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Lernen wir jetzt endlich, die Welt zu retten?

Immer mehr Menschen denken über das eigene Konsumverhalten nach. Juliane Gehmlich lebt nachhaltig – und stößt an Grenzen.

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Mit Einkaufsbeutel geht Juliane Gehmlich in den Unverpackt-Laden in Dresden-Striesen. Ihr Lebensstil scheint jetzt für mehr Menschen denn je attraktiv.
Mit Einkaufsbeutel geht Juliane Gehmlich in den Unverpackt-Laden in Dresden-Striesen. Ihr Lebensstil scheint jetzt für mehr Menschen denn je attraktiv. © Matthias Rietschel

Von Melanie Schröder

Seit Corona die Welt in Atem hält, ist die Klimapolitik in den Hintergrund geraten. Noch vor Kurzem war der Klimawandel eins der dominierenden politischen Themen – davon ist nun in der gesellschaftlichen Debatte wenig zu spüren. Gleichzeitig war die Zeit wahrscheinlich noch nie so günstig wie jetzt, sich zu fragen, welchen Beitrag jeder Einzelne tragen kann, um das Klima zu schonen. Denn Corona macht uns einmal mehr deutlich, wie verwundbar unser globales, auf Konsum orientiertes Leben ist. Flugreisen sind gecancelt, der Autoneukauf scheint sinnlos: Die Pandemie bietet die Chance, über das eigene Konsumverhalten nachzudenken und umzusteuern.

Für die Dresdnerin Juliane Gehmlich liegt der Entschluss, das Leben zu ändern, ein Spar-Menü und acht Monate zurück. Gehmlich fuhr damals für eine Henkersmahlzeit zu McDonalds und entschied: „Das ist das letzte Mal.“ Sie hatte von einem Experiment gelesen. Und das sollte nun nicht nur ihre Art zu essen komplett wandeln.

„Vier fürs Klima“ – die Idee dieses Buches hat sich tief in ihren Alltag geschlichen. Eine vierköpfige Familie beschreibt darin den Versuch, in zwölf Monaten den eigenen CO²-Fußabdruck zu verkleinern. Gemeint ist damit der Ausstoß an Kohlendioxid, den ein Mensch durch seinen Lebensstil in einem Jahr verursacht. Laut Umweltbundesamt liegt dieser in Deutschland pro Kopf bei 11,6 Tonnen verschiedener Treibhausgase, genannt CO²-Äquivalente. Um klimafreundlich zu leben und die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, müsste der Verbrauch auf unter eine Tonne pro Person und Jahr sinken. Auto- und Flugfasten, Fleischverzicht, Energie und Müll sparen, regional einkaufen – all das kann den Fußabdruck verringern. Juliane Gehmlich war fasziniert. Also startete sie mit ihrem Mann ein eigenes Projekt.

Mit der Plastedose zum Einkaufen

Inzwischen ist die 31-Jährige von ihrer Altbau- in eine Neubauwohnung gezogen. Sie nippt an einem Tee. Der kommt aus dem Unverpackt-Laden, in dem Lebensmittel lose zum Abfüllen angeboten werden. Das reduziert Verpackungsmüll. Für Gäste kocht die junge Frau auch Kaffee. Aufgebrüht wird er in einem Keramiktrichter samt Stofffilter aus Bio-Baumwolle. Aus dem Satz wird Gehmlich später ein Körperpeeling machen. Dafür brauche es zusätzlich nur ein paar Tropfen Olivenöl.

Wiederverwenden, Reste verwerten. Das klingt ein bisschen nach DDR. Nur die Blümchentapete und Schulterpolster fehlen. „Den Vergleich höre ich häufig“, entgegnet sie. „Auch dass ich mit dem Brotbeutel zum Bäcker und der Plastedose zum Einkaufen gehe, erinnert Ältere an früher.“ Was damals provisorische Notwendigkeit war, liegt heute im Trend. Dazu gehören für Gehmlich auch alternative Lebensmittel, wie Milch aus Hafer oder Smartphone-Apps, die Essen vor dem Müll retten.

Die Akademikerin dokumentiert dieses neue Lebensgefühl auf einem Blog. Es geht ihr darum, Ressourcen zu schonen, Nahrungsmittel und Konsumgüter sinnvoller zu nutzen und zu verzichten, wo es möglich ist. „Wir zeigen aber auch, wo wir an Grenzen stoßen.“

Das Ziel, umweltbewusster zu leben, verfolgt sie nicht allein. Spätestens seit dem Beginn von „Fridays for Future“ scheinen mehr Menschen Dinge im Alltag ändern zu wollen. Nur ein Indiz dafür: Allein 2019 haben in Deutschland über 40 neue Unverpackt-Läden eröffnet. Laut dem Branchenverband Unverpackt gibt es nun mehr als 190 Geschäfte, rund 180 weitere sollten in diesem Jahr folgen – ob das in der Pandemie so möglich sein wird, ist fraglich.

Unser Lebensstil findet viele Nachahmer

Klar ist allerdings: Immer mehr Menschen überprüfen jetzt, welche Schrauben sie in ihrem Leben drehen können, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Aber können kleine Schritte wie verpackungsfreies Einkaufen überhaupt etwas ändern? In Deutschland lebt rund ein Prozent der Weltbevölkerung – eine verschwindend geringe Zahl angesichts weit größerer CO²Produzenten wie China und den USA. Lohnt der Beitrag eines Einzelnen da überhaupt?

Eine Sonderrolle Deutschlands beim Klimaschutz beschreibt das Bundesumweltministerium. Denn auch wenn reine CO²-Emissionen seit 1990 maßgeblich gesunken sind, rangierten die Deutschen noch immer vorn im globalen Vergleich – als sechstgrößter CO²-Emittent hinter den bevölkerungsreichen Ländern China, USA, Indien, Russland und Japan. Auch der Pro-Kopf-CO²-Verbrauch eines Deutschen sei jährlich knapp doppelt so hoch wie der globale Schnitt – zumindest zu Nicht-Corona-Zeiten. „Könnten und würden sich alle Einwohner Chinas an Deutschland orientieren, würde die Erde kollabieren und Ökosystemfunktionen außer Kraft gesetzt“, so Marlen Arnold, Umweltökonomin an der TU Chemnitz. „Deshalb trägt Deutschland besondere Verantwortung. Unser europäischer Lebensstil wird ja auch in die Welt exportiert. Es ist zwingend, den Pro-Kopf-Verbrauch radikal zu mindern.“ Vielleicht lehrt Corona die Menschen nun, wie das gehen könnte.

Bis 2050 soll es einer Trendanalyse des Umweltbundesamts zufolge drei Milliarden mehr Mittelklasse-Konsumenten in asiatischen Schwellenländern geben. Diese übernehmen die Produktionsweisen und Konsummuster aus Industrienationen. Damit erklärt auch Klimaforscher Rainer Grießhammer die erforderliche Vorbildrolle Deutschlands. „Die Deutschen fahren SUV, reisen und fliegen viel, haben große Wohnungen, essen viel Fleisch. Viel davon überträgt sich. Darum muss man den Überflusskonsum reduzieren.“

Wie nachhaltig leben Sachsen? Fünf Beispiele:

Nachhaltigkeit bedeutet für mich nicht, alles 100 Prozent richtig zu machen. Das ist kaum umsetzbar. Dennoch versuche ich zum Beispiel, auf die Ernährung zu achten und nur zu kaufen, was ich wirklich benötige. So landet nichts im Müll. Ich verzichte auch überwiegend auf tierische Produkte, möchte aber Niemandem vorschreiben, wie er zu leben hat. Mir ist klar, dass es Personen gibt, die froh sind, überhaupt etwas zum Essen zu haben. Daher finde ich Fair-Teiler eine tolle Option, um Verschwendung zu vermeiden. In Chemnitz gibt es so eine Station. Lebensmittel, die übrig sind, werden abgegeben, andere können sie gratis abholen.“
Anne Fischer, Mitarbeiterin Universität, Chemnitz
Nachhaltigkeit bedeutet für mich nicht, alles 100 Prozent richtig zu machen. Das ist kaum umsetzbar. Dennoch versuche ich zum Beispiel, auf die Ernährung zu achten und nur zu kaufen, was ich wirklich benötige. So landet nichts im Müll. Ich verzichte auch überwiegend auf tierische Produkte, möchte aber Niemandem vorschreiben, wie er zu leben hat. Mir ist klar, dass es Personen gibt, die froh sind, überhaupt etwas zum Essen zu haben. Daher finde ich Fair-Teiler eine tolle Option, um Verschwendung zu vermeiden. In Chemnitz gibt es so eine Station. Lebensmittel, die übrig sind, werden abgegeben, andere können sie gratis abholen.“ Anne Fischer, Mitarbeiterin Universität, Chemnitz © privat
Für unseren Onlineversand nutzen wir versandfähige Kartonagen und Füllmaterial, welches wir von befreundeten Stollberger Unternehmen, manchmal auch von Kunden erhalten und sonst in der Tonne gelandet wäre. Dadurch sparen wir einen dreistelligen Betrag im Jahr und der Umwelt zusätzliche Belastung. Seit über zehn Jahren versenden wir unsere vielen Pakete klimaneutral, das heißt, wir führen eine Ausgleichsabgabe je Paket ab. Selbstverständlich ist für uns auch die Verwendung von recyceltem Umweltpapier für die geschäftliche Korrespondenz beziehungsweise Belege.“
Norman Schirmer, Unternehmer, Stollberg
Für unseren Onlineversand nutzen wir versandfähige Kartonagen und Füllmaterial, welches wir von befreundeten Stollberger Unternehmen, manchmal auch von Kunden erhalten und sonst in der Tonne gelandet wäre. Dadurch sparen wir einen dreistelligen Betrag im Jahr und der Umwelt zusätzliche Belastung. Seit über zehn Jahren versenden wir unsere vielen Pakete klimaneutral, das heißt, wir führen eine Ausgleichsabgabe je Paket ab. Selbstverständlich ist für uns auch die Verwendung von recyceltem Umweltpapier für die geschäftliche Korrespondenz beziehungsweise Belege.“ Norman Schirmer, Unternehmer, Stollberg © Kristin Schmidt
Mein Konsumverhalten habe ich in den letzten eineinhalb Jahren drastisch geändert. Ich liebte Shopping-Touren und das Gefühl des „Kauf dich glücklich“ war mir sehr vertraut. Bis zu dem Punkt, wo mich der ganze Besitz nur noch stresste und ich radikal begann, auszusortieren. Jetzt ist meine Kleidung Second-Hand oder Fair Fashion. Ich kaufe viel bei Gebraucht-Plattformen, wie Kleiderkreisel und Ebay Kleinanzeigen. Im Haushalt habe ich konventionelle Produkte durch Putz- und Waschmittel ersetzt, das ich selbst mache. Auch im Badezimmer setze ich auf Minimalismus – mit fester Seife und Naturkosmetik.“
Ulrike Pitzschke, Kundenberaterin, Dresden
Mein Konsumverhalten habe ich in den letzten eineinhalb Jahren drastisch geändert. Ich liebte Shopping-Touren und das Gefühl des „Kauf dich glücklich“ war mir sehr vertraut. Bis zu dem Punkt, wo mich der ganze Besitz nur noch stresste und ich radikal begann, auszusortieren. Jetzt ist meine Kleidung Second-Hand oder Fair Fashion. Ich kaufe viel bei Gebraucht-Plattformen, wie Kleiderkreisel und Ebay Kleinanzeigen. Im Haushalt habe ich konventionelle Produkte durch Putz- und Waschmittel ersetzt, das ich selbst mache. Auch im Badezimmer setze ich auf Minimalismus – mit fester Seife und Naturkosmetik.“ Ulrike Pitzschke, Kundenberaterin, Dresden © privat
Seit 15 Jahren versuche ich nach dem Motto „Gewinn durch Verzicht“ die Annehmlichkeiten der Moderne nicht voll auszuschöpfen. Das nützt unseren Nachkommen und mir persönlich. Denn Verzicht spart Zeit und Geld. Wenn ich nicht verschwitzt oder verstaubt bin, dusche ich nach alter Tradition nur einmal pro Woche. Im Sommer nutze ich dafür die primitive Solardusche im Garten. Ich wasche Wäsche nur, wenn sie wirklich schmutzig ist. Ich repariere viel und habe noch immer mein altes Handy. Statt dem Auto nutze ich für fast alle Besorgungen im Umkreis von 20 Kilometern mit Freude das E-Rad. Verzicht ist meist gesünder.“ Jochen Wenzbauer, Rentner, Glashütte
Seit 15 Jahren versuche ich nach dem Motto „Gewinn durch Verzicht“ die Annehmlichkeiten der Moderne nicht voll auszuschöpfen. Das nützt unseren Nachkommen und mir persönlich. Denn Verzicht spart Zeit und Geld. Wenn ich nicht verschwitzt oder verstaubt bin, dusche ich nach alter Tradition nur einmal pro Woche. Im Sommer nutze ich dafür die primitive Solardusche im Garten. Ich wasche Wäsche nur, wenn sie wirklich schmutzig ist. Ich repariere viel und habe noch immer mein altes Handy. Statt dem Auto nutze ich für fast alle Besorgungen im Umkreis von 20 Kilometern mit Freude das E-Rad. Verzicht ist meist gesünder.“ Jochen Wenzbauer, Rentner, Glashütte © Egbert Kamprath
Wir – das ist eine Familie mit Mutti, Vati, drei Kindern sowie zwei Enkeln – versuchen schon lange, unseren Lebensstil der Natur anzupassen und nicht umgekehrt. Zum Beispiel beim Thema Mobilität. Innerhalb der Stadt bewegen wir uns nur zu Fuß, mit dem Rad oder dem Stadtbus. Wir besitzen zwar ein Auto, aber in der Regel wird es nur einmal die Woche zum Einkauf bewegt. Wenn wir irgendwohin wollen oder müssen, schauen wir zuerst, ob wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können – auch wenn das deutlich umständlicher ist als mit dem Auto. Und: Wir fliegen nicht.“ Anja Hübner, Lehrerin, Zittau
Wir – das ist eine Familie mit Mutti, Vati, drei Kindern sowie zwei Enkeln – versuchen schon lange, unseren Lebensstil der Natur anzupassen und nicht umgekehrt. Zum Beispiel beim Thema Mobilität. Innerhalb der Stadt bewegen wir uns nur zu Fuß, mit dem Rad oder dem Stadtbus. Wir besitzen zwar ein Auto, aber in der Regel wird es nur einmal die Woche zum Einkauf bewegt. Wenn wir irgendwohin wollen oder müssen, schauen wir zuerst, ob wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können – auch wenn das deutlich umständlicher ist als mit dem Auto. Und: Wir fliegen nicht.“ Anja Hübner, Lehrerin, Zittau © Matthias Weber

Der langjährige Geschäftsführer des Freiburger Öko-Instituts pocht auf eine Symbiose aus individueller Verhaltensanpassung und politischem Umdenken. Denn: „Persönliche Änderungen im Leben fallen schwer, wenn Rahmenbedingungen nicht stimmen: Wenn man auf dem Land wohnt und auf das Auto angewiesen ist, weil der öffentliche Nahverkehr schlecht ist. Wenn es in der Kantine oder Kita nur fleischreiches Essen gibt.“ Dann brauche es Gesetze und Subventionen. Klar sei aber auch, gegen den Willen von 45 Millionen Autobesitzern und Dutzend Millionen Fleischliebhabern mache die Politik keine Gesetze. „Also muss man überzeugend für andere Visionen werben.“

Wissenschaftlerin Arnold betont zudem, dass jeder Konsument wesentlich schneller zu Ergebnissen kommen kann, als politische Entscheider oder Unternehmen. Ein gewisser Pioniergeist sei gefragt, um nachhaltige Lebensstile zu etablieren. „Zum Beispiel waren Bio-Lebensmittel vor 30 Jahren die reinste Nische. Konsumenten wurden als Ökofreaks abgestempelt. Jetzt liegt der Marktanteil in Deutschland relativ stabil bei fünf Prozent. Hätten Einzelne diese Kaufentscheidungen nicht bewusst getroffen, gebe es heute keine Bio-Ware in Discountern.“ Nicht zu unterschätzen sei auch der Einfluss von Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace, die im Interesse von Verbrauchern agierten. „Die Initiative hat etwa die Kampagne ,Detox‘ durchgesetzt. 79 globale Modemarken, darunter H&M, Adidas, aber auch Aldi, haben sich verpflichtet, bis 2020 Schadstoffe in Textilien durch ungefährliche Substanzen zu ersetzen.“ So würden Lieferketten etabliert, die Umweltstandards unterliegen und Kunden profitieren.

Auch für Juliane Gehmlich ist ihr kleiner Beitrag zum Klima durchaus entscheidend. „Letztens habe ich ein schönes Zitat gelesen: Wer nicht hinsieht, war trotzdem dabei.“ Das motiviert sie. Inwiefern die Umstellung des Lebens Verzicht und Einschränkung bedeutet, beantwortet sie differenziert. „Wir sind sehr inspiriert gestartet, deshalb fiel die Umstellung nicht schwer. Wenn dieser Anreiz aber fehlt, mag das alles anstrengend, zeitaufwendig und teurer wirken.“

Der Geiz der Deutschen

Vor allem eines dieser Vorurteile habe sich nicht bestätigt. Der größte Aha-Effekt ihres Nachhaltigkeitsjahres bisher: „Klimafreundlich zu leben, kostet nicht mehr.“ Um das zu veranschaulichen, führt Gehmlich in ihr Badezimmer. Hier stellt sie Deodorant aus Speisestärke, Natron, Kokosöl und ätherischen Ölen, wie Limette her. „So ein Deo reicht gut vier Monate und kostet in der Herstellung einen Euro. Ich spare auch Energiekosten, da ich weniger waschen muss, so gut hält das Deo. Oberteile kann ich zwei Tage länger tragen. Weniger Wäsche bedeutet wiederum weniger Waschpulver.“ So greife vieles ineinander.

„Wir sparen auch Geld durch Nichtkonsum. Wenn wir den Preis für teurere Bio-Produkte nicht zahlen wollen oder können, verzichten wir eben ganz. Außerdem planen wir besser, was wir brauchen, und machen weniger Spontankäufe.“ Dass es im Unverpackt-Laden zum Beispiel nur eine Sorte Haferflocken gibt, reduziere zusätzlich Stress. „Mir werden so Kaufentscheidungen abgenommen, und auf die Qualität kann ich mich trotzdem verlassen.“ Dennoch gibt Gehmlich auch zu: Eben weil es oft nur eine Sorte gibt, sind Dinge manchmal ausverkauft. „Dann sind wir auch mal genervt, weil wir noch woanders einkaufen oder uns mit einem nicht so guten Produkt zufriedengeben müssen.“ Nach einem anstrengenden Tag hadere man dann schon mal zwischen Hunger und ökologischem Gewissen. Schwierig werde es auch, wenn es draußen stürmt, nass und kalt ist. „Dann will man lieber das Auto nehmen, um zum Einkaufen zu fahren. Meistens können wir uns dann aber doch motivieren oder verlegen Einkäufe auf einen anderen Tag.“

Viele Deutsche würden in so einem Fall hingegen eher gewohnte Routinen verfolgen, erklärt Marlen Arnold. Denn Komfortzonen für mehr Umweltschutz zu verlassen, falle schwer. Gesellschaftliche und persönliche Muster hätten sich über Jahre verfestigt und ließen sich nicht mal eben so ändern. „Es gibt zum Beispiel eine Geiz-ist-Geil-Mentalität. Insbesondere wir Deutschen legen im europäischen Vergleich keinen Wert auf hochwertige Lebensmittel. Obst in Italien und Frankreich wird ganz anders gekauft – Geschmack und Qualität haben eine Wertigkeit.“ Auch gebe es ein Misstrauen gegenüber ökologischen Branchen. „Viele stellen sich die Frage: Was ist wirklich besser an Bio? Das hat damit zu tun, dass es immer wieder schwarze Schafe bei Unternehmen gab, die nach dem europäischen Bio-Siegel angebaut haben.“

Auch der Preis spiele eine Rolle. „Wenn ich billige Lebensmittel kaufe, habe ich Geld für weiteren Konsum übrig.“ Bemerkenswert: Laut Handelsverband war Shopping 2019 eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Deutschen. Zudem müsse laut Arnold der Zugriff auf alternative Produkte stimmen. „Etwa bei Textilien haben Studien gezeigt, das Fairtrade und Bio-Kleidung unmittelbar in der Einkaufsmeile im Angebot sein müssen, sonst kaufen Konsumierende konventionell.“ Am Ende fehle es schlichtweg auch an direkter Betroffenheit der Kaufenden. „Da greift das Motto: Was interessiert mich das Leid anderer, wenn ich es nicht direkt wahrnehme?“

Die Macht der Millennials

Ob sich nachhaltige Lebensstile durchsetzen, wird nicht zuletzt von Frauen abhängen. Ihre Kaufentscheidungen gewinnen durch steigende Einkommen und wachsende Beschäftigungszahlen an Bedeutung. „Sie wählen häufiger ökologische und regionale Lebensmittel, sie kaufen mehr Obst und Gemüse und ernähren sich häufiger vegetarisch“, heißt es im Trendbericht des Umweltbundesamts. Zudem gehört Gehmlich zur Generation der Millennials. Diese Gruppe legt laut Facebook-Trend-Report mehr Wert auf umweltbewussten Konsum. Als Topthema wurde aus Debattenbeiträgen deutscher Nutzer 2019 etwa pflanzenbasierte Ernährung durch Fleischersatzprodukte als Trend herausgefiltert. Und auch in Sachen Mobilität gelten die Millennials als Vorreiter. Zum Beispiel beim Carsharing. Damit ist gemeint, dass sich mehrere Menschen ein Auto teilen.

Gehmlich denkt bereits über den Umstieg nach. Derzeit stehe das Auto meist eh nur in der Tiefgarage. „Mein Mann hat sich für das Nachhaltigkeitsjahr ein gebrauchtes Mountainbike gekauft und erledigt damit viele Wege. Vorher ist er täglich zwölf Kilometer mit dem Auto zur Arbeit und wieder nach Hause gefahren.“ Der Zeitaufwand sei mit 25 Minuten in etwa derselbe, die monatlichen Kosten für die Autofahrt überschlägt Gehmlich hingegen mit rund 80 Euro. Im Vergleich dazu koste die Bahn im Monat zwischen 42 und 60 Euro, das Rad nichts, außer bei kleinen Reparaturen.

All diese Maßnahmen haben im Alltag tatsächlich etwas gebracht. Mit dem Klimarechner der Umweltstiftung WWF hat Gehmlich ihren CO²-Ausstoß berechnet. Vor dem Projekt lag dieser bei 11,8 Tonnen und damit sogar über dem deutschen Schnitt. „Heute kommen wir auf 8,3 Tonnen.“ Gerade der Umzug vom Altbau in den Neubau habe viel ausgemacht, „da wir nun in einem besser gedämmten Haus leben.“ Und der Verzicht auf Flugreisen. Auch wenn sie als junges Paar Zeit und Geld für Fernreisen hätten, entscheiden sie sich nun bewusst für gut erreichbare Ziele in der Nähe – und das auch schon vor Corona. Trotz vieler Anpassungen verbraucht das Paar dennoch rund fünf Tonnen mehr, als die globale Menschheit im Durchschnitt. „Wir versuchen, das über Baumpflanzprojekte und andere Kompensationen auszugleichen.“ Ein Argument, dass sich Klimafreundlichkeit lohnt, fällt Gehmlich noch ein: „Wir werden gesünder, allein durch mehr Bewegung, weil das Auto stehen bleibt.“ Und durch das fehlende Fast-Food.