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Kann ich mit meinem Einkauf die Erde retten?

Vegan, plastikfrei und elektrobetrieben – was bringt das alles? Ein Essay über die Grenzen nachhaltigen Lebens.

Von Johanna Lemke
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Wenn wir uns nur auf unseren Konsum fokussieren, tun wir dann genug für die Rettung des Klimas?
Wenn wir uns nur auf unseren Konsum fokussieren, tun wir dann genug für die Rettung des Klimas? © Gettyimages

Gestern war ein guter Tag. Gestern hatte ich am späten Abend noch einen Erfolg. Ich fand alle Klamotten, die ich gesucht hatte gebraucht. Die Sommerkleider fürs Kind, ein Paar Schuhe für mich, eine Jacke für die Übergangszeit. Alles getragen, ich verbrauche mit meinem Einkauf viel weniger Ressourcen, als wenn ich es neu besorgt hätte. Zuvor hatte ich noch eine Edelstahl-Trinkflasche gekauft und abends Müsliriegel selbst gemacht, aus Bio-Haferflocken und fair gehandelten Nüssen. Vegane Schokolade obendrüber, ein ökologisch korrekter Snack.

Sie halten mich für einen guten Menschen? Sie nennen mein Konsumverhalten nachhaltig? Stimmt schon. Ich mache nichts falsch. Aber mache ich es richtig?

Vor einigen Jahren hätte ich mit Inbrunst ja gesagt. Ich fand, meine Entscheidung an der Supermarktkasse würde einen Unterschied machen. Ich war der Überzeugung, dass wir mit unserem Geldbeutel wählen und dass nur genügend Menschen das tun müssten, damit sich etwas ändert am klimaschädigenden Verhalten – und dass man so die Welt retten kann.So denken immer mehr Menschen. Plastikfreie Zahnbürsten stehen in jeder Drogerie, niemand verzieht das Gesicht, wenn Udo zur Abwechslung eine Veggie-Wurst auf den Grill legt oder Familie Schmidt das Familienauto abschafft. Nachhaltiger Lebensstil ist aus der Öko-Ecke raus. Die Idee, mit dem Einkauf die Erde zu schützen, ist in der Breite angekommen.

Auch ich fand das richtig. Wenn jeder nachhaltig lebt, kann das nur gut sein. Darum entschied ich mich, keine Tierprodukte mehr zu essen. Ich verzichtete auf Fast Fashion, vermied Flugreisen. All das nimmt viel Raum in meinem Leben ein, denn beim Discounter bekommt man keine losen Linsen im Glas. Einfach mal Leggings für die Kinder kaufen ist nicht, ich stöbere viele Stunden auf Flohmärkten oder im Internet, um Second-Hand-Sachen zu finden. Und es fließt nicht nur Zeit in die richtige Konsumentscheidung, sondern auch viel Geld. Bambus-Strohhalme, Ökostrom, die teure Zugfahrkarte: Nachhaltigen Konsum muss man sich leisten können.

Kleine Schritte lösen nicht das weltweite Problem

Und wozu? Während ich daran arbeite, mit meinen Kaufentscheidungen die Erde zu retten, vergrößert sich die Weltbevölkerung pro Minute um rund 170 Menschen. Überhaupt hat sie sich in 50 Jahren verdoppelt. Doch die Ressourcen sind zu begrenzt, längst leben Bewohner der Industriestaaten auf Kosten der Menschen in armen Ländern. Es ist unter Ökonomen kein Geheimnis mehr, dass wir auf den Kipp-Punkt zusteuern. Seit 50 Jahren weiß man das: Wenn wir mit dem Wachstumskurs so weitermachen, übersteigt die Ausbeutung durch die Menschen in weiteren 50 Jahren die Ressourcen der Erde.

Halt!, rufen die Optimisten. Wenn jeder einen Schritt tut, sind es viele kleine, die eine Bewegung auslösen. Auf diese Logik haben sich inzwischen fast alle geeinigt. Wer es sich leisten kann, zahlt einen Klimaausgleich bei der Flugreise, legt nachhaltig geschlagenes Parkett in die Neubauwohnung, kauft dem Baby Biosocken.

Nun ist das mit den kleinen Schritten so eine Sache. Sie mögen partiell etwas bewirken, indem man mit dem lokalen Einkauf etwa auch lokale Landwirtschaft unterstützt. Nicht zu vergessen, dass gebraucht kaufen, länger benutzen oder weniger anschaffen auch den Geldbeutel schont.

Doch all das löst nicht das weltweite Problem. Der Wohlstand in den Industriestaaten steigt – und damit steigen Konsum und Verbrauch. Es geht mit dem Flieger in den Urlaub, mit dem Auto zur Arbeit, das neueste Handy muss her. Das Klima soll geschützt werden, aber alles soll so bleiben, wie es ist. Dies ist eine Rechnung, die nicht aufgeht. Die Ökonomin Maja Göpel beschreibt das in ihrem Buch "Unsere Welt neu denken": "Die Versorgungssicherheit auf einem begrenzten Planeten mit einer zunehmenden Anzahl Menschen kann nicht eine immer größer werdende Menge an Konsum bedeuten."

Auch für mich bedeutet Wohlstand, dass ich mir alles Notwendige kaufe, nur eben in nachhaltig. Doch wie nachhaltig ist es, einen Satz Edelstahl-Trinkflaschen anzuschaffen, weil die Plastikvariante nicht mehr nachhaltig scheint? Vielleicht hätten die alten Flaschen noch ein glückliches Leben fristen können. Stattdessen landen sie im Müll und lassen den monströsen Berg an Plastik weiter anwachsen. Dies ist nur ein kleines Beispiel, das sich beliebig weiterdenken ließe, bis hin zum E-Bike, das in Deutschland meist ein Auto nicht ersetzt, sondern nur ergänzt.

Unterdessen schmelzen die Polkappen, verschwinden Permafrostgebiete. Der Weltklimarat sagt es in seinem neuesten Bericht deutlich: Die Hälfte der Menschen weltweit sind durch die Folgen des Klimawandels "hochgradig gefährdet". Die Waldbrandgefahr steigt, Hochwasser werden häufiger, die Zahl der Hitzetoten wächst. Ich habe zwei Kinder, die noch länger als ich in dieser Welt leben werden und frage mich: Wann tut jemand etwas dagegen?

Mit Millionen die Verantwortung den Bürgern zugeschoben

Es hat etwas gedauert, bis ich begriffen habe: Dieser Jemand bin nicht ich. Es ist kein Eingeständnis von Machtlosigkeit, wenn ich sage: Andere müssen ran.

Denn in Wahrheit wird der größte Schaden an Klima und Artenvielfalt nicht durch Individuen verursacht, sondern durch Industrie und Energiewirtschaft – Bereiche, auf die Einzelpersonen kaum einwirken können. Dass sie das dennoch glauben, ist kein Zufall, sondern Strategie. So hat etwa der Ölkonzern BP viel Geld in eine Kampagne gesteckt, die den CO2-Fußabdruck erfand – jene Größe, mit der jeder Einzelne das eigene umweltschädliche Verhalten berechnen kann. Mit den Millionen eines Konzerns, der massiv die Erde ausbeutet und die Umwelt verseucht, wurde das schlechte Gewissen zum Bürger rübergeschoben.

Dass das funktionieren könnte, basiert auf einer falschen Grundannahme menschlichen Verhaltens. Das Gehirn ist nicht darauf ausgelegt, komplexe moralische Abwägungen in Bezug auf den eigenen Genuss zu treffen. Das Belohnungszentrum will immer wieder stimuliert werden, und das bedeutet: kaufen – eine der schnellsten Lösungen, um zum Dopaminkick zu kommen. Deswegen funktioniert der Kapitalismus so gut.

Menschen selbst können also aus eigener Kraft nicht den dringend notwendigen Anstoß leisten, um die Erde zu retten. Aber wer dann? Richtig: die Politik.

Und sie tut auch schon – etwas. Es gibt Klimakonferenzen, Verträge, Zielmarken für die CO2-Reduktion. Doch das alles ist zu wenig. Zusätzlich muss es dringend große politische Schritte geben: eine CO2-Bepreisung, den staatlich verordneten Ausstieg aus den fossilen Energien, und vor allem: viel mehr Anreize für die Wirtschaft, nachhaltig zu agieren. Denn, so sagt Ronald Queck, der als Meteorologe die Klimaschutz-Vorlesung an der TU Dresden hält, "die Wirtschaft selbst ist am Gewinn interessiert, nicht am Klimaschutz. Erst wenn sich mit Klimaschutz mehr Gewinn machen lässt, dann geht sie darauf ein."

Das alles wird nicht leicht, das zeigt allein die eruptive und emotionale Reaktion auf den Braunkohle-Ausstieg. Aber es gibt keine Alternative. Gemütlich so weitermachen wie bisher, das haben die vergangenen 50 Jahre gezeigt, führt zu nichts.

Eine meiner Edelstahl-Flaschen kam neulich verbeult aus dem Schulranzen. Was bedeutete: Ich setzte mich abends vor den Laptop und recherchierte, legte in den Warenkorb, klickte auf bestellen. Wieder verbrachte ich Zeit mit Konsum.

Fridays for Future verlagert den Druck auf die Politik

Tatsächlich könnte ich mir vorstellen, dass meine Beschäftigung mit meinem eigenen Konsum den Unternehmen nicht ganz unrecht ist. Die Verbraucher sind beschäftigt mit komplizierten Kaufentscheidungen, die sie befriedigen in dem Gefühl, genug getan zu haben. Was wäre, wenn ich diese Zeit stattdessen damit verbrächte, aktiv zu werden? Wenn ich mich statt nach Second Hand-Klamotten zu suchen in Vereinen oder politischen Gruppen engagieren, Petitionen starten würde, um auf die wirklich wirksamen Entscheidungen einzuwirken?

Zwei Generationen nach mir sind die Menschen ja schon weiter als ich: Mit Fridays for Future gibt es eine von jungen Leuten initiierte Bewegung, die in Sachen Klimaschutz so viel bewirkt hat wie nichts zuvor. Durch sie verlagerte sich der Druck, den Klimawandel zu stoppen, dorthin, wo er hingehört: auf die Politik, und zwar global gesehen. Die jungen Menschen, die da auf die Straße gehen, kaufen sich wahrscheinlich ebenfalls Edelstahl-Flaschen. Aber sie belassen es nicht dabei.