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OB-Vereidigung in Pirna: Der doppelte Schwur des Rathauschefs

Tim Lochner (für die AfD) hat seinen ersten Stadtrat geleitet, Eid und Verpflichtung geleistet. Abgeordnete werfen ihm dabei Doppelzüngigkeit vor.

Von Thomas Möckel
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Formeller Akt: Stadtrat Bernd Kühnel (Freie Wähler, r.), nimmt OB Tim Lochner (für die AfD) Amtseid und Verpflichtung ab.
Formeller Akt: Stadtrat Bernd Kühnel (Freie Wähler, r.), nimmt OB Tim Lochner (für die AfD) Amtseid und Verpflichtung ab. © Mike Jäger

Zur Märzsitzung des Pirnaer Stadtrates ist vieles anders als sonst, Herderhalle statt großer Ratssaal im Rathaus, Montag statt Dienstag. Thema und angekündigtes Interesse erfordern einen größeren Raum, der nur am Montagabend noch frei war. Die Polizei ist sehr präsent an diesem Abend, am Hintereingang der Halle stehen zwei große Einsatzbusse, vor der Halle parken Streifenwagen, auch auf dem nahegelegenen Aldi-Parkplatz haben sich Beamte positioniert.

Drinnen in der Halle sind Stühle zu Sitzreihen zusammengeschoben, davor Tische zu einem großen Karree, dort nehmen gleich die Abgeordneten Platz. Einige Plätze sind reserviert, für die Presse, für Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Auch darüber hinaus ist das Interesse groß, es sind Befürworter und Sympathisanten gekommen, aber auch Gegner, gut 200 Menschen verfolgen die Sitzung, die in mehrfacher Hinsicht eine besondere ist.

Es ist die erste öffentliche Ratssitzung, die der neue Oberbürgermeister Tim Lochner (für die AfD) leiten wird. Lochner war am 17. Dezember 2023 zum neuen Rathauschef gekürt worden, sein Amt trat er am 26. Februar an. Ein formeller Akt stand noch aus, in der Märzsitzung wird er vereidigt und verpflichtet. Widerspruchsfrei bleibt das nicht, in der Öffentlichkeit sind teils heftige Debatten entfacht. Das hat auch mit früheren Aussagen Lochners zu tun.

Großes Interesse: Etwa 200 Menschen, darunter auch etliche Rathaus-Mitarbeiter, verfolgen die Sitzung am Montagabend in der Herderhalle.
Großes Interesse: Etwa 200 Menschen, darunter auch etliche Rathaus-Mitarbeiter, verfolgen die Sitzung am Montagabend in der Herderhalle. © Mike Jäger

Abgeordnete hadern mit Lochners Stadtrats-Kandidatur

Kurz nach halb sechs betritt Lochner die Herderhalle, dunkler Anzug, weißes Hemd, krawattenfrei, er schreitet zielsicher zu seinem Platz, begrüßt andere Räte. Wenig später sitzt er vornüber gebeugt an seinem Tisch, blättert im Order mit den Sitzungsunterlagen, schaut ab und an auf die Uhr. Wenige Minuten vor Sitzungsbeginn wird es ganz still in der Halle, nur Geflüster ist zu hören, die Blicke sind gen Podium gerichtet.

Punkt 18 Uhr eröffnet der Rathauschef die Sitzung, begrüßt die Anwesenden und auch die regionale Presse sehr herzlich, er liest einige Formalien vom Blatt vor sich ab. Die offizielle Begrüßung, sagt er, hebe er sich für seine Antrittsrede auf, die er nach der Vereidigung halten möchte. Nach ein paar formellen Punkten geht es dann um ihn, Bürgermeister Markus Dreßler (CDU) übernimmt derweil die Sitzungsleitung. Lochner lobt ihn später dafür, dass er ihn mehr als würdig vertreten habe.

Zunächst gilt es, Lochners bisherige Stadtratsmitgliedschaft abzuwickeln. Wer OB ist, darf laut sächsischer Gemeindeordnung nicht zugleich Stadt- oder Gemeinderat sein - zumindest nicht in der von ihm geleiteten Stadt oder Gemeinde. Doch schon dieser Punkt birgt gehöriges Konfliktpotenzial. Lochner hatte an seinem ersten Arbeitstag angekündigt, bei der Kommunalwahl am 9. Juni für den Stadtrat zu kandidieren – wohl wissend, dass er das Mandat nicht annehmen darf. Aber das sächsische Wahlrecht lässt ein solches Prozedere zu, das haben schon mehrere Rathauschefs andernorts so praktiziert.

Doch die Kritik daran bleibt nicht aus. Dass Lochner angekündigt habe, für den Stadtrat zu kandidieren, sagt Ralf Wätzig, Chef der Fraktion "Bündnis 90/Die Grünen/SPD", halte er für eine Farce, daher werde sich die Fraktion bei der Abstimmung enthalten. Auch Linke-Fraktionschef Tilo Kloß hadert mit Lochners Kandidatur-Ankündigung. In diesem Fall, sagt Kloß, sei das sogar noch einen Zacken schärfer, da Lochner seine Stadtratskandidatur bekanntgegeben habe, noch bevor er als OB vereidigt wurde.

Protestzeichen: Ina Richter (Die Linke, vorn Mitte) sitzt mit einem Aufkleber des Bündnisses "Pirna ist bunt" in den Zuschauerreihen.
Protestzeichen: Ina Richter (Die Linke, vorn Mitte) sitzt mit einem Aufkleber des Bündnisses "Pirna ist bunt" in den Zuschauerreihen. © Mike Jäger

Grüne werfen Lochner Doppelzüngigkeit vor

Es folgt die Vereidigung, Eid und Verpflichtung nimmt Stadtrat Bernd Kühnel (Freie Wähler) ab, der Stadtrat hatte sich in der Vergangenheit grundsätzlich darauf geeinigt, dass diese Aufgabe der an Lebensjahren älteste Abgeordnete übernimmt. Doch davor gibt es massive Kritik. Sebastian Gilbert (Bündnis 90/Die Grünen) wirft dem Rathauschef vor, Lochner habe einmal geschworen, dass er mit diesem Staat, dieser Regierung und den Medien abgeschlossen habe. Nun aber müsse er auf die Verfassung schwören und Gilbert fragt: "Welcher Schwur soll jetzt gelten?"

Lochner entgegnet, ein Schwur gelte immer. Seine Wählbarkeit sei bescheinigt, er sitze behördlich geprüft vor den Stadträten. Maria Giesing (Bündnis 90/Die Grünen) sagt wiederum, Lochner verpflichte sich als Rathauschef gegenüber allen Pirnaern. Gleichwohl zeige die AfD eine deutliche Ablehnung gegenüber einigen Gruppen. Sie bleibe daher angesichts seines Schwurs skeptisch. Darauf Lochner: Diese Sorge werde er ihr nicht nehmen können. Gilbert warf Lochner daraufhin vor, er starte doppelzüngig ins Amt.

Es folgt die Vereidigung, die Eidesformel spricht Lochner mit der Beteuerung "So wahr mir Gott helfe", die Verpflichtung danach ohne diesen Zusatz. Danach eilen Gratulanten nach vorn, es gibt Blümchen, einige Fraktionen bleiben allerdings sitzen. Mitglieder der Bündnisse "Solidarisches Pirna", "SOE gegen Rechts" und "Pirna ist bunt", die als Gäste anwesend waren, hatten während der Vereidigung geschlossen den Raum verlassen.

Ein Novum: Erstmals in jüngerer Zeit wurde eine Pirnaer Stadtratssitzung von einem größeren Polizeiaufgebot flankiert.
Ein Novum: Erstmals in jüngerer Zeit wurde eine Pirnaer Stadtratssitzung von einem größeren Polizeiaufgebot flankiert. © Mike Jäger

Lochner entschuldigt sich für Loyalitätsprüfung-Ansage

Lochner beginnt die weitere Sitzung mit einer Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags in Moskau, unter Punkt sieben "Bericht des Oberbürgermeisters" hält Lochner seine angekündigte Antrittsrede. Er wünsche sich, sagt er, ein kollegiales Ringen um gute Lösungen für Pirna. Schwerpunktmäßig wolle er den jahrelangen Stillstand in Sachen Kulturstätte beenden, den Neubau des Bauhofes angehen und sinnvolle Rekommunalisierungen, aber auch Auslagerungen prüfen. Zudem wünsche er sich und allen eine Amtszeit ohne verheerendes Hochwasser und dass der kommende Stadtrat von tragischen Todesfällen wie in der noch laufenden Legislatur verschont bleibt.

Und letztendlich widmet er sich einem Thema, das bundesweit für Schlagzeiten sorgte. Lochner hatte am Wahltag in einem Fernseh-Interview angekündigt, er wolle die Rathausmitarbeiter auf Loyalität prüfen. Darauf seien Zeter und Mordio hereingebrochen, Medien hätten darüber im Panikmodus getitelt. "Ich tätigte beim ersten öffentlichen Statement nach meiner Wahl die Aussage, dass ich die Loyalität der Bediensteten unserer hochgeschätzten Stadtverwaltung, erforschen wollen würde", liest Lochner von seiner Erklärung ab.

Doch die Kolleginnen und Kollegen des Rathauses hätten den Sirenengesängen mit überwältigender Mehrheit widerstanden, was ihm schon Beweis ihrer Loyalität genug gewesen sei. "Aber im Ernst: Das Missverständnis, zu dem ich mich an dieser Stelle ohne Relativierung oder Verharmlosung bekennen möchte, bekennen muss, lag in der Fehlwahrnehmung, zu der ich sicherlich fahrlässig und mit unbedachter Zunge beigetragen habe. Dass unser aller Treueverpflichtung nicht dem Stadtoberhaupt, sondern ausschließlich der Stadt selbst zu gelten hat. Und genau so war ausschließlich und vollständig auch gemeint", sagt er weiter. Danach bekräftigt er nochmals: "Alle Bediensteten dürfen weiterhin, sofern nicht erstmals, ihre freie Meinung über mich, wie über alles andere ebenso, behalten und selbstverständlich auch äußern, auch auf Demonstrationsveranstaltungen jedweder Couleur."