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Sie machen Pirnas "Säxfilm" zum Hit: Seiltänzer, Ossimutter und Knöllchenfee

Der neue Werbestreifen der Stadt hat Fans und Feinde. Vor allem hat er massig Klicks, auch wegen der besonderen Orte und Leute, die darin vorkommen.

Von Jörg Stock
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Für "Pirna ist Säx!" geht Ruben Langer über Pirnas Gottleubatalbrücke, obwohl die noch mitten im Bau steckt. Mit einer Highline schließt er die Lücke.
Für "Pirna ist Säx!" geht Ruben Langer über Pirnas Gottleubatalbrücke, obwohl die noch mitten im Bau steckt. Mit einer Highline schließt er die Lücke. © Centre Films

Wie läuft man über eine Brücke, die noch gar nicht fertig ist? Auf einem zwei Zentimeter schmalen Band aus Hochleistungsfasern. Viel mehr als das und ein paar Freunde, die Spezialisten im Aufbau einer schwebenden Querung, genannt Highline, sind, braucht Ruben Langer nicht für das Kunststück. So sah man den 28-jährigen Bauingenieur kurz vor Weihnachten 2023 über Pirnas Gottleubatal schreiten, wahlweise auch hängen, kopfüber, wie eine Fledermaus, unter sich fünfzig Meter Luft.

Gesehen haben das nur wenige. Die Aktion sei geheim gehalten worden, sagt Ulrich Gawlas, Bauoberleiter an Pirnas Südumfahrung und somit auch an der Baustelle der Gottleubatalbrücke. "Sonst wäre die Hölle los gewesen." Er spricht von einer absoluten Ausnahme, die man der Stadt Pirna zuliebe gemacht habe.

Genau genommen für die AG Stadtmarketing. Deren Chef Robert Körner hat die Produktion des neuen Werbefilms für Pirna geleitet: "Pirna ist Säx!" Seit vier Wochen steht der Streifen im Netz und geht auf die 70.000 Klicks zu. Der AG-Leiter ist hochzufrieden mit dem Gang der Dinge. "Für das, was wir vorhaben, ist das ein absoluter Gewinn."

Die Stadtwerber wollen mehr junges Publikum nach Pirna holen. Eine Zielgruppe, die Selbstironie sympathisch findet, so die Hoffnung. Deshalb nimmt der Streifen Pirnas Macken schonungslos aufs Korn. Nicht alle mögen das. Die original Kommentare gehen von "so richtsch geil gelungen" bis "niveaulos und keinen Cent Steuergeld wert". Robert Körner schätzt den Anteil positiver Stimmen auf immerhin 80 Prozent. "Welche Partei hat 80 Prozent Zustimmung?"

"Die absolute Ausnahme." Seil-Artist Ruben Langer balanciert von Pfeiler 30 aus zum Anfang der unfertigen Gottleubatalbrücke.
"Die absolute Ausnahme." Seil-Artist Ruben Langer balanciert von Pfeiler 30 aus zum Anfang der unfertigen Gottleubatalbrücke. © Centre Films

Ob hot oder Schrott - dass "Pirna ist Säx!" zum Klickhit wird, liegt wohl auch daran, dass die Macher vom Studio Centre Films populäre Pirnaer Orte mit markanten Menschen in Szene setzen. Dazu gehört die Gottleubatalbrücke. Aktuell wird der stählerne Unterbau der gut 900 Meter langen Querung über das Tal geschoben. Die Spitze der Konstruktion hängt zurzeit über dem Kohlbergstadion.

Die Idee der Filmleute, eine Highline von da bis zur nächsten Stütze über etwa siebzig Meter Distanz zu spannen und darauf für die Kamera spazieren zu gehen, hat Ruben Langer sofort begeistert. Er betreibt den Extremsport seit zwölf Jahren, hat deutlich längere Bänder über deutlich größeren Tiefen begangen. Nie zuvor aber hatte er auf einer unfertigen Brücke balanciert. Und Brücken waren im Studium sein Spezialgebiet.

Abhängen überm Pirnaer Kohlbergstadion: Ruben Langer macht auf seiner Highline die Fledermaus.
Abhängen überm Pirnaer Kohlbergstadion: Ruben Langer macht auf seiner Highline die Fledermaus. © Centre Films

An der Uni hatte Student Langer eine Exkursion zur Gottleubatalbrücke seinerzeit verpasst. Beim Dreh holte er den Ausflug intensiv nach. "Diesen Stahlkoloss aus der Nähe zu sehen, war schon beeindruckend", sagt er. Und auch anstrengend. Etwa sechs Meter betrug der Höhenunterschied zwischen den Ankerpunkten der Leine. "Da wird es am Ende richtig steil."

Fünfmal lief Ruben Langer die Strecke hin und zurück. Spektakulärer Höhepunkt: der "Bat Hang", also die Fledermausposition. Eine Minute lang hielt sich der Artist nur mit den Zehen am Seil fest. Spätestens da war es mit der Geheimhaltung vorbei. Robert Körner hat von dem einen oder anderen besorgten Anruf bei den Ordnungskräften gehört. "Feuerwehr und Polizei waren natürlich eingeweiht."

DDR-Mode in Mutters Kleiderschrank entdeckt

Gleich bei der Brückenbaustelle liegt ein weiterer Drehort des Säxfilms. Regisseur Eric Schmidt zog mit seinem Stab ins DDR-Museum, um die Sequenz "Diese Stadt ist zeitlos schön" ironisch zu gestalten. Die mehr als 100.000 Exponate beeindruckten den Filmemacher nachhaltig. "Diese Zeit hatte schon Stil und einen ganz einzigartigen Charme."

"Mirko, mache hin!" In der 1970er-Jahre-Küche des DDR-Museums hat Dina Stiebing für ihren Filmsohn das Essen angerichtet.
"Mirko, mache hin!" In der 1970er-Jahre-Küche des DDR-Museums hat Dina Stiebing für ihren Filmsohn das Essen angerichtet. © Centre Films

Das galt auch für die Hauptrolle. Dina Stiebing, Projektleiterin bei Pirnas Citymanagement, spielte zwischen Küchenmöbeln aus den 1970ern eine treusorgende Mutter, die dem verpennten Spross Mirko das Essen auftischt. Für ihr Kostüm hatte sie die Schränke der Familie durchstöbert und originale Anziehsachen aus der DDR entdeckt. "Ich sah von oben bis unten sehr gut aus", feixt sie.

"Wir haben sehr viel gelacht." Für den Dreh war Dina Stiebing komplett in die Mode der DDR gekleidet.
"Wir haben sehr viel gelacht." Für den Dreh war Dina Stiebing komplett in die Mode der DDR gekleidet. © privat

Was auf den Teller kam, hat Dina Stiebing tatsächlich selbst zubereitet. Zum Verzehr gedacht war der gelbliche Brei, eine Mischung aus Kartoffelpüree vom Vortag und aufgequollenen Chiasamen, allerdings nicht. "Er sollte nur möglichst unappetitlich aussehen." Für die Urpirnaerin war der Dreh eine lustige Reise in die Vergangenheit. Sie möchte, dass über den Film gelacht wird. "Lachen macht das Leben leichter."

Ein Breakdance-Pionier steckt im Funkloch

Weiter ins Stadtzentrum: Das leerstehende Traditionslokal "Weißes Roß" alias Volkshaus wurde zur Fahrradwerkstatt, wo der Meister mit einem Funkloch ringt. Bis aufs Dach muss er mit seinem Handy sprinten, um Empfang zu kriegen. Eine Kleinigkeit für Heiko "Hahny" Hahnewald, der den Schrauber mimt. Mit bald 58 Jahren ist er vermutlich der älteste vollprofessionelle Breakdancer Deutschlands.

"Dieser Empfang hier wieder!" Breakdance-Oldie Heiko Hahnewald spielt im leeren "Weißen Roß" einen Fahrradschrauber ohne Netz."
"Dieser Empfang hier wieder!" Breakdance-Oldie Heiko Hahnewald spielt im leeren "Weißen Roß" einen Fahrradschrauber ohne Netz." © Centre Films

Für die Rolle hat ihn das Filmteam verpflichtet, wohl wissend um Hahnys dynamische Natur. Der Meißner, der 1984 mit dem Breakdance anfing und damals auch im Pirnaer Hanno tanzte, besitzt Filmerfahrung, etwa als Komparse beim Polizeiruf, tourt mit den "Skyliners" über die Bühnen des Landes und wird regelmäßig zum Thema Breakdance in der DDR interviewt.

Ein paar Moves hat Hahnewald im "Weißen Roß" auch gemacht. Die Szene passte aber dann doch nicht ins Konzept, sagt Regisseur Eric Schmidt. Das verlassene Gasthaus lobt er als perfekten Drehort - mit unerwarteten Spezialeffekten: "Während der Dreharbeiten platzten hier und da ein paar der hundert Leuchtstoffröhren", sagt er. "Das hat uns immer mal aufschrecken lassen."

Wenn das Leuchtfeuer auf der Platte brennt

Der größte Star des Films steht auf dem Sonnenstein. Er ist 50 Meter hoch. Die Kamera zeigt, wie Jugendliche den Wolkenkratzer, Beiname "Haus Pfaffenstein", entern und in Etage 17 ein Banner mit der Parole "Pirna ist Säx!" entrollen. Dazu zünden sie bengalische Fackeln und machen den Betonklotz zum rosaroten Leuchtturm.

Ein Wolkenkratzer zeigt Flagge: Dieses elf Meter lange Banner wurde im 17. Stock vom Sonnensteiner "Haus Pfaffenstein" entrollt.
Ein Wolkenkratzer zeigt Flagge: Dieses elf Meter lange Banner wurde im 17. Stock vom Sonnensteiner "Haus Pfaffenstein" entrollt. © Centre Films

Das Banner, sechs Meter breit und elf Meter lang, wurde, für die Drohnenkamera unsichtbar, von Komparsen gehalten und gesichert. Regisseur Schmidt erinnert sich, dass die Zeit an jenem Abend drängte. Die Sonne war schon fast verschwunden. "Wir hatten nur einen Versuch."

Der Versuch glückte, wobei die 200 Menschen, die in dem Hochhaus leben, weiter besten Ausblick aus ihren Fenstern hatten. Der Stoff wehte an einem Etagenbalkon, also an der den Wohnungen abgewandten Seite. "Die Mieter waren nicht direkt betroffen", sagt Sören Sander von der Städtischen Wohnungsgesellschaft. Anders als der Nachbarblock am Varkausring, dessen Abriss beschlossen ist, hat das "Haus Pfaffenstein" Zukunft. "Die Sonnensteiner finden den Sonnenstein gut", sagt Sander. "Und können sich gar nicht vorstellen, woanders zu wohnen."

Hübsch gefälscht: die pflichteifrige Politesse

Der Abspann ist schon durch, da bringt "Pirna ist Säx!" einen letzten Lacher. An der Ecke Lange Straße/Dohnaische Straße, einem für überfällige Kurzparker brandgefährlichen Pflaster in Pirnas Altstadt, pappt eine Politesse schadenfroh frische Tickets unter die Scheibenwischer: Herzlich willkommen in Pirna! Das gefällt. "Die Schlussszene ist besonders gelungen", steht in der Kommentarspalte. Eine hübsche Frau und ein hässliches Knöllchen. "Gegensätze ziehen sich halt an."

"Ich liebe es, in Rollen zu schlüpfen." Isabelle spielt bei "Pirna ist Säx!" eine pflichtbewusste Politesse.
"Ich liebe es, in Rollen zu schlüpfen." Isabelle spielt bei "Pirna ist Säx!" eine pflichtbewusste Politesse. © Centre Film

Die hübsche Politesse ist gar keine Politesse. Die Uniform war eine Leihgabe vom Ordnungsamt, sagt Isabelle. Die 33-jährige Pirnaerin, die im Gesundheitswesen arbeitet, wurde vom Citymanagement zu dem Gastspiel überredet. Erst hatte sie ein bisschen Schiss, sagt sie, dass die Rolle sie ins falsche Licht rückt. Aber das sei ja offensichtlich nicht passiert. "Da bin ich ganz froh drüber."

Isabelle in Zivil: Auf Instagram erzählt sie aus ihrem Alltag. Am liebsten ist sie, wie hier, in der Sächsischen Schweiz unterwegs. Oder an der Ostsee.
Isabelle in Zivil: Auf Instagram erzählt sie aus ihrem Alltag. Am liebsten ist sie, wie hier, in der Sächsischen Schweiz unterwegs. Oder an der Ostsee. © privat

Isabelle liebt das Schauspielern. Ihren Instagram-Account bestückt sie regelmäßig mit Videoschnipseln aus ihrem Leben. Mehr als 30.000 Follower interessieren sich dafür, obwohl es nichts Spektakuläres oder Glamouröses zu sehen gibt. Nur den ganz normalen Alltagswahnsinn einer Alleinerziehenden mit Vollzeitjob. Die Abwechslung als Knöllchenfee fand sie gut, wie überhaupt den ganzen Film. Man versteht ihn, wenn man Humor hat, sagt sie. "Und davon habe ich genug."