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Kundgebung in Pirna: „Eine Demokratie braucht gute, wehrhafte Demokraten“

Rund 1.000 Menschen demonstrieren auf dem Markt unter dem Motto „Pirnas ist bunt“ für Solidarität und Offenheit – aus einem ganz speziellen Anlass.

Von Thomas Möckel
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Kundgebung am Dienstag in Pirna: Die Solidarität ist stärker als der Hass.
Kundgebung am Dienstag in Pirna: Die Solidarität ist stärker als der Hass. © Mike Jäger

Klaus Peter Elgner vom Verein "CSD Pirna" sitzt am Dienstagabend auf einer Bank am Pirnaer Markt, in der Hand hält er mehrere Blätter Papier. Er wird gleich eine Rede halten, alles ist notiert, jeder Satz ist ihm wichtig, er will eine besondere Botschaft vermitteln. Elgner ist Mitglied eines Vereins, der sich für die Interessen von LGBTQ-Menschen einsetzt. Es gebe viel Redebedarf, sagt Elgner, vor allem gelte es jetzt, an die Vernunft zu appellieren.

Seit 13 Jahren, so lange gibt es den Verein, arbeite man nun daran, den rechten Ruf Pirnas loszuwerden. Der „CSD Pirna“, sagt Elgner, sei der erste derartige Verein in einer Kleinstadt gewesen, ebenso der erste, für den der frühere Pirnaer Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke (parteilos) zum jährlichen CSD-Tag die Regenbogenflagge vor dem Rathaus hissen ließ.

Doch nun ist das alles anders, unter dem neuen Oberbürgermeister Tim Lochner (für die AfD) wird es diese Flagge auf dem Markt nicht mehr geben, er lehnt diese Symbolik ab, das hat er schon mehrfach bekräftigt. Auch darüber hinaus befürchte der Verein Nachteile, sagt CSD-Vereinschef Christian Hesse, man wisse ja nicht, was dem Rathauschef, der von der AfD nominiert wurde, noch alles einfalle. Daher sollten die Menschen genau überlegen, bei wem sie zur Kommunalwahl am 9. Juni ihr Kreuz machen. Das will Elgner gleich sagen, vor ganz vielen Zuhörern.

Christian Hesse (l.), Klaus Peter Elgner vom CSD-Verein: "Wir stehen für Toleranz, Respekt und Solidarität."
Christian Hesse (l.), Klaus Peter Elgner vom CSD-Verein: "Wir stehen für Toleranz, Respekt und Solidarität." © Mike Jäger

Zeichen setzen gegen Hass, Hetze und Faschismus

Der CSD-Verein ist Mitglied im großen Netzwerk „Solidarisches Pirna“, dem viele Akteure der Pirnaer Zivilgesellschaft angehören, am Dienstagabend hat das Bündnis zu einer großen Kundgebung unter dem Motto „Pirna ist bunt“ aufgerufen. Es geht darum, ein deutliches Zeichen zu setzen für Offenheit und Solidarität, für Respekt und Toleranz, gleichsam auch gegen Rechtsextremismus und die AfD. Die hauptsächlich von Schülern, ehemaligen Schülern und Azubis aus dem Landkreis gegründete Initiative „SOE gegen Rechts“ hat die Demonstration federführend organisiert, unterstützt von Kirchgemeinden, Gewerkschaften, Vereinen, Wohlfahrtsverbänden, Parteien und Unternehmen aus Pirna.

Anlass für die Kundgebung war Lochners Vereidigung als Oberbürgermeister in der Stadtratssitzung am Montag. Der 54-Jährige war für die AfD angetreten, er soll einmal gesagt haben, dass ihn von dieser Partei inhaltlich gar nichts trenne. „Rückwärtsgewandte, einfache Lösungen, die rechtsextreme Parteien wie die AfD in Sachsen anbieten, gefährden unsere Gesellschaft. Sie helfen nicht bei der Bewältigung aktueller Herausforderungen, sondern schüren Angst, Abwehr und Hass“, sagt Bärbel Falke von Bündnis 90/Die Grünen.

Daher müssten alle gemeinsam vor der Haustür schauen, so die Initiatoren, wo die rechtsextreme Post abgehe, um dem Einhalt zu gebieten und Zeichen gegen rechte Hetze, Hass und Faschismus zu setzen. Jeder, der Mensch geblieben ist, sagt eine Rednerin, müsse gegen Faschismus sein. Etwa 1.000 Menschen sind zu der Kundgebung gekommen, die Veranstalter sind überwältigt davon. So etwas, sagt eine der Organisatorinnen, habe der Markt lange nicht mehr erlebt.

Demonstrieren für Menschenrechte: Catrin Sitas (l.), eine in Dohna lebende Hamburgerin, und Belen Paz y Mino aus Ecuador sind zur Kundgebung nach Pirna gekommen.
Demonstrieren für Menschenrechte: Catrin Sitas (l.), eine in Dohna lebende Hamburgerin, und Belen Paz y Mino aus Ecuador sind zur Kundgebung nach Pirna gekommen. © Mike Jäger

Kampf gegen Rechts braucht einen langen Atem

Auf der Bühne wechseln sich Redebeiträge und Musik ab, Carsten Ullrich vom Hofladen am Markt grillt Würstchen, Geschäftsinhaber hatten ihre Läden früher geschlossen, um zur Kundgebung zu kommen. Die Band „Skrab“ intoniert französischen Hip-Hop, später dann noch zwei Lokalmatadoren, DJ Louis aus Pirna und Chakülan aus Dresden, präsentieren die deutschsprachige Variante, die Menge hüpft im Bass-Rhythmus. Zwischendurch erschallen immer wieder Rufe wie „Alle zusammen gegen Faschismus“ und „Alerta, alerta, antifascista“. Die Solidarität, sagt ein Redner, sei stärker als der Hass.

Er sei vor allem als Bürger von Pirna hierhergekommen, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Fabian Funke, als einer, der sich Sorgen mache um die Stadt. Sorgen, weil es einen Oberbürgermeister gebe, der für eine rechtsextreme Partei angetreten sei. „Daher finde ich es schön, dass wir alle ein Zeichen setzen für Offenheit und Demokratie“, sagt Funke, „und damit zeigen, dass Pirna auch bunt ist.“

Ina Richter vom Verein „Roter Baum“ sagt auf der Bühne, der Kampf gegen Rechts sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Man sei sich bewusst, dass es dafür einen langen Atem brauche. „Daher müssen wir immer wieder zeigen, wie vielfältig Pirna ist“, betont sie. Demokratie heiße auch, sich nicht einschüchtern zu lassen. Solange sich die Demokraten einig seien, habe der Faschismus keine Chance. „Genau deswegen stehen wir hier“, sagt sie.

Rocken die Bühne: DJ Louis (l.) aus Pirna und Chakülan aus Dresden.
Rocken die Bühne: DJ Louis (l.) aus Pirna und Chakülan aus Dresden. © Mike Jäger

Polizei-Aufgebot sichert Kundgebung ab

Kurz vor 19 Uhr hat dann Klaus Peter Elgner seinen Auftritt. Er sei traurig und besorgt, sagt er, wie weit die Region nach Rechts gerückt sei. Aber das sei gerade jetzt ein guter Grund, aufzustehen und sich dagegen zu erheben. Man wolle sich nicht von Spaltung und Hass leiten lassen, sondern stehe für Toleranz, Respekt und Solidarität. „Und wir werden dafür kämpfen“, sagt Elgner, „wofür wir stehen.“ Die Menge applaudiert lange.

Dieser Kampf, sagt Christina Riebesecker vom Verein „AG Asylsuchende SOE“, sei derzeit nötiger denn je. Denn eine Demokratie brauche gute, wehrhafte Demokraten. Auch CSD-Vereinschef Christian Hesse bekräftigt, man werde weiter kämpfen. „Wir lassen uns vom neuen Oberbürgermeister nicht unterkriegen“, sagt er, „und wir lassen uns auch von niemandem das kaputtmachen, was wir aufgebaut haben.“ Es gelte das Motto: Jetzt erst recht.

Insgesamt 75 Polizisten waren bei der Kundgebung im Einsatz, die Kräfte der Polizeidirektion wurden dabei von der Bereitschaftspolizei unterstützt. Nach Aussage eines Polizeisprechers seien den Beamten während des Einsatzes keine Straftaten bekanntgeworden, die Versammlung sei störungsfrei verlaufen. Laut der Polizei fand nach dem Ende der Kundgebung eine Spontanversammlung statt, die als Aufzug von der Polizei über die Schuhgasse, Dohnaische Straße, Grohmannstraße, Gartenstraße und Brückenstraße bis zum Bahnhof begleitet wurde.

Am Rande dieser Spontandemo stellte die Beamten 16 Identitäten fest, allerdings aus präventiven Gründen. Zu Bedrohungen oder Zwischenfällen sei es nicht gekommen. Auch am Bahnhof registrierte die Polizei keine Straftaten. Die Spontanversammlung sei nach Auskunft der Polizei gegen 19.35 Uhr am Bahnhof beendet worden, die Teilnehmer seien ohne Zwischenfälle mit der S-Bahn abgereist.