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Stürzt der Bürgermeister über Vorzeigeprojekt?

In Hähnichen ist der Unmut über die geplante Eisenbahnteststrecke Tetis groß. Jetzt soll sogar der amtierende Bürgermeister abgewählt werden.

Von Steffen Gerhardt
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Hähnichen liegt an der Bahnstrecke Cottbus-Zittau.
Hähnichen liegt an der Bahnstrecke Cottbus-Zittau. © André Schulze

Wenn die Eisenbahnteststrecke nördlich von Niesky kommen sollte, dann ist davon auch die Gemeinde Hähnichen betroffen. Das hat sich inzwischen unter den Einwohnern herumgesprochen. Mit Halb- oder gar keinem Wissen über das Projekt lassen sie ihrem Unmut freien Lauf. Ihren Protest machen sie nicht nur auf selbst gefertigten Plakaten deutlich, sondern auch in der jüngsten Sitzung des Gemeinderates.

Im Kreuzfeuer der Kritik steht Jürgen Schubert, stellvertretender Bürgermeister und seit Dezember kommissarischer Bürgermeister, nachdem Bürgermeister Werner Queiser aus dem Amt ausgeschieden ist. Am 25. April soll ein neuer Bürgermeister für Hähnichen gewählt werden. Die Bürgerschaft wirft Schubert vor, hinter ihrem Rücken das Teststreckenprojekt, kurz Tetis genannt, voranzutreiben und sie womöglich vor vollendete Tatsachen zu stellen. "Nichts davon ist wahr", sagt Schubert gegenüber der SZ. Der Trebuser hält den Unmut für übertrieben und plädiert für eine vernünftige Klärung. "Wir wissen nicht, wo es langgeht", sagt er über seinen eigenen Kenntnisstand. Seit der Informationsveranstaltung im Dezember in Niesky gibt es keine neuen Erkenntnisse und Informationen zu diesem Vorhaben.

Bäume sollen bereits markiert sein

Diese Unwissenheit macht es schwierig, vernünftige Argumente der Gerüchteküche entgegenzusetzen. Angeblich soll die Streckenführung schon festgelegt und die Bäume, die dafür weichen müssen, markiert sein. "Ich habe in den Wäldern danach gesucht, aber nichts gefunden, was darauf hindeutet", entgegnet Jürgen Schubert. Aber so etwas setzt sich schnell in den Köpfen der Menschen fest. Er selbst ist für diese Investition, auch wenn es dafür bisher keinen genannten Betreiber gibt und die Planung erst noch beginnen muss. "Was ist uns hier an Wirtschaft geblieben?", fragt sich Schubert. Deshalb sollte die Region diese Chance für sich nutzen. "Das ist keine schlechte Sache!"

Tetis lässt inzwischen den Gemeinderat in zwei Lager auseinanderfallen: Fürsprecher und Gegner. Das ist auf der Februar-Sitzung deutlich geworden. Hinzu kommt das Misstrauen gegenüber dem Bürgermeister das darin gipfelt, einen Antrag auf seine Abwahl zu stellen. Fünf Räte, also die Hälfte des Gemeinderates, stimmten dafür. In der März-Sitzung soll dazu der Beschluss gefasst werden. Für Gemeinderat Heiko Tietze (AfD) sind dabei mehrere Dinge zusammengekommen, die ihn für den Antrag stimmen ließ: "Mehrfach sind Beschlüsse vom Gemeinderat durch den Bürgermeister nicht umgesetzt worden. Er hat aber auch keinen Einspruch dagegen eingelegt". Das Fass zum Überlaufen brachte die Absichtserklärung zu diesem Bahnprojekt. Mitte Januar unterzeichneten Freistaat, Landkreis und die Kommunen Niesky und Hähnichen eine gemeinsame Erklärung. Mit dieser soll dem neuen Eisenbahntestzentrum die Initialzündung zur Planung gegeben werden.

Gemeinderat ist zweigeteilt

Im Gemeinderat wirft man Jürgen Schubert nun vor, diese Erklärung im Alleingang unterzeichnet zu haben. Gemeinderat und Bürgermeisterkandidat Heiko Tietze: "Ich hatte ihm dazu abgeraten, weil das eine zu weittragende Geschichte ist. Zudem schlug ich vor, eine Sondersitzung vorab einzuberufen, um die Meinung der Räte anzuhören. Aber nichts von dem fand statt." Stattdessen erfuhr Heiko Tietze zuerst aus der Zeitung, dass auch die Gemeinde Hähnichen diese Absichtserklärung unterzeichnet hat.

Heiko Tietze hat nichts gegen das Projekt. "Arbeitsplätze werden gebraucht", sagt er. Es aber mitten in unberührter Natur zu verwirklichen, hält er für problematisch. "Ich sehe da mehr Risiken als Chancen." Vor allem fehlt ihm die Transparenz bei dem Vorhaben. Das vermisst ebenfalls Matthias Zscheile, der als Bürger an der Ratssitzung teilnahm und sich als Einzelkandidat für das Bürgermeisteramt aufstellte. "Seit 2018 ist diese Eisenbahnteststrecke im Gespräch - und was ist bis heute bekannt? Nicht viel", sagt er zur SZ. Der Trebuser lehnt ebenfalls das Vorhaben pauschal nicht ab, aber er möchte gern mehr darüber wissen. Deshalb ist er der Nieskyer Bürgerinitiative "Tetis" beigetreten, um mit diesem Gremium mehr Offenheit und Klarheit zu diesem Projekt zu bekommen. Seine Vermutung ist, dass es bereits weiter vorangetrieben ist, als der Öffentlichkeit bekannt ist.

Investoren nicht verschrecken

Bürgermeister Jürgen Schubert sieht die Gefahr, "dass wir vorab etwas zerreden, worüber wir noch keine klaren Kenntnisse haben". Er befürchtet, dass ein Investor sich nicht in einer Gegend niederlässt, in der er nicht gern gesehen ist. "Dann geht er woanders hin", ist sich Schubert sicher. Immerhin, so die Potentialanalyse der Zukunftswerkstatt Lausitz, sollen 270 Millionen Euro für die Teststrecke ausgegeben werden. Aber nicht vom Land oder dem Bund, sondern von einem Betreiber. Das Vorhaben "Testzentrum für Eisenbahntechnik in Sachsen" (Tetis) wurde bereits 2018 in die Verhandlungen der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" und letztlich in die Verhandlungen zum Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen eingebracht. Laut ersten Entwürfen soll das Testzentrum in den nächsten Jahren auf einer Fläche von 45 Hektar mitten im Wald nördlich von Niesky entstehen. Dort sollen auf einem 20 Kilometer langem Oval Eisenbahnen und Waggons getestet werden.

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