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Beleidigt, angespuckt, verfolgt – Ein Honduraner wehrt sich gegen Alltagsrassismus

Gerardo Palacios Borjas lebt seit 17 Jahren in Sachsen. In den vergangenen Jahren wurde er zunehmend angefeindet. Um dem Rassismus zu begegnen, hat er Handybilder gemacht.

Von Lucy Krille
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Gerardo Palacios Borjas (l.) führt Alexander Naumann von der Evangelischen Medienzentrale Sachsen durch seine Ausstellung "Leben ohne Rassismus 2.0". Zur Fotografie ist Borjas eher notgedrungen gekommen.
Gerardo Palacios Borjas (l.) führt Alexander Naumann von der Evangelischen Medienzentrale Sachsen durch seine Ausstellung "Leben ohne Rassismus 2.0". Zur Fotografie ist Borjas eher notgedrungen gekommen. © Arvid Müller

Moritzburg. Gerardo Palacios Borjas ist kein Fotograf, nicht mal ein Hobbyfotograf. Dennoch tourt er mit seiner eigenen Fotoausstellung durch Sachsen und Deutschland. Gerade ist die Ausstellung "Leben ohne Rassismus 2.0" in Moritzburg zu sehen. Die Fotos zeigen Freunde, Kollegen und Bekannte, die von Alltagsrassismus betroffen sind. Borjas hat sich mit ihnen unterhalten, über ihre Wünsche und über das, was sie bedrückt. Worte, die hängengeblieben sind, hat Borjas neben den Porträts verewigt, die er mit seiner Handykamera gemacht hat.

Auch er selbst zeigt Gesicht. Das war nicht immer so. "Früher habe ich meinen Namen nicht öffentlich genannt", sagt Borjas. Immer wieder, so erzählt der Honduraner, wurde er auf offener Straße beleidigt oder gar verfolgt. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm eine Begegnung mit einer älteren Frau. Als er sie auf der Prager Straße in Dresden anlächelte, bespuckte sie ihn.

Dabei beschreibt Borjas seinen Start in Deutschland durchaus positiv. 2003 war das, als er ein soziales Jahr in einer Klinik in Coburg absolvierte. Obwohl er die Sprache inklusive bayrischem Dialekt nur schwer verstand, fühlte er sich wohl. "Das war eine Erfahrung, die mein Leben komplett verändert hat". Blicke, die es auch damals schon gab, waren eher von Neugier geprägt. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Projektmanagement in Honduras und Chile kam Borjas nach Dresden zurück.

Borjas' reagiert heute anders auf Rassismus als früher

An der Technischen Universität machte er einen Master in Raumentwicklung und Naturressourcenmanagement. Trotz seiner Qualifikationen fand er keinen Job. "Ich hatte 300 Bewerbungen geschrieben und wurde nur zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen", sagt er. Da er kaum Arbeitserfahrung in Deutschland vorweisen konnte, hätte er eingearbeitet werden müssen. "Aber in Deutschland muss oft alles schnell und effektiv funktionieren", beobachtet Borjas.

Die Abschiebebescheinigung im Nacken, wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit als Berater. Zudem betreut er ein Stipendienprogramm für ausländische Studierende und ist Mitbegründer vom Bündnis gegen Rassismus. Die Anfeindungen haben in den vergangenen Jahren zugenommen, meint Borjas. "2015 hat sich die Atmosphäre verändert", spielt er auf die Flüchtlingskrise an. Die Neugier in den Blicken wich Skepsis und Angst. "Die Leute liefen plötzlich lieber zu einer anderen Haltestelle oder nahmen ihre Handtasche fester in die Hand", erzählt Borjas.

Irgendwann kam er zu dem Punkt, an dem er aktiv etwas gegen Rassismus tun wollte und startete eine erste Version seiner Ausstellung. "Ich hätte auch woanders hingehen können, aber warum bin ich derjenige, der sich schämen sollte?", fragt der heutige Dresdner. Mittlerweile versucht er, in Kontakt mit den Menschen zu gehen, sofern die Stimmung nicht zu aggressiv ist. Seine Reaktion auf Sprüche: "Ich habe sie akustisch nicht verstanden, könnten Sie das nochmal wiederholen?".

Bilder, in denen man sich selbst wiedererkennen soll

Die negativen Begegnungen sind nicht in der Überzahl, macht Borjas klar. Wenn er außerhalb Sachsens eingeladen ist, werde er oft gefragt, ob es wirklich so schlimm sei. "Nein, es sind ganz wenige, die so laut sind", ist dann die Antwort. Mit einem Schmunzeln fügt Borjas hinzu: "Ich bin freiwillig hier". Um diese Botschaft weiterzutragen, tourt er mit einer Variante seiner Ausstellung quer durch Deutschland, während die andere in Sachsen zu sehen ist.

Auf Initiative der evangelischen Medienzentrale wurden die Bilder Anfang Februar im Evangelischen Bildungszentrum an der Bahnhofstraße aufgehängt. Vergangenen Freitag kam der Künstler selbst nach Moritzburg, um durch die Ausstellung zu führen. Borjas erklärte Studierenden der ansässigen Evangelischen Hochschule (ehs) und anderen Interessierten unter anderem, warum er den Hintergrund der Bilder schwarz gemacht hat.

"Damit man sich selber sieht". Denn Selbstreflexion, findet Borjas, sei bei diesem Thema wichtig. Schließlich habe jeder irgendwelche Vorurteile. Manche findet er gar nicht so schlimm. Zum Beispiel denken viele, er als Lateinamerikaner könne doch sicher richtig gut tanzen. "Dabei lerne ich das gerade erst", sagt Borjas und grinst.

Borjas: "Alltagsrassismus nimmt vor den Wahlen zu"

Andere, oft unbewusste, Handlungen seien da schon verletzender. Auch in kirchlichen Institutionen wie der Diakonie, die Träger des Bildungszentrums ist, gebe es Nachholbedarf. Borjas spricht einfache Beispiele wie Flyer an. Davon fühlten sich Menschen aus anderen Ländern oft nicht angesprochen. "Das ist vielen in der Kirche nicht bewusst, weil doch immer gesagt wird, dass wir Nächstenliebe praktizieren", bestätigt Alexander Naumann von der Evangelischen Medienzentrale.

Viel mehr zu schaffen machen Borjas allerdings die Anfeindungen gegenüber Menschen anderer Herkunft. Bestimmte Wahlplakate haben ihn schon in der Vergangenheit getroffen. Vor den anstehenden Wahlen befürchtet er eine erneute Zuspitzung. Auch Borjas Bilder machen Werbung. Jedoch für keine Partei, sondern für den Dialog. "Bitte schau nicht nur auf mein Kopftuch. Frag nach meinen Gedanken", steht auf einem. Auf einem anderen: "Wir sind nicht alle gleich, aber gleichwertig."

"Leben ohne Rassismus 2.0." ist noch bis zum 27. März im Evangelischen Bildungszentrum an der Bahnhofstraße 9 in Moritzburg zu sehen. Am 13. März gibt es einen Kurzfilmabend und ein Gespräch mit einer Studentin der ehs, die auf einem der Fotos gezeigt wird. Der Eintritt ist kostenfrei. Weitere Informationen finden Sie im Internet.