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Tharandt: Die Uni für Waldretter

Wenn Bäume wirklich Gefühle haben, darf man sie dann noch absägen? Tharandt ist der Ort, wo Waldromantik auf Wissenschaft trifft.

Von Jörg Stock
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"Waldliebe ist nicht gleich Waldwissen." Forststudentin Anne Austen, hier mit ihrem Deutsch Langhaar Casimir, sagt, dass in der Gesellschaft in puncto Wald ein Kampf um die Wahrheit tobt.
"Waldliebe ist nicht gleich Waldwissen." Forststudentin Anne Austen, hier mit ihrem Deutsch Langhaar Casimir, sagt, dass in der Gesellschaft in puncto Wald ein Kampf um die Wahrheit tobt. © Daniel Schäfer

Casimir pubertiert. Ausgelassen buddelt er die Stachelkugeln einer Esskastanie aus dem Laub, die 200 Jahre alt und der dickste Baum im Forstbotanischen Garten von Tharandt ist. Lachend steht Anne dabei und beobachtet das Spiel ihres Deutsch Langhaar. Heute benimmt er sich mal wieder, als gäbe es keine Regeln. Aber das wird sich ändern. Noch dieses Jahr wird Casimir seine erste Treibjagd erleben.

Wenn in der Studentenbude ein Jagdhund wohnt und ein Gewehr im Schrank steht, liegt diese Bude wahrscheinlich in Tharandt und das Fach heißt Forstwissenschaften. So ist es bei Anne Austen. In der Saison kann es sein, dass sie fünfmal die Woche auf den Ansitz steigt. Und bald ist wieder Saison. Der Bock geht auf, sagt sie - Ende der Schonzeit fürs männliche Reh. Nach Monaten des Büffelns für die Prüfungen tut es gut, wieder draußen zu sein. "Ich freu' mich schon sehr drauf."

Geburtsort der geregelten Forstwirtschaft

Anne Austen, 29, wohnt im Badetal, in jenem Stück Tharandt, das ein Dokumentarfilm des MDR neulich "Tal der Waldretter" nannte. Hier liegt der Campus der TU-Fachrichtung Forstwissenschaften, ein Hotspot der Nachhaltigkeit. Die Mahnung des Bergbeamten Carlowitz von vor gut dreihundert Jahren, nur so viel Holz abzuhauen, wie nachwächst, begann Heinrich Cotta hier vor gut 200 Jahren in eine geregelte Forstwirtschaft zu übersetzen.

Aktuell sind gut 870 Studenten an der Fachrichtung eingeschrieben. Jährlich werden etwa 125 neue aufgenommen. Die Zahl der Interessenten für einen Studienplatz ist in den zurückliegenden drei Jahren stetig angestiegen. Zuletzt lag sie bei 476. Stephan Bonn, der Leiter der Fachrichtungsverwaltung, sagt, dass die jungen Leute nach Wegen suchten, die Welt nachhaltig zu verändern. Diese Chance biete ihnen das Grüne Studium. "Unsere Themen sind hip."

Der Campus der Forstwissenschaftler in Tharandts "Tal der Waldretter". Im Zentrum das Hauptgebäude mit Heinrich Cottas altem Lehrstuhl, dem Waldbau.
Der Campus der Forstwissenschaftler in Tharandts "Tal der Waldretter". Im Zentrum das Hauptgebäude mit Heinrich Cottas altem Lehrstuhl, dem Waldbau. © Norbert Millauer

Anne Austen hat die Chance ergriffen. Ihre zweite. Die erste Chance war die Soziologie. Das Diplom hat sie in der Tasche. Und sie will es auch nicht missen. Das Denken in gesellschaftlichen Zusammenhängen hilft ihr im Forststudium. "Es ist unmöglich, den Wald ohne Menschen zu denken."

Dabei gibt es Menschen, die überzeugt sind: Ein Wald ohne Mensch ist der beste. Das Baumsterben der letzten Jahre scheint ihnen recht zu geben. Anne Austen sieht einen "Battle of Truth" im Gange, einen Kampf um die Wahrheit, bei der sehr schnell sehr grob verallgemeinert werde. "Da heißt es dann, die Forstwirtschaft baut Mist", sagt sie. Das sei schade. "Weil es so nicht stimmt."

Der Wald ist im Gespräch, nicht erst seit weite Teile von ihm verdorrten oder vom Borkenkäfer zerfressen wurden. Die Bestseller des schreibenden Försters Peter Wohlleben nähren seit etwa sieben Jahren eine neue Waldromantik: Bäume, die ein geheimes Leben führen, die kommunizieren, Empfindungen haben, ja so gar ein Gedächtnis. Der Wald als Muster einer idealen Gesellschaft.

Anne Austen, die den Wald vor allem von Spaziergängen mit dem Familienhund kannte, hat diese Bücher auch gelesen und sich von ihnen einnehmen lassen. Als angehende Soziologin erforschte sie den Einfluss der neuen Waldromantik auf die Wahrnehmung der Forstwirtschaft und fand heraus: Der Förster hat ein Imageproblem.

Heinrich Cotta ist der Übervater aller Forstwissenschaftler. Hier seine Büste am Cotta-Platz im Tharandter Forstgarten.
Heinrich Cotta ist der Übervater aller Forstwissenschaftler. Hier seine Büste am Cotta-Platz im Tharandter Forstgarten. © Daniel Schäfer

Forstleute laufen Gefahr, als Feinde des Waldes zu gelten, die mit der Säge alles kaputt machen. Andererseits, sagt Anne Austen, wollten selbst die Kritiker auf Holzstühlen sitzen. Sie sagt "Schlachthaus-Paradox" dazu. Sie ist dafür, den Wald gut ausgebildeten Experten anzuvertrauen. Denn das muss selbst der enthusiastischste Forststudent schon im ersten Semester kapieren: "Waldliebe ist nicht gleich Waldwissen."

Wenn Waldliebe heißt, den Fortbestand des Waldes langfristig zu sichern, findet das Sven Wagner, Professor für Waldbau in Tharandt und damit Heinrich Cottas Nachfolger, ganz wunderbar. Wenn Liebe aber meint, das Bäume fällen aufzugeben, wird es problematisch. Schon jetzt wird in Deutschland mehr Holz verbraucht, als die heimische Forstwirtschaft bereitstellt, sagt er. "Wo soll denn unser Holz herkommen?"

Zu lange am "Brotbaum" Fichte festgehalten

Importiert wird schon jetzt. Doch wie Holz gewonnen wird, das ist Wagners Credo, lässt sich am besten in Deutschland selbst kontrollieren, durch die Förster, die Zertifizierer, die kritische Öffentlichkeit. Nein, er sieht absolut nichts Schlechtes in der Nutzung heimischer Wälder. "Nachhaltiger als in Deutschland wird Holz kaum irgendwo auf der Welt produziert."

Doch wieso geht es dem Wald nach 200 Jahren nachhaltiger Forstwirtschaft so schlecht? Sven Wagner führt das Beharrungsvermögen der Forstbetriebe an. Weil es mit den Fichten so lange so gut und so einträglich lief, blieb man dabei. Dabei habe sich die Wissenschaft seit wenigstens 150 Jahren auch andere Gedanken gemacht, etwa über den Nutzen von Mischwäldern. "Aber was sich nicht in Geld niederschlägt, ist schwer zu vermitteln", sagt der Professor.

"Auf verschiedene Pferde setzen." Forstprofessor Sven Wagner sieht in der kleinräumigen Mischung von Baumarten die Strategie für den Zukunftswald.
"Auf verschiedene Pferde setzen." Forstprofessor Sven Wagner sieht in der kleinräumigen Mischung von Baumarten die Strategie für den Zukunftswald. © Daniel Schäfer

Der zweite Grund ist der Klimawandel. Seit etwa fünfzig Jahren, sagt Wagner, wird dieser Prozess beobachtet und mehr und mehr verstanden. Die Bäume, die jetzt absterben, sind aber achtzig oder hundert Jahre alt. "Der Förster, der die mal gepflanzt hat, hatte keine Ahnung, dass sich das mal so entwickeln würde."

Wagner ist überzeugt: Sein Ahnherr Cotta würde es nicht glauben, wenn ihm einer erzählte, dass die Bedingungen an einem Standort von der Konstanz zum dynamischen System wechseln. Aber genau so kommt es offenbar. Und nicht nur das Klima verändert sich, sagt Wagner, auch die Böden und ihr Innenleben. "Da ist ganz viel in Bewegung."

Die Förster, die es gewohnt sind, in Generationen zu denken, stecken in der Klemme. Welche Baumart künftig die beste ist? Sie wissen es schlicht nicht mehr. Die Unsicherheit ist zu groß. Ein Rezept? Wird es nicht mehr geben, sagt Sven Wagner. Die Unsicherheit muss mit Vielfalt aufgefangen werden.

Also könnte der Wald in Zukunft so aussehen: Die Hauptbaumart, etwa Douglasie oder Eiche, stellt den Löwenanteil und wird von Mischbaumarten, die ökologisch verschiedene Ansprüche haben, flankiert und stabilisiert. Pionierbaumarten wie Birke, Lärche oder Vogelbeere helfen beim Neustart des Waldes, vor allem auf Kahlflächen. Auf verschiedene Pferde zu setzen - wenn man so will, ist das das neue Rezept, sagt Sven Wagner. "Und ein Pferd wird das Rennen machen."