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Hot oder Schrott: Pirnas Säxfilm wird zum Klick-Hit

Im neuen Video des Stadtmarketings scheint Pirna ein miefiges Provinznest zu sein. Das erhitzt die Gemüter - mit Absicht.

Von Jörg Stock
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Nicht perfekt, aber immer leidenschaftlich - so ist Pirna, sagen die Macher des neuen Markenfilms. Oder anders ausgedrückt: "Pirna ist Säx!"
Nicht perfekt, aber immer leidenschaftlich - so ist Pirna, sagen die Macher des neuen Markenfilms. Oder anders ausgedrückt: "Pirna ist Säx!" © AG Stadtmarketing /Screenshot SZ

Sie tauchten auf, mit einer Platte Stahlblech und einem Kärcher, legten das Metall auf den Boden, ballerten reichlich Wassernebel darauf und verschwanden wieder. Zurück blieb, ausgefräst aus der Patina des Gehsteigs, ein Mysterium, ein QR-Code und eine Parole: Pirna ist Säx!

Streetbranding, also Graffiti, die man durch Schablonen im Straßenstaub erzeugt, zählt zu den Methoden des Guerillamarketings, Werbebotschaften, die dem Adressaten unerwartet, quasi überfallartig, in die Quere kommen. Oftmals hinterlassen sie keinen Absender, nur die Neugier: Was soll das?

Spannung aufbauen war die Absicht von Robert Körner, Chef der Arbeitsgruppe Stadtmarketing, als er unlängst mit seinen Leuten durch Pirna zog und an zirka fünfzig Stellen die Kärcher-Nachricht anbrachte. "Es sollte nicht offensichtlich sein, woher das kommt." Wohin es führt, war vorerst auch nicht ersichtlich. Wer die Kästchen mit dem Handy scannte, bekam eine leere Website mit Countdown zu sehen.

Erfinder des Säxfilms: Pirnas Marketingstratege Robert Körner (l.) mit Regisseur Eric Schmidt (M.) und Geschäftsführer Felix Rossberg von Centre Films.
Erfinder des Säxfilms: Pirnas Marketingstratege Robert Körner (l.) mit Regisseur Eric Schmidt (M.) und Geschäftsführer Felix Rossberg von Centre Films. © Daniel Schäfer

Am 23. Februar zwölf Uhr Mittags lief der Countdown ab. Er startete Pirnas neuen Markenfilm: "Eine Stadt zwischen Vorurteilen und Säx-Appeal" heißt er, oder kurz: "Pirna ist Säx!" Das gut vierminütige Video zeigt Pirna so, wie es viele schon einmal erlebt haben, aber wie es die wenigsten erwartet hätten, zumal in einem Reklamestreifen.

Denn Pirna führt sich als miefiges Kaff auf. Die Bürger pullern in die Gassen, lassen Müll und Hundehaufen liegen und essen nichts als Döner. Leute, die irgendwie anders sind, werden schief angeglotzt, Reporter vollgepöbelt. Wer nicht gerade gegen irgendwas demonstriert, hängt besoffen im Park herum. Selbst die Kleinkinder finden es hier scheiße. Resümee der Filmstimme: Pirna ist fürn Arsch. "Alles provinzielle Hinterwäldler!"

Also was soll das? Pirna hat doch schon einen Imagefilm. Der ist erst vier Monate alt und lässt die Kamera durch die adrette Altstadt sausen, durch schöne Wohnungen und emsige Ratsstuben, vorbei an fleißigen Händlern und Esstischen ohne Fastfood. Die Straßen sind sauber, die Kinder sind glücklich, die Welt ist heil. Zu heil?

Robert Körner, der Stadtwerber, sagt, dass die beiden Filme zwei verschiedene Paar Schuhe sind, mit denen man das Ziel, "Image" und "Marke" Pirnas zu stärken, erreichen will. Der Imagefilm, sagt er, ist gemacht, um die Zielgruppe, junge Familien mit Kindern, in die Stadt zu locken, zum Arbeiten, zum Wohnen, zum Urlaub machen. "Das ist ein Film, der gefallen soll."

"Pirna ist Säx" hingegen soll Fragen aufwerfen, nicht zuletzt bei den Pirnaern selbst. Sie sollen nachdenken, was ihre Stadt ausmacht, und darüber reden. Das braucht Aufmerksamkeit. Der Markenfilm, sagt Robert Körner, darf keinem Zuschauer egal sein. Er müsse "im besten Sinne polarisieren", in Begeisterte und Abgestoßene. So werde Viralität erreicht, die Ausbreitung der Diskussion im Netz.

Der Plan scheint aufzugehen. Binnen zwei Wochen haben über 30.000 Leute den Film angeklickt. Tendenz stark steigend. Für ein städtisches Werbevideo eine beeindruckende Zahl. Zum Vergleich: Die brave Variante vom Pirna-Film konnte seit Oktober nur gut 9.000 Klicks sammeln, wobei laut Robert Körner ein Sprung von 500 Klicks auffällt, seit der Säxfilm da ist. Offenbar wollen viele Zuschauer noch mehr über Pirna wissen.

Nur Döner macht Pirna schöner? In Wahrheit hat die Stadt eine außerordentlich vielfältige Gastroszene.
Nur Döner macht Pirna schöner? In Wahrheit hat die Stadt eine außerordentlich vielfältige Gastroszene. © SEP/Screenshot: SZ

"Pirna ist Säx" ist als Parodie angelegt. Robert Körner will mit dieser Taktik die Leute rausreißen aus einer, wie er meint, viel zu pessimistischen Stimmung und einer Weltsicht, die nur noch schwarz und weiß kennt. Die Zwischentöne seien weggerutscht, die Gespräche verebbt. Wie kriegt man Menschen wieder zusammen? "Am besten über Humor."

Missstände offensiv aufzugreifen, soll Pirnas Humor beweisen und damit, so der Kommunikationsprofi, auch eine gewisse Stärke. Die Überspitzung der Klischees ist als Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, die Vorzüge der Stadt wahrzunehmen. "Wenn die Leute sagen, so schlimm ist es doch gar nicht, dann haben wir unser Ziel erreicht."

Die Vorzüge der Stadt scheinen im zweiten Teil des Videos durch. Man sieht Bobfahrer Friedrich durch die Eisrinne düsen, bewundert von Laienspielern des Pirnaer Retter-Vereins. Es wird Motocross gefahren, Handball und Basketball gespielt, es wird getanzt, gelacht, geknutscht. Zum Finale steht ein Wolkenkratzer von Pirna-Sonnenstein mit bengalischen Fackeln und Säx-Banner in der Nacht, als Leuchtturm gegen die Tristesse.

Mit Bier an der Busi: Marketingmann Körner mimt im Film einen ziemlich homophoben Zeitgenossen.
Mit Bier an der Busi: Marketingmann Körner mimt im Film einen ziemlich homophoben Zeitgenossen. © SEP/Screenshot: SZ

Die Produktion des Films hat, wie schon beim vorangegangenen Steifen, das Studio Centre Films aus Radebeul besorgt. Das Budget für beide Filme betrug insgesamt rund 25.000 Euro. Regisseur und Drehbuchschreiber Eric Schmidt hat sehr gute Erinnerungen an die Filmarbeiten zu "Pirna ist Säx", speziell an die Darsteller. Bis auf ein, zwei Schauspieler seien das alles ganz normale Leute gewesen. "Großes Lob, dass das so gut funktioniert hat."

Gemessen am provokanten Inhalt ist der Regisseur angenehm überrascht von den bisherigen Reaktionen des Publikums. "Wir hatten damit gerechnet, dass es einiges an Gegenwind gibt", sagt er. "Tatsächlich kam mehr Positives als gedacht."

Zumindest die Kommentare im Netz lesen sich überwiegend wohlwollend: "super nice" und "einfach geil". Robert Böhme, Pirnas langjähriger Marketingstratege, schrieb von seinem neuen Arbeitsplatz als Kommunikationsfachmann der Stadt Hoyerswerda an die Adresse Pirnas: "Chapeau. Das ist modernes Marketing."

"Schöne Bilder kann jeder drehen." Filmemacher und Marketingchef hoffen auf weiter steigende Klickzahlen für "Pirna ist Säx".
"Schöne Bilder kann jeder drehen." Filmemacher und Marketingchef hoffen auf weiter steigende Klickzahlen für "Pirna ist Säx". © SZ/Jörg Stock

Aber es gibt auch andere Stimmen. So empört sich Wolfgang Bieberstein, Pirnas dienstältester Stadtführer, über den "Vulgär-Jargon" des Streifens. "Der Versuch, Pirna etwas Positives abzugewinnen, wird von Unappetitlichkeiten im Urin ertränkt." Auch andere befürchten eine fatale Außenwirkung des Films.

Dass sich die Zuschauer schockiert abwenden, hält Regisseur Schmidt für wenig plausibel. Die genannten Probleme, sagt er, gebe es doch mehr oder weniger überall. Wichtig sei der Mut, sie anzusprechen. Damit werde Pirna bei den Leuten ankommen. "Schöne Bilder kann jeder drehen", sagt er. "Die sind eher ein Grund abzuschalten."