Platz weg. "Ich stecke da mit dem Rollstuhl schnell mal bei einem Baum in der Erde fest", erzählt Leonore Mimus. Jetzt im Winter sei es ohnehin gefährlich auf den Gehwegen, weil viele Anwohner ihrer Räumpflicht nicht nachkämen. Und wenn doch gestreut wurde, verheddern sich die Steinchen in den Rädern ihres Rollstuhls und sie drohe, zu stürzen.

Die Bewohner des Marthastifts verlieren kaum ein gutes Wort über die Barrierefreiheit in ihrer Stadt. Nach positiven Beispielen gefragt, herrscht erst einmal langes Schweigen. In der Bautzener Innenstadt sei schon einiges auf dem richtigen Weg, räumen sie dann ein. Zum Beispiel auf der Bahnhofstraße, wo es einen gleichmäßig gepflasterten Gehweg gebe. Oder auf der Goschwitz- und der Karl-Marx-Straße, wo Granitplatten statt Pflaster müheloses Vorwärtskommen ermöglichen.

Die gibt es auch auf der Reichenstraße. "Da ist aber überhaupt nicht bedacht worden, dass die für ältere Menschen breiter sein müssen", sagt Heim-Bewohnerin Sigrun Polster. Komme man mit dem Rollator mit einem Rad vom Plattenweg ab, bestehe die Gefahr, umzukippen, erklärt sie.

Stadt Bautzen entwickelt ein Fußverkehrskonzept

Abgesehen von der Reichenstraße seien aber weniger die Wege in der Innenstadt, sondern vor allem die Bezirke um die Innenstadt herum, in denen es viele Altenheime gibt, problematisch, sagen die Senioren. "Anstatt Geld für die Spreebrücke auszugeben, sollten damit die Fußwege verbessert werden", hat Polster eine klare Meinung.

Die Teilnehmer des Mobilitätskompasses von Sächsischer Zeitung und Sächsische.de geben Bautzen in puncto Barrierefreiheit die Schulnote 2,98. Die Stadt schneidet damit schlechter als Görlitz und Hoyerswerda, aber deutlich besser als Kamenz ab.

  • Mehr als 9.000 Menschen aus Ost- und Mittelsachsen haben für den Mobilitätskompass Einblick in ihr Mobilitätsverhalten gegeben. Der Mobilitätskompass wurde unter wissenschaftlicher Begleitung der Evangelischen Hochschule Dresden und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher" entwickelt und ausgewertet, die darauf geachtet haben, dass die Aussagen belastbar sind. Bis Anfang Dezember veröffentlicht Sächsische.de die regionalen und lokalen Ergebnisse. Alle erschienenen Beiträge finden Sie auch auf www.saechsische.de/mobilitaetskompass

Die Stadt Bautzen gibt offen zu, dass der Weg zur Barrierefreiheit noch lang ist, und spricht daher eher von Barrierearmut. In der 2023 erarbeiteten Fußverkehrsstrategie ist die weitgehende Barrierefreiheit eines von mehreren Leitzielen. Konkrete Maßnahmen werden aber erst im daraus abzuleitenden Fußverkehrskonzept enthalten sein, das im ersten Halbjahr 2024 entwickelt werden soll.

Die historische und zum Teil denkmalgeschützte Innenstadt fordere Kompromisslösungen. In der Vergangenheit seien unter anderem bereits Bordsteine abgesenkt, Gehwege verbreitert oder Abstufungen für seh-eingeschränkte Personen farblich markiert worden.

Treppen erschweren den Zugang zu Gebäuden

Zum Teil seien aber nicht nur die Gehwege, sondern auch die Zugänglichkeit von Geschäften, Arztpraxen und Behörden ein Problem, sagt Dieter Sittig, ein weiterer Bewohner des Marthastifts der Diakonie. "Ich wollte nur eine simple Briefmarke kaufen", erzählt er von einem Erlebnis bei der Post. Vom Postplatz sei er mit seinem Rollator nicht die Stufen hochgekommen. Ausgerechnet in dem Moment sei auch niemand dagewesen, der ihm hätte helfen können. "Da bin ich ohne Briefmarke wieder nach Hause gefahren."

Ein Besuch bei der Bautzener Post zeigt: Ein barrierefreier Eingang ist vorhanden. Eine Tafel vor dem Eingang weist den Weg: Rollstuhlfahrer müssen einmal um das Gebäude herumfahren, durch den Hinterhof gelangen sie zu einer flachen Metallrampe, von dort geht es durch eine Automatiktür hinein zu den Räumen des MDR, von wo aus sie dann in die Räumlichkeiten der Post kommen. Offensichtlich ist dieser Weg jedoch nicht. Am Haupteingang können Rollstuhlfahrer auch über eine Klingel Hilfe anfordern. Es komme dann sofort jemand zu Hilfe, versichert eine Mitarbeiterin.

Sturzgefahr auf Gehwegen in Bautzen ist groß

Hindernisse existieren aber zum Beispiel auch beim Gang zum Arzt. Bei einem Arzt müsse sie sich regelrecht am Treppengeländer hochziehen, berichtet Rentnerin Margot Schmidt. Bei einem anderen gebe es zwar eine Rampe, die auf die Treppe gelegt werden könne. "Aber wer soll das denn machen? Ich selber kann es nicht." Ein positives Beispiel sei das Medizinische Versorgungszentrum, das komplett barrierefrei ausgebaut sei.

Längst nicht alles, was die Bewohner des Marthastifts fordern, lässt sich so einfach umsetzen. Doch es seien gerade die kleinen Hindernisse - zum Beispiel ein nicht asphaltierter Gehweg -, die älteren Menschen die Eigenständigkeit nehmen, sagen sie. "Mit dem Rollator muss man die Augen ständig auf dem Boden haben, um überhaupt zurechtzukommen", sagt Leonore Mimus. "Wenn dann noch ein Störfaktor dazukommt, ist die Sturzgefahr groß."