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Debatte um Pirnas Säxfilm: Marketing-Coup oder Demütigung?

Im Netz gibt es viel Lob für das neue Werbevideo von Pirna. Die analogen Bewertungen fallen aber teils vernichtend aus.

Von Jörg Stock
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Ein Wildpinkler in Pirnas Gassen, hier nur gestellt für "Pirna ist Säx!" Der Groll, den der Film bei einigen Bürgern erzeugt, ist indes sehr real.
Ein Wildpinkler in Pirnas Gassen, hier nur gestellt für "Pirna ist Säx!" Der Groll, den der Film bei einigen Bürgern erzeugt, ist indes sehr real. © SEP/Screenshot: SZ

Der Pirn'sche Nachtwächter zürnt: "Ich lehne jegliche Äußerung zu diesem Machwerk ab!" Am liebsten würde Wolfgang Bieberstein gar nichts sagen über Pirnas neuen Markenfilm. Aber das fällt ihm schwer. Bieberstein, 75, ist Pirnas dienstältester Stadtführer. Seit 35 Jahren wandert er mit Touristen durch die Gassen, 23 davon als Nachtwächter. Er liebt Pirna. Deshalb kann er nicht an sich halten. "So einen Schrott in die Welt zu setzen, ist eine Demütigung unserer Pirnaer!"

Seit dem 23. Februar hat Pirna ein neues Werbevideo. Unter dem Titel "Pirna ist Säx!" haben die Macher vom Stadtmarketing Pirnas Macken aufgegriffen und überspitzt in Szene gesetzt. Da werden Hauswände bepullert und Straßen vermüllt, es wird gepöbelt und gemotzt und zu viel Alkohol getrunken. Parken ist aussichtslos und auch schön shoppen scheitert. Nur beim Dönerladen läuft es blendend.

Robert Körner, Chef der AG Stadtmarketing und Erfinder des Slogans "Pirna ist Säx!", will den Film als Anlass zum Diskutieren verstanden wissen, vor allem für die Einwohner selbst. In einer Zeit, in der sich viel zu viel negatives Denken breit mache, müsse man sich wieder mehr auf Pirnas Vorzüge besinnen, sagt er. Der Film solle polarisieren, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Das jedenfalls haut hin. In gut zwei Wochen hat "Pirna ist Säx!" mehr als 40.000 Klicks im Internet eingefahren, davon allein 10.000 letztes Wochenende. Im Gegensatz dazu muss sich Pirnas Hochglanzwerbespot "Sandstein voller Leben", der seit Oktober 2023 online steht, mit bislang gut 9.000 Aufrufen begnügen.

Im Netz wird der Säxfilm ganz überwiegend positiv kommentiert. Sich selbst auf die Schippe nehmen zu können, finden viele sympathisch. So schreibt Nicole aus Dresden bei Youtube: "Wow, richtig cool! Eure Werbung greift voll. Mögt ihr uns vielleicht eingemeinden?" Ines hingegen ärgert sich via Facebook: "Das ist totaler Mist, kein Sinn für unsere schöne Stadt." Also hot oder Schrott? Sächsiche.de hat sich umgehört:

Dem Nachtwächter platzt der Kragen

"Pfui Teufel!" Touristenführer Wolfgang Bieberstein empfindet Pirnas neuen Werbespot als Demütigung für die Stadt.
"Pfui Teufel!" Touristenführer Wolfgang Bieberstein empfindet Pirnas neuen Werbespot als Demütigung für die Stadt. © Daniel Förster

Der Urpirnaer Wolfgang Bieberstein kann das Lob der Internetgemeinde - er selbst hält sich von Smartphones fern - überhaupt nicht nachvollziehen. "Ich bin ein alter Mann", sagt er. "Ich passe wahrscheinlich nicht mehr in die Zeit." Allerdings sei jeder, mit dem er über den Film gesprochen habe, einfach nur entsetzt gewesen. "Wem so etwas gefällt, der tut mir leid."

Was Bieberstein, der seine Zielgruppe unter den Kulturmenschen sieht, vor allem stört, ist, dass die Stadt im Vulgär-Jargon angeboten werde, "sich an Fäkalsprache weidend". Da helfe es auch nicht, dass im Gegenzug einige der guten Seiten Pirnas gezeigt würden. "Von dem Schmuddelstreifen bleibt beim Betrachter hernach nur das 'Scheiße' brüllende Kind und der urinierende Mann in seiner ekeligen Lache hängen."

Die Optikermeisterin sucht den Witz

"Bei mir kommt der Witz nicht an." Optikermeisterin Annegret Stein nennt "Pirna ist Säx!" eine Fehlinvestition.
"Bei mir kommt der Witz nicht an." Optikermeisterin Annegret Stein nennt "Pirna ist Säx!" eine Fehlinvestition. © SZ/Jörg Stock

Die Brille trägt sie vor allem, weil sich ein schickes Nasenfahrrad nun mal gehört für eine Augenoptikermeisterin. Aber auch mit Brille hat Annegret Stein, Chefin des gleichnamigen Optik-Studios an Pirnas Breiter Straße, den Sinn von "Pirna ist Säx!" nicht ausmachen können. "Bis zum Schluss des Films habe ich gewartet, dass es eine Aufklärung gibt", sagt sie. Wenn das witzig gemeint gewesen sei, so habe das nicht funktioniert. "Der Witz ist bei mir nicht angekommen."

Dabei stimmt die Geschäftsfrau durchaus überein mit den Filmemachern, dass in Pirna einige Dinge schieflaufen. Nur sei ein Werbefilm der falsche Weg, um daran zu arbeiten. Für Außenstehende seien das keine schönen Bilder. "Das tut mir richtig weh, wenn ich das sehe und weiß, es sieht ein Fremder." So gibt sie dem Streifen eine glatte 6. "Eine Fehlinvestition."

Die Schülersprecherin mag die Partyszenen

Findet schlechte und gute Seiten im Film: Vivien Rücker, Schülersprecherin des Pirnaer Schiller-Gymnasiums.
Findet schlechte und gute Seiten im Film: Vivien Rücker, Schülersprecherin des Pirnaer Schiller-Gymnasiums. © privat

Vivien Rücker ist nicht aus Pirna, aber jeden Tag hier. Die 18-Jährige aus Struppen lernt am Schiller-Gymnasium und ist dort Sprecherin der weit über 800 Schüler. Auch sie denkt bei "Pirna ist Säx!" zunächst an potenzielle Gäste. "Wenn ich mir dieses Video als Tourist anschaue und nicht weiß, dass es ironisch gemeint ist, gibt das leider kein gutes Bild von Pirna und zieht mich auch nicht nach Pirna."

Speziell der erste Teil des Films, in dem es unappetitlich zugeht, stößt sie ab. Was danach kommt, findet sie besser, den Sport und das Party-Machen der Jugend. Dass man in Pirna auch feiern könne, sei im vorigen Imagefilm gar nicht vorgekommen. "Aber wenn mich das Video am Anfang schon nicht anspricht, würde ich es auch nicht zu Ende anschauen", sagt sie. "Das bedeutet, das Gute kommt nicht zur Geltung und der schlechtere Teil bleibt im Gedächtnis."

Vereinssprecher fände eine Fortsetzung gut

"Ein Film zur richtigen Zeit." Ronny Zimmermann, Pressechef beim VfL Pirna-Copitz, kann sich sogar eine Fortsetzung vorstellen.
"Ein Film zur richtigen Zeit." Ronny Zimmermann, Pressechef beim VfL Pirna-Copitz, kann sich sogar eine Fortsetzung vorstellen. © privat

Wie kommt der Film auf Pirnas anderer Elbseite an? Ronny Zimmermann, 33, wohnt seit eh und je dort, im Stadtteil Jessen. Was es heißt, große Institutionen medial zu vertreten, weiß er ganz genau. Zimmermann, der seit Kindesbeinen Fußball spielt, hatte Jobs beim Deutschen Fußballbund und bei Dynamo Dresden und ist heute Pressesprecher des VfL Pirna-Copitz, des mit über 1.000 Mitgliedern größten Vereins der Stadt.

"Der Film kommt genau zur richtigen Zeit", sagt der Sportjournalist. Er findet den Ansatz der Filmemacher legitim. "Mit seiner selbstironischen Art provoziert er die eine oder andere Frage und regt zum Nachdenken über Pirna an. Das mag manchmal unbequem sein, ist aber wichtig, um miteinander im Gespräch zu bleiben und ein Stück Heimat zu gestalten."

Zimmermann denkt, dass der Film und die Diskussion darüber Brücken bauen können. Vielleicht könne er sogar helfen, Gräben zu schließen. "Aus meiner Sicht sollte die Geschichte des Films weitererzählt werden", sagt er. "Warum nicht eine Fortsetzung drehen?"

Lob aus Hoyerswerda für die Klickzahlen

Robert Böhme war fünfeinhalb Jahre Pirnas Marketingchef. Heute ist er Kommunikationsstratege der Stadt Hoyerswerda.
Robert Böhme war fünfeinhalb Jahre Pirnas Marketingchef. Heute ist er Kommunikationsstratege der Stadt Hoyerswerda. © Daniel Schäfer

Robert Böhme schaut "Pirna ist Säx!" in Hoyerswerda. Nach über fünf Jahren als Pirnas Stadtwerber sorgt er nun für die strategische Kommunikation von "Hoywoy". Seinen Kollegen dort hat er den Pirna-Film gleich vorgeführt. "Die finden den alle echt gut." Böhme gratuliert seinen Nachfolgern in Pirna zu ihrem Mut. Der Film fällt auf. "Das ist Marketing."

Nach Böhmes Einschätzung sind die Klickzahlen des Films absolut beachtlich. "Andere Marketing-Akteure werden neidisch darauf gucken." Insofern hält er die Investition auch nicht für rausgeschmissenes Geld. Wen die Missstände im Film ärgerten, dem rät er zu Gelassenheit. "Pirna kann das doch selbstbewusst machen", findet er. "Weil es eine absolut geile Stadt ist."