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Auf der Jagd nach dem Schweinepest-Virus

Regelmäßig durchstreifen Suchtrupps den Wald. Für die Jäger ist das zuweilen ein Trauerspiel. In Kodersdorf wurde ein Schwein sehr nah am Ort entdeckt.

Von Frank-Uwe Michel
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Stefanie Loose und ihr Kadaversuchhund Toni gehörten mit zu dem Trupp, der in der vergangenen Woche bei Biehain nach verendeten Wildschweinen suchte.
Stefanie Loose und ihr Kadaversuchhund Toni gehörten mit zu dem Trupp, der in der vergangenen Woche bei Biehain nach verendeten Wildschweinen suchte. © André Schulze

Mitte vergangener Woche bei Biehain im Forst zwischen Wald- und Inselsee. Dort, wo sonst Wildschweine im Boden nach Fressbarem wühlen, schnüffeln Uschi, Babett und Toni zwischen den Bäumen hin und her. Die drei Kadaversuchhunde sollen verendetes Schwarzwild finden. Aber auch im Verein mit ihren Hundeführerinnen Michaela Botz, Gabriele Ott und Stefanie Loose bringt das an diesem Tag keinen Erfolg.

Der Freistaat Sachsen und speziell der Landkreis Görlitz, der wegen seiner Nähe zu Polen und dem von dort herübergeschwappten Eintrag des Schweinepest-Virus in die hiesigen Wildschweinbestände besonders betroffen ist, haben der Seuche schon seit Monaten den Kampf angesagt. Ausgefochten wird er mit den unterschiedlichsten Mitteln. Weil die aufgestellten Zäune entlang der Neiße und auch im Inland keinen ausreichenden Schutz vor der Ausbreitung infizierter Schweine bieten, wird zusätzlich gesucht und gejagt, um die Population so weit es geht einzudämmen und damit dem Virus die Grundlage zu nehmen.

Hundestaffeln suchen regelmäßig in den Wäldern

Fallwildsuchen wie vor ein paar Tagen rund um Biehain finden inzwischen aller zwei bis drei Wochen statt. Daran sind jeweils zwei bis drei Hundegespanne beteiligt, unterstützt vom Kreisforstamt und der lokalen Jägerschaft. Die Grünröcke haben momentan alle Hände voll zu tun. Heiko Sonntag, Jagdpächter in Kodersdorf und seit 30 Jahren in diesem Metier aktiv, bestätigt das. Die Lage sei noch nie so angespannt gewesen wie momentan.

Katrin Lattermann vom Kreisforstamt sowie Michaela Botz mit Uschi, Gabriele Ott mit Babett und Stefanie Loose mit Toni (von links) fanden bei ihrer Suche in der vergangenen Woche kein verendetes Wildschwein.
Katrin Lattermann vom Kreisforstamt sowie Michaela Botz mit Uschi, Gabriele Ott mit Babett und Stefanie Loose mit Toni (von links) fanden bei ihrer Suche in der vergangenen Woche kein verendetes Wildschwein. © André Schulze

In seinem Pachtgebiet ist der 58-Jährige regelmäßig mit bis zu acht weiteren Jägern unterwegs. Allein in den vergangenen knapp 14 Tagen haben sie in den Feldern bei Kodersdorf 36 Sauen und Keiler zur Strecke gebracht. Auslöser für die verstärkte Betriebsamkeit in diesem Bereich war der Fund eines mit der Afrikanischen Schweinepest (ASP) befallenen Wildschweins am 20. Juli, nicht weit von einem in Kodersdorf ansässigen Mastbetrieb entfernt. Dass der Fall ernst war, daran lässt Sonntag keinen Zweifel: "Alarmstufe rot! So ging der Anruf der Unteren Jagdbehörde bei uns Jagdpächtern ein. Mitten im Dorf, vielleicht 100 Meter von den Toren des Unternehmens entfernt, war eine sichtbar kranke Wildsau im angrenzenden Gehöft tot umgefallen."

Und er schildert, wie es weiterging: "Das Kreisveterinäramt übernahm die Führung, potenziell Betroffene und Akteure trafen sich zur Krisensitzung." Die Jäger säßen bei solchen Aktionen fest mit im Boot. Denn würde das Virus den Weg in den Hausschweinbestand finden, hätte das gravierende Folgen - nicht nur für den Kodersdorfer Betrieb, sondern für sämtliche Schweinehalter in Sachsen. Deshalb wird die Jagd noch am selben Tag rund um den Ort verschärft. Landwirte häckseln Schneisen in den mannshohen Mais, zusätzliche Hochsitze werden aufgestellt. Das in den Nachtstunden vom Gewerbegebiet herüber scheinende Licht hilft den Jägern. "Es reicht, um die Tiere mit dem Gewehr ordentlich zu fixieren", erklärt Heiko Sonntag. Generell fühlen sich Wildschweine jetzt in den Feldern besonders wohl. Zuerst Raps, momentan Mais - sie schlagen sich den Bauch voll, bis die Schwarte kracht. Oder ein Schuss der Völlerei ein Ende macht.

Geringe Akzeptanz für Jagd in der Bevölkerung

"Je weniger Sauen ihre nächtliche Runde ziehen, desto größer ist die Erfolgschance, das Virus von den Hausschweinbeständen fernzuhalten", ist der Kodersdorfer überzeugt. Seit reichlich einem Jahr stellen die Jäger dem Borstenvieh unter Ausnahmebedingungen hinterher. Da kommt so ein Alarm zwar nicht unerwartet, aber unpassend wie jeder Alarm. "Die meisten von uns stecken im Arbeitsprozess, sind im Urlaub oder haben aktuell eigene jagdliche Brennpunkte vor der Brust", erklärt Sonntag das zwiespältige Gefühl seiner Standeskollegen. Zumal die Pflichten der Jäger immens zugenommen hätten, die Akzeptanz für dieses Hobby bei den Menschen aber nicht mitgewachsen sei.

Erprobte Informationsstrukturen über Jagdverband, Hegeringe, auch WhatsApp-Gruppen helfen, die Wildschweinjagd innerhalb weniger Stunden in Gang zu bringen. Am Abend liegen neun Schwarzkittel auf der Strecke - vom drei Kilo leichten Frischling bis zum 150 Kilo schweren Keiler. Für Heiko Sonntag und seine Kollegen geht es danach stramm weiter: "An den nächsten beiden Tagen sind weitere 13 Wildschweine nur 1.000 Meter entfernt vom Fundort der infizierten Sau gefallen."

Kein Kontakt zwischen Wild- und Hausschwein

Für den Landkreis Görlitz sind solche Aktionen inzwischen fast Routine. Denn: "Im gesamten Kreisgebiet befinden sich Hausschweinhaltungen in unterschiedlichen Entfernungen zu den aktuellen Seuchenherden", erklärt Dr. Udo Mann. Die Distanz spiele hinsichtlich des Eintragsrisikos keine vordergründige Rolle, so der stellvertretende Amtstierarzt. Entscheidendere Kriterien seien Zäune, Personalhygiene und die Überwachung des Verkehrs in den Mastanlagen. "Dies muss funktionieren, damit das Virus nicht indirekt eingeschleppt wird." Dass ein infiziertes Wildschwein direkt in Kontakt mit einem Hausschwein kommt, sollte bei legalen und gemeldeten Schweinehaltungen ausgeschlossen sein, sagt der Experte.

Ein vom Veterinäramt beauftragtes Bergeteam transportiert Wildschweine ab. Die Jäger bekommen zwar eine Prämie für jedes geschossene Tier. Dennoch schmerzt es viele, für den Container zu töten.
Ein vom Veterinäramt beauftragtes Bergeteam transportiert Wildschweine ab. Die Jäger bekommen zwar eine Prämie für jedes geschossene Tier. Dennoch schmerzt es viele, für den Container zu töten. © privat

Tote Wildschweine suchen und Schwarzkittel gezielt bejagen ist gleichermaßen aufwendig und zeitintensiv. Das weiß auch der Landkreis. "Kranke Tiere suchen meist schwer zugängliche Stellen, oft im feuchten, sumpfigen Terrain, auf. Das gesunde Schwein dagegen ist aufgrund seiner Intuition und des schnellen Reaktionsvermögens eine schwierige Beute", so Dr. Mann. Die Entnahme von Wildschweinen vor einer Infektion - also der gezielte Abschuss - sei allerdings die strategisch bessere Variante. Das zeigt auch ein Blick auf die Zahlen. Denn: Noch werden mehr Tiere gesund erlegt als tot gefunden. Aber: Jedes 20., vermeintlich gesunde geschossene Schwein im gefährdeten Gebiet ist mit dem Schweinepest-Virus infiziert. Laut dem stellvertretenden Amtstierarzt liegt die Quote der infizierten Tiere beim Fallwild - also den gemeldeten Totfunden - bei rund 60 Prozent. Bei den gesund erlegten beträgt sie nur sechs Prozent. Seit der Entdeckung des ersten ASP-Falles im Landkreis Görlitz am 1. November 2020 wurden bis jetzt 1.485 Tiere auf das Virus untersucht. Bei 339 davon war das Ergebnis positiv (Stand: 26. Juli).

Um der zunehmenden Zahl toter Wildschweine Herr zu werden, hat der Landkreis in Lodenau und Krauschwitz zwei Bergestützpunkte eingerichtet. Hinzu kommt eine Koordinationsstelle in Löbau. Zum überwiegenden Teil werden die beiden Bergezentren von Mitgliedern Freiwilliger Feuerwehren betreut. Sie fahren auf Anforderung dorthin, wo Tiere tot gefunden oder geschossen wurden.

Jäger schmerzt es, für den Container zu töten

Für die Jäger ist die momentane Lage nicht leicht zu verkraften. Jagdpächter Heiko Sonntag: "Wir erhalten für den Abschuss zwar eine Prämie. Dennoch schmerzt es, für den Container zu töten." Laut Dr. Mann beträgt die Aufwandsentschädigung für jeden erlegten Schwarzkittel derzeit 150 Euro - wenn er darauf verzichtet, das Tier selbst zu verwerten. Dies kommt allerdings kaum in Betracht, denn die Bestimmungen sind hier sehr eindeutig. Zwar kann der Jäger Eigenbedarf geltend machen. Allerdings wird dazu ein negatives Untersuchungsergebnis gebraucht. Bis dies eintrifft, muss das geschossene Schwein kühl gelagert werden. Fällt der Virusnachweis doch positiv aus, muss das Tier beseitigt und die Kühlkammer aufwendig gereinigt werden. Auch deren restlicher Inhalt ist dann zu entsorgen.